von Hanno Hochmuth

  |  

28. Februar 2020

Babylon Berlin ist zur Zeit allgegenwärtig, aber alles andere als neu. Denn der Mythos von Berlin als Babylon der Zwanziger Jahre ist weitaus älter als die Erfolgsserie der Gegenwart. Das Bild von Berlin als der „großen Hure Babylon“ geht maßgeblich zurück auf Alfred Döblins Großstadtroman „Berlin Alexanderplatz“ aus dem Jahre 1929. Kein Wunder also, dass im aktuellen Weimar-Revival nun auch Döblins Klassiker neu verfilmt wurde. Doch im Gegensatz zur Serie „Babylon Berlin“ kommt Burhan Qurbanis „Berlin Alexanderplatz“ nicht im historischen Gewand daher. Vielmehr verlagert Qurbani den Stoff auf radikale Weise in das Berlin der Gegenwart.

In „Berlin Alexanderplatz“ von 2020 ist Franz Biberkopf kein deutscher Kleinkrimineller, sondern ein Geflüchteter aus Guinea-Bissau, der auf seinem Weg nach Europa seine Frau verloren hat. Francis B. (Welket Bungué) kommt nicht aus dem Gefängnis, sondern landet zunächst in einer Asylunterkunft in Brandenburg. Dort trifft er auf den zwielichtigen Kriminellen Reinhold (Albrecht Schuch), der versucht, die Geflüchteten als Dealer anzuwerben. Anfangs widersteht Francis ihm noch, doch ohne Pass und Arbeitserlaubnis erliegt bald auch er dem Versprechen auf das schnelle Geld und beginnt für Reinhold als Koch für die Dealer in der Hasenheide zu arbeiten.

Filmstill Reinhold (Albrecht Schuch) und Francis B. (Welket Bungué) aus „Berlin Alexanderplatz“ von Burhan Qurbani, Deutschland, Niederlande 2020. Berlinale Wettbewerb 2020. © Frédéric Batier/2019 Sommerhaus/eOne Germany

So nimmt das Unglück seinen Lauf. Francis zieht bei Reinhold ein, wird zum Komplizen eines Einbruchs, versucht vergeblich loszukommen, verliert seinen linken Arm, gewinnt das Herz der Edelprostituierten Mieze (Jella Haase) und verliert schließlich alles. Die Geschichte des Scheiterns von Francis, der von Reinhold in einer Sekttaufe „eingedeutscht“ und von nun an Franz genannt wird, ist eigentlich bekannt. Bereits 1931 wurde sie mit Heinrich George in der Hauptrolle verfilmt. Rainer Werner Fassbinders 14-teilige Adaption des Stoffes schrieb 1980 Fernsehgeschichte. Und doch zieht die tragische Geschichte einen auch 2020 in den Bann. Trotz seiner epischen Breite von drei Stunden wird „Berlin Alexanderplatz“ nicht langweilig, sondern von der Sisyphos-Geschichte und dem Kammerspiel der großartigen Schauspieler*innen getragen. Am meisten beeindruckt Albrecht Schuch als Reinhold, dessen dämonischer Auftritt allen anderen die Schau stiehlt.

Filmstill Reinhold (Albrecht Schuch) aus „Berlin Alexanderplatz“ von Burhan Qurbani, Deutschland, Niederlande 2020. Berlinale Wettbewerb 2020. © Wolfgang Ennenbach/2019 Sommerhaus/eOne Germany

In der Anlage von Reinholds Rolle liegt aber auch ein Problem. Der psychopatische Kriminelle trägt dermaßen pathologische Züge, dass sich wohl niemand mit ihm identifizieren kann. Dabei ist Reinhold eigentlich die Brücke zur deutschen Mehrheitsgesellschaft, die die migrantischen Dealer in die Kriminalität zwingt. Burhan Qurbanis Transformation des Stoffes in unsere Gegenwart läuft somit ein Stück weit ins Leere. Die stilistischen Anleihen an Gangsterserien wie „4Blocks“ sind deutlich, exotisieren Francis und die anderen Protagonist*innen aber gleichsam aufs Neue. Das Milieu aus Dealern, Zuhältern und Sexarbeiterinnen ist eine Parallelwelt, passt aber durchaus zu Döblins Babylon.

Dagegen fehlt Berlin! Das ist insofern bemerkenswert, als dass die Metropole in Döblins Roman eine Hauptrolle spielt. Doch in „Berlin Alexanderplatz“ von 2020 rullert keine Straßenbahn und rummt keine Dampframme. Francis arbeitet anfangs zwar beim U-Bahnbau am Alexanderplatz, doch diese Szene könnte im Grunde überall spielen. Reinhold wohnt im Haus der Statistik am Alexanderplatz, doch das erkennt man erst bei genauerem Hinsehen. Berlin wird nicht inszeniert, sondern bleibt Staffage. Der obligatorische Fernsehturm und das Jahn-Denkmal in der Hasenheide sind die einzigen Orte, mit denen Berlin in Szene gesetzt wird. Der Film hat ein anderes Thema.

Am Ende von „Berlin Alexanderplatz“ gibt es eine Kostümparty in einem Club. Die meisten Gäste verkleiden sich im Stil der Zwanziger Jahre – „Babylon Berlin“ lässt grüßen. Francis zieht jedoch ein Affenkostüm an, das ihm Reinhold gereicht hat, der sich selbst als weißer Kolonialoffizier verkleidet. Wer hier die Macht hat, ist klar. Die postkoloniale Botschaft des Films wird an dieser Stelle vielleicht etwas überdeutlich inszeniert. Wirklich stark ist dagegen die Szene, in der Francis schließlich selbst in seine alte Asylunterkunft geht, um unter den Neuankömmlingen neue Dealer zu rekrutieren. In seinem Monolog ruft er, dass er es leid sei, als „Flüchtling“ bezeichnet zu werden. Stattdessen schreit es aus ihm heraus: „Ich bin Deutschland!“

 

 


 

Die Uraufführung von „Berlin Alexanderplatz“ erfolgte am 26. Februar 2020 im Wettbewerb der 70. Internationalen Filmfestspiele Berlin. Der deutsche Kinostart ist für den 16. April 2020 angesetzt.