Margot Friedländer nimmt durch ihren unermüdlichen Einsatz gegen den Antisemitismus in Deutschland eine bedeutende Rolle in der Erinnerungsarbeit über den Nationalsozialismus ein. Als Überlebende des Holocaust teilt sie ihre traumatischen Erfahrungen und setzt sich seit Jahrzehnten dafür ein, das Bewusstsein für die nationalsozialistischen Verbrechen zu schärfen.
Ein eindringliches Porträt ihrer Lebensgeschichte wird in dem Dokudrama „Ich bin! Margot Friedländer" des deutschen Regisseurs Raymond Ley gezeichnet, das seit dem 7. November 2023 in der ZDF-Mediathek verfügbar ist. In diesem Drama werden nicht nur die persönlichen Erlebnisse einer beeindruckenden und mutigen Frau nachgezeichnet, sondern auch wichtige Einblicke in die Geschichte des Holocaust gewährt.
Die Handlung entfaltet sich in drei Erzählsträngen, welche die Zuschauer*innen durch die unterschiedlichen Lebensphasen von Margot Friedländer führen und die dabei zeitlich hin und her springen. Julia Anna Grob spielt die Rolle von Margot während ihrer Berliner Jahre, in denen sie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft von den Nationalsozialist*innen verfolgt wurde. Ilona Schulz verkörpert die Zeit nach dem Krieg und nach Margots Emigration in die USA. Gleichzeitig gewähren die aktuellen Interviews mit Margot Friedländer tiefe Einblicke in ihre Erlebnisse und Perspektiven als Zeitzeugin.
Die Erzählung beginnt mit der jungen Margot wie sie als Schneiderin des jüdischen Kulturbundes im Theater in Berlin mitwirkt. Diese Arbeit wird ihr jedoch nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialist*innen verboten. Nachdem ihr Bruder von der Gestapo festgenommen wurde und ihre Mutter ihm folgt, ist Margot gezwungen unterzutauchen. Sie kommt bei verschiedenen Personen unter. Bei der letzten Familie, bei der sie untertaucht, wird sie von „Greifern“, jüdischen Denunziant*innen, der Gestapo ausgeliefert. Dieser Erzählstrang endet mit ihrer Deportation in das Konzentrationslager Theresienstadt.
Ihre traumatischen Erfahrungen während der NS-Zeit werden in dem Film einerseits durch die Interviewsequenzen reflektiert, andererseits durch die gespielten Szenen nach der Emigration in die USA, in denen sie ihr Buch schreibt. Zusammen mit Adolf Friedländer, den sie vom Jüdischen Kulturbund kennt und im Konzentrationslager wiedertrifft, überlebt sie Theresienstadt, sie heiraten und emigrieren in die USA. Mit den Worten „es hat lange, lange gedauert bis wir Menschen geworden sind“[1] beschreibt sie diese schmerzliche Zeit nach der Shoah.
Somit zeigt der Film auch die emotionale Komplexität ihrer Erfahrungen auf. Es wird die Rolle des Vaters beschrieben, der sich bereits im Ausland befindet und der Familie keine Erlaubnis für die Ausreise nach Shanghai erteilt. Auch die Rolle der Tante wird kurz beleuchtet, welche trotz ihres christlichen Glaubens Margot kein Versteck bei sich gewährt. Zudem wird die Freundschaft zu Stella Goldschlag im jüdischen Kulturbund dargestellt, die später als Greiferin mit der Gestapo zusammenarbeitet, um ihre eigenen Eltern zu schützen. In dem Interview erzählt Margot, dass sie Stella hinter ihrer Denunziation vermutet. Oder die Entscheidung nach dem Tod ihres Mannes wieder zurück nach Berlin zu gehen, dem Ort ihrer Verfolgung.
Das Dokudrama als geeignetes Format
Besonders wirkungsvoll ist das gewählte Format des Dokudramas, welches gespielte Szenen, historische Aufnahmen und Interviews verbindet. Diese Kombination schafft Spannung und verleiht dem Film historische Glaubwürdigkeit. Letzteres wird auch durch den Besuch der Zeitzeugin von Orten in Berlin verstärkt. Damit unterscheidet sich dieser Film von anderen Dramen, die historische Ereignisse darstellen. Denn deren Authentizität muss oft in Frage gestellt werden, da von Zuschauer*innen nicht auseinandergehalten werden kann, welche Elemente fiktiv und welche historisch echt sind. In „Ich bin Margot Friedländer“ kann dies klar unterschieden werden. Am Ende wird das Gespielte mit dem Realen zusammengeführt, indem die Schauspielerin Julia Anna Grob, die „echte“ Margot nach Berlin begleitet.
Dieses Dokudrama ist neben ihrem 2010 erschienen Autobiografie[2] ein weiteres Zeugnis, das uns Margot Friedländer hinterlässt. Solche Zeugnisse werden immer wichtiger angesichts der Tatsache, dass uns bald die Stimmen der Zeitzeug*innen aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters fehlen werden. Nicht zuletzt deshalb, hat Margot Friedländer eine Stiftung gegründet, welche zum Ziel hat, die Erinnerungsarbeit über den Holocaust aufrecht zu erhalten.[3]
Der Film hat in der gegenwärtigen Zeit eine besondere Bedeutung. Einer Zeit in der antisemitische Gewalttaten, in Folge der Terrorangriffe der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 enorm angestiegen sind. In den letzten Wochen wurde deutlich, wie antisemitische Stereotype noch immer gesellschaftlich verbreitet und akzeptiert sind. Es wurden Synagogen und jüdische Einrichtungen angegriffen. Juden*Jüdinnen haben Angst als jüdisch auf der Straße identifiziert zu werden. „So hat es damals auch angefangen“[4] ruft uns Margot Friedländer in Erinnerung. In Anbetracht dieser beunruhigenden Entwicklungen sollte die Arbeit gegen Antisemitismus nicht nur von jüdischen Menschen geleistet werden. Der Film und die Botschaft von Margot Friedländer dienen als dringende Erinnerung daran, dass es in unserer Verantwortung liegt gegen Antisemitismus und Hass vorzugehen. Damit die Phrase „Nie wieder“ kein leeres Versprechen bleibt.
[1] Ley, Raymond: Ich bin! Margot Friedländer, 2023, TC: 1:25:33-1:25:38.
[2] Friedländer, Margot; Schwerdtfeger, Malin: „Versuche, dein Leben zu machen“ als Jüdin versteckt in Berlin. Berlin 2010.
[3] Vgl. Schmitt, Christine: »Das ist meine Mission«, In: Jüdische Allgemeine Zeitung, 25.9.2023.
[4] Schulz, Alexa: Holocaust-Überlebende Friedländer: "So hat es damals auch angefangen", In: WDR, 9.11.2023.