In West-Berlin existierten zur Hochzeit des Kalten Krieges zwei antinazistische Strukturen, die den gesellschaftlichen Umgang mit der extremen Rechten in der Viersektorenstadt einige Jahre lang prägten: Der Kampfbund gegen den Nazismus (KgN), der eigenen Angaben zufolge rund 200 Mitglieder hatte, und das Referat Neofaschismus (Referat N) im Bund der Verfolgten des Naziregimes (BVN), in dem ein fester Mitarbeiter und vielleicht ein Dutzend Unterstützer*innen tätig waren.[1]
Der folgende Text beschäftigt sich mit Fragen danach, warum diese beiden Initiativen entstanden und wer in ihnen aktiv war. Vor welchen Kontinuitäten des Nazismus warnten sie, insbesondere mit Blick auf rechte Gewalt? Warum waren beide Institutionen, KgN und Referat N, nur über so kurze Zeit tätig? Hatten sie überhaupt politischen Einfluss?
Hans Kretschmer und das Referat N des Bundes der Verfolgten des Naziregimes (BVN)
Der BVN war in West-Berlin mit gut 3000 Mitgliedern die größte vom Senat anerkannte Organisation von ehemals Verfolgten des Nationalsozialismus. Im September 1953 gab der Verband in seinem Mitteilungsorgan Die Mahnung die Gründung des Referates N bekannt. Geleitet wurde es vom langjährigen Verbandsmitglied Hans Kretschmer (1927–1981). Als sogenanntem „Mischling I. Grades“ waren Kretschmer während der NS-Zeit ein höherer Schulbesuch und das Studium verwehrt worden. Das väterliche Geschäft hatten die NS-Behörden „arisiert“. Er selbst hatte Zwangsarbeit leisten müssen, seine Schwester und seine Nichte waren 1942 deportiert und ermordet worden.
Dem BVN gehörte Kretschmer seit dessen Gründung im Jahr 1946 an, als der Verband noch unter dem Namen „Verband der Opfer der Nürnberger Gesetze“ fungierte. Schon in der Jugendgruppe des BVN hatten er und andere junge Mitglieder sich mit dem Wirken und der Propaganda extrem rechter Organisationen beschäftigt. Kretschmer war seit 1953 als Sekretär in der Geschäftsstelle des Verbandes tätig, ab 1956 zählte er zum BVN-Vorstand und war Vorsitzender der Hilfsgemeinschaft der Opfer der Nürnberger Gesetze nichtjüdischen Glaubens.
Im Referat N bot Kretschmer den Mitgliedern des Verbandes eine Sprechstunde an, in der sie antisemitische und neonazistische Vorfälle melden konnten. Auch sammelte er selbst Material zur extremen Rechten im In- und Ausland. Er legte unter anderem ein Archiv rechtsextremer Zeitungen an, für dessen Finanzierung er Spenden unter den BVN-Mitgliedern einwarb, und präsentierte dieses Material auf Informations-Veranstaltungen in West-Berlin und in der Bundesrepublik. Von einer eigenen Zeitung sah das Referat ab, stattdessen hatte es im BVN-Mitteilungsorgan zwei Rubriken mit den Titeln „Die Totengräber der Demokratie“ und „Das Wespennest“. Ausführlich berichtete Kretschmer hier über rechtsextreme Jugendorganisationen etwa den Kameradschaftsring Nationaler Jugendverbände, über die Verbindungen von deutschen rechtsextremen Organisationen ins europäische Ausland oder über internationale Hilfswerke von Alt- und Neonazis, die bis nach Südamerika reichten. Aufschlussreich waren auch seine Überblicksdarstellungen („braunes Abc“) zu Zeitschriften und anderen Publikationen. Sie reichten von der völkischen Zeitschrift Klüter-Blätter bis zu Neuauflagen des antisemitischen Pamphlets Protokolle der Weisen von Zion, das in extrem rechten Kreisen bis heute als Beleg für eine angebliche jüdische Weltverschwörung dient.
Das Referat N beschränkte sich nicht auf das Sammeln und Informieren: Nach Berichten von Verbandsmitgliedern war es Hans Kretschmer sogar gelungen, Mitstreiter*innen des Referats in die Deutsche Partei (DP) einzuschleusen, deren West-Berliner Landesverband ein Sammelbecken extrem rechter Splittergruppen war. Auch Kretschmer selbst besuchte Veranstaltungen von Parteien und Gruppierungen. Die Mitglieder des BVN wurden aufgefordert „in die Versammlungen der Rechtsparteien zu gehen, um zu erkennen, mit welcher Frechheit man auf die Demokratie schimpft, über die Wiedergutmachung lästert und unsere Rechte mit Füßen tritt“. Entschieden lautet es: „Die Opfer sind nicht wir, sondern sie, weil durch unseren Widerstand und den 20. Juli der Krieg zu Ende ging!“[2] An dieser Forderung wurde das Selbstverständnis und die Motivation vieler Überlebender deutlich: Einer Rückkehr der einstigen Peiniger*innen sollte entschieden entgegengetreten werden.
Umso schockierender musste auf Verfolgte des Nationalsozialismus wirken, wenn Hans Kretschmer ihnen über „Neugründungen“ von NS-Organisationen berichtete. Die Allgemeine Jüdische Wochenzeitung berichtete über einen Vortrag Kretschmers, in dem er über die SS-Verbände Leibstandarte Adolf Hitler und SS-Division Hitlerjugend referierte. Nach seinen Erkenntnissen erlebe zudem der berüchtigte SA-Sturm Maikowski eine Renaissance: Dessen Protagonisten hielten in Charlottenburg Kranzniederlegungen und Ehrenwachen an den Überresten des einstigen Denkmals für den SA-Mann Hans Eberhard Maikowski ab. Auf einer anderen BVN-Versammlung führte Kretschmer aus: Die Deutsche Partei habe „genau wie vor 1933 einen Saalschutz“, bei der Republikanischen Partei Deutschlands könne wieder der Ruf „Juden raus“ vernommen werden und auch der Ton bei der HIAG (Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS) „sei noch aus der Vergangenheit bekannt“. Als weitere gefährliche Gruppen wurden von ihm die Deutsche Freiheitspartei, die Nation-Europa, Ethnographische Gesellschaft, Soldaten und Heimkehrerverbände und „der frühere ‚Stahlhelm‘ in neuer Aufmachung“ genannt.[3]
Man könnte nun einwenden, dass viele dieser Berichte nicht besonderes exklusiv oder nicht mehr aktuell waren. Über Kameradschaftsverbindungen ehemaliger Angehöriger der Leibstandarte Adolf Hitler hatte die Frankfurter Rundschau bereits 1951 berichtet. Auch war die Arbeitsgemeinschaft Nation Europa bereits Anfang 1953 vom West-Berliner Senat verboten worden. Dass aber überhaupt jemand diese Informationen systematisch zusammentrug, war seinerzeit alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Das Verbot der Deutschen Freiheitspartei unter ihrem Vorsitzenden Erwin Schönborn erfolgte zudem erst kurze Zeit später. Schönborn sollte in den kommenden Jahrzehnten in Westdeutschland als Initiator weiterer rechtsextremer Organisationen und als Holocaust-Leugner in Erscheinung treten. Auch beim Referat N war der „rechtsradikale Neugründungsfanatiker“, der bereits wegen Verunglimpfung von Widerstandskämpfern in Haft gesessen hatte, kein Unbekannter. Mehrfach wurde im Mitteilungsorgan des Verbandes über ihn berichtet und vor ihm gewarnt.
Geschichtsrevisionismus, Gewalt und Gewaltandrohungen von rechten Akteuren
Das Referat N warnte aber nicht nur vor personellen und organisatorischen Kontinuitäten, sondern auch vor einer Kontinuität der Gewalt – und dies zu Recht: Im Wahlkampf zum West-Berliner Abgeordnetenhaus 1954 kam es von Mitgliedern der DP zu Übergriffen auf politische Gegner. Auf einer Wahlveranstaltung im Sportpalast gingen SA-ähnlich uniformierte Saalschützer auf Journalist*innen los. Unter Rufen wie „Kommunistenspitzel“ und „Hochverräter“ wurden die kritischen Beobachter*innen hinausgedrängt und als „Judenschweine“ beschimpft, die „an den Gaskammern vorbeigekommen“ seien.[4] Die öffentliche Empörung über die Vorfälle währte nur kurz. Entrüstet nahm man im BVN Monate später zur Kenntnis, dass die antisemitischen Schläger vor Gericht freigesprochen wurden.
Nicht wenige ehemals Verfolgte sahen sich in den 1950er-Jahren durch das Auftreten extrem rechter Akteure zunehmend bedroht. Das Referat N bot ihnen Unterstützung an, indem seine Mitglieder beispielsweise am Mahnmal für die „Opfer des Nationalsozialismus“ in Berlin-Charlottenburg Wache hielten, um es vor Übergriffen zu schützen. Einige Monate später wurden die Schilder des Referates an der Geschäftsstelle des BVN von Unbekannten beschädigt. Zwar hatte die Polizei dem Referat Unterstützung zugesichert, die Ernüchterung folgte jedoch bald: Als Hans Kretschmer Meldung zu einer Gedenkfeier von Rechtsextremen machen wollte, ignorierte die Polizei sein Anliegen. Das Vertrauen in staatliche Organe wurde weiter erschüttert, als eine Strafanzeige des Referates gegen den Redakteur der Zeitschrift „Die Anklage. Organ der entrechteten Nachkriegsgeschädigten“ ohne Ergebnis blieb. Die Anzeige richtete sich gegen die Verunglimpfung des Widerstandes und die Behauptung, dass „niemals 6 Millionen Juden ermordet“ worden seien. Das Verfahren wurde eingestellt. Angesicht derartiger Entwicklungen und den Berichten von Hans Kretschmer hielt ein BVN-Angehöriger nach einer Mitgliederversammlung fest, viele Teilnehmer*innen hätten die Veranstaltung „mit der Faust in der Tasche“ verlassen.
Der Kampfbund gegen den Nazismus (KgN)
Im Sommer 1954 begannen im BVN die Vorbereitungen zur Gründung des Kampfbundes gegen den Nazismus. Der KgN sollte letztlich eine Weiterentwicklung Referates N sein und rechtsextreme Verbindungen aktiv bekämpfen. Dabei würde die Organisation jedoch „kein Schlägerkommando sein“, wie Hans Kretschmer versicherte. Vielmehr wollte der Kampfbund auf „die Gefahren des Neofaschismus“ aufmerksam machen und insbesondere die Jugend aufklären. Dafür sollten unter anderem Versammlungen der Rechten abgehört und Diskussionsredner gestellt werden. Unabdingbar für die West-Berliner Verhältnisse lautete es im Aufruf des KgN: „Im Kampf gegen den Kommunismus wissen wir uns einig mit der ganzen Welt. Doch genauso gefährlich bleibt der Nazismus, die andere nicht weniger unmenschliche Form des Totalitarismus“.[5] Vorsitzender des Kampfbundes war Eugen Brommondt (1900–1964). Während der NS-Zeit hatte er verschiedenen sozialdemokratischen Widerstandsgruppen angehört. Im Jahr 1942/1943 hatte er mit französischen, belgischen und holländischen Zwangsarbeiter*innen eine Widerstandsgruppe gebildet, die bis Kriegsende aktiv war. Zu den Aufgaben des KgN führte Brommondt 1956 aus: Man wende sich „nicht gegen harmlose frühere Mitläufer des Nazismus, die ihren Irrtum erkannt“ hätten. Vielmehr wolle man den Kampf gegen die „scheinbar Unbelehrbaren“ aufnehmen und sich „vor allem die radikalen Elemente vornehmen, die als Feinde der Demokratie deren Freiheit ausnutzen wollten.“[6]
Zu diesen „Feinden der Demokratie“ zählte man zum Beispiel die Monatsschrift Nation Europa, die älteste rechtsextreme Zeitschrift in der Bundesrepublik. Im Mitteilungsorgan des BVN lautete es über sie: „Die Fanatiker der Rassentheorie sind heute […] genauso rührig wie in der Hitlerzeit. Sie haben bloß die Methoden gewechselt. Man hetzt nicht mehr im ‚Stürmer-Stil‘, sondern man hat heute den ‚Nation-Europa-Stil‘ entwickelt, der das Gift des Antisemitismus wesentlich vorsichtiger, aber desto gefährlicher verbreitet.“[7] Die NS-Verfolgten warnten vor der Transformation von Rassismus und Antisemitismus – eben jene Transformation, die bis heute eine weit verbreitete Strategie der extremen Rechten ist.
Der KgN nahm an diversen Protesten gegen extrem rechte Parteien und Zusammenschlüsse teil. Er wirkte 1956 federführend an einer Kampagne gegen Otto Strasser und seine Deutsche Soziale Union mit. Auch war er 1957 an der Mobilisierung gegen ein Treffen der „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS“ beteiligt. Tatsächlich beschränkte sich das Wirken des Kampfbundes jedoch auf recht wenige Auftritte, was auch mit seinen beschränkten Mitteln zu tun haben dürfte. Als Eugen Brommondt 1957 dem Vorstand des BVN von den finanziellen Schwierigkeiten seiner Organisation berichtete, machte ihm dieser wenig Hoffnung. Seines Erachtens könne der KgN „von keiner Seite damit rechnen […] finanziell unterstützt zu werden“. Der Verdacht, die Organisation habe mit dem Osten Verbindung, werde allen Stellen dadurch bestätigt, dass das, was im KgN „in engsten Kreisen gesprochen wird, genau in der Ostpresse erscheint“.[8] Wer diese Informationen an Ost-Berliner Zeitungen lanciert hatte, ist unbekannt. Seit kurzem ist jedoch klar, dass das Ende des Kampfbundes eng mit den Tätigkeiten west- und osteuropäischer Geheimdienste verbunden war, die im Kalten Krieg in Berlin agierten.
Kalter Krieg, Antikommunismus und das Wirken der Geheimdienste
Über das antikommunistische Klima, das ihn umgab, hielt Hans Kretschmer 1957 treffend fest: „Es muss leider gesagt werden: wenn man heute etwas gegen die Nazi[s] oder deren Hintermänner sagt, so ist man schon rot oder zumindest rötlich.“[9] Tatsächlich mussten in den 1950er Jahren kritische Akteur*innen vorsichtig sein, um nicht auf der „falschen“ politischen Seite verortet zu werden. Auch das Referat N und der Kampfbund gegen den Nazismus wurden schließlich als Handlager der DDR diffamiert. Der KgN geriet bereits kurz nach seiner Gründung tief in die Mühlen des Kalten Krieges. Einen wesentlichen Anteil daran hatte die Berichterstattung aus Ost-Berlin. Da sie sich wiederholt mit den Zielen des KgN auseinandersetzte und über diesen berichtete, kam dieser schnell in Verruf, vom Osten gesteuert zu sein.
Tatsächlich konnte von Steuerung keine Rede sein. Allerdings war es dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR gelungen, mehrere Inoffizielle Mitarbeiter*innen in den Kampfbund einzuschleusen. Ihre Berichte geben detailliert Auskunft über das Innenleben, die finanziellen Nöte und die Aktionen der Organisation. Wie oben erwähnt, war der KgN schon bald vollkommen isoliert. Das Ende der Organisation führte die DDR jedoch selbst herbei: Im Mai 1958 wurde der Vorsitzende Eugen Brommondt von der Staatssicherheit entführt. In einem MfS-Bericht über ihn lautete es: Brommondt habe seit 1948 „als Agent des französischen und von 1951 bis 1954 als hauptamtlicher Mitarbeiter des holländischen Geheimdienstes eine umfangreiche Spionagetätigkeit“ gegen die DDR betrieben.[10] Die Akten westlicher Geheimdienste zum KgN sind noch nicht erforscht. Sollte der MfS-Befund jedoch zutreffen, so könnte man von Ironie sprechen, dass ausgerechnet der Leiter der Organisation, die verdächtigt wurde, vom Osten gesteuert zu sein, jahrelang für westliche Geheimdienste gearbeitet hatte. Das Bezirksgericht Erfurt verurteilte Brommondt 1959 wegen „fortgesetzter Spionage“ zu 15 Jahren Zuchthaus. Hinter seinem Fall steht auch ein tragisches Schicksal: Fünf Jahre später starb Brommondt in der Sonderhaftanstalt der Staatssicherheit in Bautzen. Seine genauen Todesumstände sind bis heute ungeklärt.
Nach der Verschleppung Brommondts aus West-Berlin existierte der KgN nur noch wenige Monate, dann wurde die Organisation aufgelöst. Kam es bei anderen Entführungsfällen umgehend zu einem großen Echo in den Medien und empörten Stellungsnahmen, so blieb es bei Brommondt ruhig. Lediglich die „Bild-Zeitung“ brachte im Juni 1958 eine kurze Meldung über eine „Spur vom Opfer der Menschenräuber“.[11] Der Berliner Senat zeigte keinerlei Reaktion, gleiches galt für den BVN. Zwar wurde der „Fall Brommondt / KgN“ im Juli 1958 im Vorstand des Verbandes diskutiert. Im Protokoll des Treffens lautete es jedoch: „Für die Behandlung dieses Punktes wurde strengste Vertraulichkeit hergestellt, sodaß in diesem Protokoll darüber nichts gesagt werden kann.“[12] Ob beziehungsweise was dem Verband von Alliierten oder anderen Stellen über den Kampfbund und seinen Vorsitzenden mitgeteilt wurde, muss daher offen bleiben.
Das antikommunistische Klima jener Jahre und die Furcht vor Agent*innen bekam auch das Referat N von Hans Kretschmer zu spüren. Anfang 1957 gab es im BVN zunächst das Gerücht, dass Akten des Referates verschwunden seien. Kurze Zeit später war plötzlich von Aktendiebstahl die Rede. Die Sache gipfelte schließlich darin, dass Kretschmer vorgeworfen wurde, er habe Dokumente an die DDR verkauft. Das Referat N wurde aufgelöst – eine Rehabilitierung erfolgte auch dann nicht, als sich herausstellte, dass sämtliche Vorwürfe haltlos waren. Dem BVN war sein Engagement gegen Neonazismus offensichtlich zu riskant geworden. Auf einer Mitgliederversammlung Anfang 1958 lautete es: „Das Referat N drohte dem BVN Schaden zu bringen, da wir andere Aufgaben zu tun haben, als Spitzeldienste zu tun. […] Die Gefahr liegt nicht bei den 5% verrückter Rechtsradikaler, sondern in der Unterwanderung der Demokratie [von Seiten] feindlicher Elemente bei den höchsten Stellen. Solange Adenauer an einem Globke festhält, müssen wir in aller Sachlichkeit warnen und aufpassen, dass nicht die Interessen der Verfolgten geschädigt werden.“[13] Mit der Etablierung des Referates N und des Kampfbundes hatte sich der Berliner BVN auf politisch brisantes Terrain begeben, das er nun wieder verließ. Hans Kretschmer hatte zu diesem Zeitpunkt längst alle seine Ämter im BVN niedergelegt und sich resigniert zurückgezogen.
Referat N und KgN als Wegbereiter des Engagements gegen Rechts
Am Weihnachtsabend des Jahres 1959 beschmierten Rechtsextremisten in Köln die erst kurz zuvor wiedererrichtete Synagoge mit Hakenkreuzen und antisemitischen Parolen. Es war der Beginn einer Welle hunderter antisemitischer Schmierereien in der ganzen Bundesrepublik. Die Täter*innen waren überwiegend Jugendliche. Erstmals befasste sich nun eine breitere Öffentlichkeit mit Nachwirkungen des Nationalsozialismus. Im Mitteilungsorgan der Deutsch-Israelischen Studiengruppe an der FU Berlin hielt Urs Müller-Plantenberg 1960 zu diesen Diskussionen fest: „1947 bildeten sich die ersten nationalistischen Jugendverbände in Westdeutschland, seit mindestens 1956 ist man auf sie aufmerksam geworden, hat ernsthaft gewarnt und untersucht.“[14] Gewarnt und untersucht hatten auch Referat N und der KgN. Beide Initiativen waren Wegbereiter für eine Beschäftigung mit dem Thema. So hatte das Referat N 1957 mit der Gewerkschaftlichen Studentengemeinschaft diverse Wochenendseminare zum Thema „Rechtsradikalismus in Deutschland“ veranstaltet. Auch der Kampfbund arbeitete von Beginn an mit verschiedenen Organisationen in West-Berlin eng zusammen. Dazu gehörten nach seinen eigenen Angaben unter anderem Die Falken, die Junge Liga (die Jugendorganisation der Internationalen Liga für Menschenrechte) oder auch der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS). Eben diese Organisationen trugen im Januar 1960 maßgeblich dazu bei, dass in West-Berlin als Reaktion auf die sogenannte Hakenkreuz-Schmierwelle große Demonstrationen gegen Antisemitismus und Neonazismus organisiert wurden. Dies kann auch als Einfluss des Engagements von Referat N und KgN angesehen werden.
Beide Initiativen hatten zudem Politik und Sicherheitsorgane unter Druck gesetzt. Beim Bundesamt für Verfassungsschutz wurde im Herbst 1956 notiert: Die Öffentlichkeit befasse sich „seit Monaten in verstärktem Maße mit extrem-nationalistischen und neofaschistischen Erscheinungen“. Mit Sorge um den eigenen Ruf hielt man fest, Vereinigungen der Kampfbund würden „zwangsläufig dazu beitragen, den Eindruck hervorzurufen, als drohe der Bundesrepublik eine unmittelbare und akute Gefahr seitens antidemokratischer und extrem-nationalistischer Kräfte“.[15] Beim Verfassungsschutz war man überzeugt, ein „weit überschätztes Problem“ werde hochgespielt. Dennoch begann das Amt, eine umfassende Bestandsaufnahme zu extrem rechten Parteien und Organisationen, Einzelpersonen, Verlagen und Publikationen anzufertigen.
Das Wirken von KgN und des Refrat N fiel in eine Zeit, in der zumindest Teile der westdeutschen Gesellschaft die „Vergangenheitspolitik“ der Bundesrepublik und das Agieren neonazistischer Organisationen zunehmend als Problem erkannten. In den vorderen Reihen der Mahner*innen standen ehemals NS-Verfolgte und ihre Verbände. Sie stellten sich dem vergangenheitspolitischen Betrieb sowie extrem rechten Parteien und Strömungen entgegen. Auch der KgN und das Referat N benannten personelle und ideologische Kontinuitäten und warnten vor der Gewalt, die von einzelnen Gruppen ausging. Die Auflösung der beiden Initiativen war indes nicht das Resultat einer Erfolgsgeschichte der Demokratiesierung der Bundesrepublik. Vielmehr führten Gleichgültigkeit, Ablehnung und Misstrauen von staatlichen Organen und der Gesellschaft ihr Ende herbei. Eine maßgebliche Rolle spielten zudem die Verwerfungen zwischen Ost und West und Geheimdienste, die an der Frontlinie des Kalten Krieges in Berlin agierten. Währenddessen blieb (und bleibt) das Engagement gegen extrem rechte Akteure notwendiger denn je. Für kurze Zeit leisteten KgN und Referat N durch beharrliche Aufklärung und politische Bildungsarbeit dazu einen wichtigen Beitrag.
[1] Hauptquelle dieses Beitrags ist die Sammlung zum Bund der Verfolgten des Naziregimes in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. Außerdem wurde folgende Literatur hinzugezogen: Gideon Botsch, Die extreme Rechte in der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis heute, Bonn 2012; Gerd Kühling, Erinnerung an nationalsozialistische Verbrechen in Berlin. Verfolgte des Dritten Reiches und geschichtspolitisches Engagement im Kalten Krieg 1945–1979, Berlin 2016; Julia Spohr, In Haft bei der Staatssicherheit. Das Untersuchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen 1951-1989, Göttingen 2015.
[2] BVN-Charlottenburg, Protokoll der Bezirksgruppenversammlung, 12.5.1954, in: Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Sammlung BVN, ZDWV 53.
[3] BVN-Charlottenburg, Protokoll der Bezirksgruppenversammlung, 12.5.1954, in: Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Sammlung BVN, ZDWV 53.
[4] Die Angriffe wurden fotografisch festgehalten und kürzlich in einer Ausstellung präsentiert; siehe: Aktives Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V., antifaschistisches pressearchiv und bildungszentrum berlin e.V, (apabiz), „Immer wieder? Extreme Rechte und Gegenwehr in Berlin seit 1945“ – Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Berlin 2019, S. 16–17.
[5] „Aufruf zur Tat“, Die Mahnung, 1.2.1956.
[6] „Kampfbund gegen den Nazismus“ gegründet, Die Mahnung, 1.2.1956.
[7] „Juden unerwünscht?“, Die Mahnung, 1.8.1956.
[8] Geheimer Informator „Stüve“, Bericht zum KgN vom 19.3.1957, in: BStU-Berlin, MfS AS 47/61, Blatt 262.
[9] Bericht zur BVN-Versammlung im Wedding vom 8.4.1957, in: Landesarchiv Berlin, C Rep. 906-02, Nr. 43.
[10] Unterleutnant Freundt, Schlußbericht, 5.10.1958, in: BStU-Berlin, MfS AS 493/62, Blatt 37.
[11] „Erste Spur vom Opfer der Menschenräuber“, Bild-Zeitung, 26.6.1958.
[12] BVN-Berlin, Protokoll der Sitzung des geschäftsführenden Vorstandes am 17.7.1958, Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Sammlung BVN, ZDWV 33.
[13] BVN-Charlottenburg, Protokoll der Bezirksgruppenversammlung vom 15.1 1958, in: Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Sammlung BVN, ZDWV 54.
[14] Urs-Müller-Plantenberg, „Zerschlagt die Hintermänner und Drahtzieher!“, DISkussion, Januar 1960, Nr. 1.
[15] Johannes Heesch, Der Grünwalder Kreis, in: Gesine Schwan, Jerzy Holzer, Marie-Claire Lavabre, Birgit Schwelling (Hrsg.), Demokratische Politische Identität. Deutschland, Polen und Frankreich im Vergleich, Wiesbaden 2006, S. 54f.