von Tom Koltermann

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6. Januar 2023

Über eine mangelnde Auswahl in der Presselandschaft konnten sich medienaffine DDR-Bürger*innen im August 1990 wahrlich nicht beklagen. Allein rund 350 Pressetitel aus bundesrepublikanischen Verlagshäusern fanden sich zu diesem Zeitpunkt an den Verkaufsstellen im Land.[1] Schon lange vor der politischen Vereinigung der beiden deutschen Staaten hatte der Kampf um den neuen Medienmarkt begonnen. Der auf Illustrierte spezialisierte Burda-Verlag, der unter anderem die Bunte herausgibt, stieg zusammen mit dem ebenfalls süddeutschen Sebaldus-Verlag am 23. August 1990 mit der SuperIllu in den Ring – einem speziell für das Gebiet der (ehemaligen) DDR konzipierten Boulevard-Titel. Der Verleger Hubert Burda setzte für die SuperIllu auf eine aus west- und ostdeutschen Journalist*innen besetzte Redaktion – die allerdings von Westdeutschen geleitet wurde. So kam es zu der kuriosen Situation, dass ehemalige Mitarbeiter*innen der vom ZK der SED kontrollierten Zeitungen und Zeitschriften zusammen mit bayrischen Boulevard-Journalist*innen an einer Illustrierten für den ostdeutschen Markt schrieben. Nach einigen Justierungen der Blattlinie positionierte sich die SuperIllu langfristig als erfolgreichste Wochenzeitschrift in Ostdeutschland und hat diese Stellung bis in die Gegenwart inne.

Boulevard-Medien wie die SuperIllu sind noch immer ein blinder Fleck in der Zeitgeschichte der Medien. Zwar wird oft auf die hohen Auflagenzahlen von Publikationen wie der Tageszeitung Bild verwiesen, größere Aufmerksamkeit in der Analyse erhalten dann aber intellektuellere Medien wie die FAZ.[2] Gerade eine erfolgreiche Zeitschrift wie die SuperIllu, die den lebensweltlichen Wandel in den Neuen Ländern seit 1990 begleitet und zu den einflussreichsten Medien für ostdeutsche (Pop‑)Kultur gehört, ist jedoch eine wahre Fundgrube für die Erforschung der Transformationsprozesse auf verschiedensten Ebenen, beispielsweise der regionalen Identität, der Sexualnormen oder der Aufarbeitung der Diktatur.

 

Eine Illustrierte für den Osten?

Bei der großen Konkurrenz auf dem Pressemarkt musste das Cover der Erstausgabe der SuperIllu vom 23.8.1990 direkt verraten, was das Heft am Ende beinhaltete: Erotik, Verbrauchertipps, skandalfokussierte Politikberichterstattung sowie Gewinnspiele.

Titelbild der SuperIllu vom 23.8.1990

Mit einer Auflage von 1,3 Millionen Exemplaren und einem Einführungspreis von 50 Pfennigen setzte der Verlag von Hubert Burda ein eindrückliches Statement gegenüber den konkurrierenden Medienhäusern. Das Rezept der Erstausgabe variierte die Redaktion in den Folgemonaten vorerst kaum, denn die Konsument*innen kauften das Heft in großer Zahl an den Kiosken, Tankstellen und anderen Verkaufsorten zwischen Rügen und Rennsteig. Die bald auftretenden Schwierigkeiten auf dem ostdeutschen Pressemarkt gingen allerdings nicht spurlos an der Zeitschrift vorbei. Die Auflage hatte sich drei Jahre nach Gründung bei circa 570.000 Exemplaren eingependelt, also rund der Hälfte der Anfangsauflage.[3]

Das Blatt inszenierte sich schnell als Vertreter ihrer ostdeutschen Leser*innenschaft. Gab die SuperIllu in der ersten Ausgabe noch Hilfestellung beim Verhandeln mit windigen Gebrauchtwagenhändler*innen, versuchte sie ansonsten, die Wut in der Bevölkerung auf die alten und neuen Eliten aufzugreifen. Bis auf den Chefredakteur Jochen Wolff blieben die Macher*innen des Hefts dabei stets im Hintergrund. Meist fanden sich nicht mal Autor*innenkürzel am Ende der Artikel. Die SuperIllu sollte als Marke offensichtlich unabhängig von ihren Mitarbeiter*innen funktionieren.

Gerade in den ersten Jahren zeigte die Zeitschrift bei ihrer Fixierung auf „Skandale“ wenig Zurückhaltung. Die nach der Wiedervereinigung medial breit geführte Debatte um die Aufnahme von Asylbewerber*innen begleitete die Zeitschrift etwa mit folgendem Cover[4]:

Titelbild der SuperIllu vom 12.03.1992

Im Namen der sogenannten „einfachen Bevölkerung“ rief die Zeitschrift Kanzler Helmut Kohl und den designierten SPD-Kanzlerkandidaten Björn Engholm zum Handeln auf. Die SuperIllu bediente dabei das gängige Motiv einer „Überforderung“ der Bevölkerung durch die Aufnahme von Asylbewerber*innen („200 Bürger, 84 Asylanten“). Trotz der drastischen Schlagzeile pochten die Redakteur*innen der Zeitschrift auf ihre Funktion als neutrale Berichterstatter*innen, indem sie auch den Geflüchteten ein Zitat auf dem Titelbild einräumten. Die Redaktion versuchte, sich mit Knalleffekten von den eher nüchternen und vor allem inhaltlich gleichlautenden Inhalten der DDR-Zeitschriften abzugrenzen und ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit zu generieren. Wenige Monate zuvor war die Zeitschrift bereits durch die Veröffentlichung einer Fotografie der Leiche des durch die DDR-Grenztruppen ermordeten Chris Gueffroys in die Kritik geraten.

 

Imagewandel zur Familienzeitschrift?

Das selbsterklärte Ziel der Zeitschrift „Stimme des Ostens“ zu sein, rief bei vielen journalistischen Beobachter*innen starkes Unbehagen hervor: „Der Leser in der ehemaligen DDR vermutet in ihnen die genuine Stimme, die seine Lage beschreibt. Daß es nicht die seine ist, entgeht ihm“, schrieb etwa der damalige Literaturchef der FAZ, Frank Schirrmacher, im Mai 1991.[5] Der Anspruch der Zeitschrift, für eine diffuse ostdeutsche Masse zu sprechen, widerstrebte dem populären Feuilletonisten. Beeinflusst von einer bundesrepublikanischen Spielart der Kritischen Theorie verurteilte Schirrmacher das Blatt als breit angelegten Täuschungsversuch der ostdeutschen Bevölkerung: „Diese Zeitungen [gemeint waren die SuperIllu und die Tageszeitung Super, Anm. des Autors] spielen sich auf als Warner vor dem häßlichen Kapitalismus. In Wahrheit offenbaren sie dessen häßlichstes Gesicht.“[6] 

Redakteur*innen der konservativen Zeitung störten sich immer wieder an der Behauptung einer gesonderten ostdeutschen Identität durch den westdeutschen Burda-Verlag. Ingolf Kern bezeichnete die SuperIlu in der FAZ ein paar Jahre später polemisch als „Spalterpostille“.[7] In linken Kreisen galt die Zeitschrift gar als politisch rechtslastig. Als die SuperIllu sich an der Rettungskampagne für den Radiosender DT64 beteiligte, schmähte der taz-Journalist Hans-Hermann Kotte das Heft entsetzt als „Drecksblatt“.[8]

Der Ruf der Zeitschrift war zu Beginn ihres Erscheinens denkbar schlecht und führte schließlich zu Veränderungen in der Zusammensetzung der Herausgeber*innen. Das indirekt an dem Joint Venture SuperIllu beteiligte Erzbischöfliche Ordinariat Bamberg verkaufte 1992 seine Anteile am Sebaldus-Verlag, um nicht weiter mit „Sex and Crime“ in Verbindung zu stehen. Nachdem der Burda-Verlag 1993 alleiniger Herausgeber der Zeitschrift wurde, zeigte sich die katholische Kirche erleichtert und kaufte ihre Anteile an dem Sebaldus-Verlag zurück.[9]

Prangte auf den frühen Ausgaben der SuperIllu häufig noch der Claim „Aufregend frei“, betonte die Zeitschrift ab 1993 ihre Funktion als Familienzeitschrift immer wieder mit dem Zusatz „Eine für uns“. Die Neuausrichtung ab dem Frühjahr 1993 war eine Reaktion auf den Auflageneinbruch. Nicht länger zierten nackte Frauen, sondern vor allem bekannte Persönlichkeiten der DDR-Unterhaltungswelt die Cover. Von der starken Fokussierung auf Erotik blieb nur noch das „SuperIllu-Girl der Woche“, das sich relativ weit hinten im Heft fand – ein Versuch der Redaktion, bodenständige Erotik zu bieten. Chefredakteur Jochen Wolff erklärte diese Veränderungen damit, dass man sich an die Wünsche der Leser*innenschaft angepasst hätte.[10]

Titelbild der SuperIllu vom 19.1.1995

Die DDR-Vergangenheit fand nun auch abseits von Skandalen im Heft statt. Das Publikum konnte Klatsch und Tratsch über Schlagersänger*innen und Sportler*innen aus dem Osten lesen – ein Angebot, das es in der Medienwelt der DDR nie gegeben hatte. Dazu wurde die politische Blattlinie immer flexibler und auch populäre Politiker*innen der PDS erhielten einen Platz im Heft. In Spannung dazu stand allerdings die über die Jahre konstant gebliebene arbeitgeberfreundliche Haltung der Zeitschrift. Von Beginn an animierte die Zeitschrift ihre Leser*innenschaft etwa zu Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt und zu „Selbstinitiative“.

 

Die Ostdeutschen als Avantgarde der Konsumgesellschaft

Die Selbstinszenierung als „Stimme des Ostens“ zelebrierte die SuperIllu nicht nur gegenüber ihrer Leser*innenschaft. Der Burda-Verlag warb mit dieser Darstellung (vor allem) auch um Anzeigenkund*innen. In dem umkämpften Pressemarkt der 90er Jahre reichte es bei weitem nicht, wenn eine Zeitschrift von der Größe der SuperIllu nur gute Verkaufszahlen vorweisen konnte, denn wirtschaftliche Rentabilität garantierte allein ein großes Anzeigevolumen. Im Jahr 1998 legte der Burda-Verlag die Studie „MarkenRealitäten Ost“ vor, in dem das Unternehmen sein spezifisches Know-How über den ostdeutschen Markt anpries. Der Verlag hatte das Anzeigenvolumen zwischen 1994 und 1998 nach eigener Aussage „annähernd verdoppelt“ und wollte von seinem Zugang zu ostdeutschen Konsument*innen noch stärker profitieren. In der Studie fasste Chefredakteur Wolff das Selbstverständnis der Zeitung prägnant mit dem Bild von einem anthropomorphen Navigationsgerät zusammen: „Wir sind für die Menschen in den neuen Ländern wie ein Kompaß, ein Kompaß, der ihnen Chancen und Perspektiven zeigt und ein Herz für ihre Sorgen und Nöte hat.“[11]

Die Autor*innen der Studie betonten, die Ostdeutschen würden sich von den Westdeutschen zwar in ihren Konsumbedürfnissen unterscheiden, hegten diese Differenz aber mit dem Verweis auf „Regionalität“ ein. In der Sprache der Studie hieß das: „Der Ostdeutsche wird zum Sachsen oder Brandenburger. Ein Deutschland der Regionen“.[12] Der Burda-Verlag begriff die SuperIllu-Leser*innen in den 90er Jahren als Avantgarde eines größeren gesellschaftlichen Trends.

 

Die SuperIllu erforschen

In meinem Forschungsvorhaben frage ich nach der Genese und nach dem Wandel der Zeitschrift sowie deren Funktion im Kontext der sich transformierenden ostdeutschen Gesellschaft. Im Fokus sollen zunächst Fragen danach stehen, in welcher Weise, mit welchen Inhalten und Formaten die Zeitschrift zu einem spezifisch ostdeutschen Bewusstsein beigetragen hat. Dies geschieht mittels einzelner thematischer Sonden, die sich der SuperIllu als Begleitmedium der Transformation, ihrem Umgang mit der DDR-Geschichte und dem medialen Erbe der DDR, ihrer Rolle bei der Ausprägung eines spezifischen Erinnerungsmilieus (Ostalgie/Ost-Identität) und ihrer Stellung in den öffentlichen Debatten über die neuen Bundesländer nähern. Dafür bieten sich besonders die permanenten Rückgriffe auf die Populärkultur der DDR an, etwa die Begleitung und der eigene Beitrag zur politischen Aufarbeitung der Parteidiktatur, sowie die Inszenierung von erotischen Inhalten und Geschlechterrollen. Dabei zeige ich beispielsweise, wie die Zeitschrift Teile der Unterhaltungswelt des ehemaligen „Arbeiter- und Bauernstaats“ aufnahm und ideologisch neutralisiert wieder auswarf. Das Interesse für Schauspieler*innen oder Musiker*innen aus der DDR war in der SuperIllu nun nur noch eine Konsumentscheidung und keine Ablehnung der politischen Ordnung der Bundesrepublik. Besonderes Augenmerk lege ich zudem auf die Berichterstattung über die Privatisierungen durch die Treuhand und die Transformation des Arbeitsmarktes. Allein die in diesem Beitrag thematisierten ersten Jahre der Illustrierten des Burda-Verlags bieten reichhaltiges Material für die Ausweitung der Medien- und Popgeschichte auf die 1990er Jahre.

 


[1] Hans-Dieter Kübler, Ver-Einheit-lichung, Diversifikation und Digitalisierung. Die deutsche Presse in den 90er Jahren, in: Werner Faulstich (Hg.), Die Kultur der 90er Jahre, München 2010, S. 77–102, hier S.81.
[2] Vgl. Peter Hoeres, Zeitung für Deutschland. Die Geschichte der FAZ, München 2019.
[3] Vgl. Michael Psotta, Burda übernimmt SuperIllu vollständig, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 1.10.1993, S. 23.
[4] Dazu Patrice Poutrus, Umkämpftes Asyl. Vom Nachkriegsdeutschland bis in die Gegenwart, Berlin 2019.
[5] Frank Schirrmacher, Phänomen. Die neue Demagogie, in: FAZ, 29.5.1991, S. 29.
[6] Ebd.
[7] Ingolf Kern, Test the East, in: FAZ, Berliner Seiten, 20.07.2001, S. 1.
[8] Hans-Hermann Kotte, ‚Super Illu‘ kämpft für DT64, in: taz, 29.11.1991, S. 22.
[9] Ohne Autor*in, „Beim Geld ist die Kirche keusch“. Die Geschäfte der deutschen Bischöfe, in: Der Spiegel, 10/1995, S. 84 f.
[10] Vgl. Ohne Autor*in, Bißl Freude, in: Der Spiegel, 45/1995, S. 105 f. 
[11] Burda-Verlag (Hg.), MarkenRealitäten Ost. Die Studie zur erfolgreichen Markenführung in den Neuen Bundesländern, München 1998, S. 93.
[12] Ebd., S. 14.