Die Wahrnehmung und Deutung von Denkmälern, also deren Rezeption, ist in aller Regel uneindeutig und mitunter äußerst konfliktbehaftet. Das bezeugen regelmäßige geschichts- und erinnerungspolitische Debatten zu Denkmälern, wie sie etwa seit längerem zu den Konföderierten-Denkmälern in den USA[1]  oder Kolonialdenkmälern[2] in ehemals kolonisierten oder kolonisierenden Ländern geführt werden. Die derzeitigen Diskussionen zum Umgang mit Denkmälern sind spannend, weil daran und durch die Diskussionen darum und damit verbundene Aktionen, wie etwa Denkmalsstürze, auch nicht-autorisierte, nicht-privilegierte Deutungen von Geschichte sichtbar werden.

 

Beispiel: Denkmal von Robert E. Lee

Dies zeigt beispielhaft das oben gezeigte Artikelbild eines Denkmals für General Robert E. Lee, der im US-amerikanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Südstaaten, der Konföderierten, stand und lange Zeit in der offiziellen Deutung als einer der "erfolgreichsten Generäle"[3] des Bürgerkriegs in die Geschichte der USA eingeschrieben war. Als solcher kämpfte er unter anderem gegen das Sklaverei-Verbot, für das sich die Nordstaaten, die Staaten der Union, einsetzten. Mit zunehmender Sensibilität in den öffentlichen Debatten der USA für das Thema Rassismus und damit auch Sklaverei als historisch besonders bedeutsamer Erscheinung von Rassismus in den USA scheint es unausweichlich, dass sich der Protest ebenfalls gegen die Person Robert E. Lee, verkörpert durch große prominent platzierte Statuen, richten würde.

Das Bild vermag dabei den Konflikt verschiedener Deutungen des Denkmals aufzuzeigen: Das überlebensgroße Monument des Generals steht weiterhin im tatsächlichen Wortsinne "erhaben" mit Blick auf die umliegende Siedlung, während an seinem Sockel starker Protest dagegen in Form von Graffiti, Transparenten, Plakaten, Schildern u.a. sichtbar wird. Als autorisierte, privilegierte Deutung der Geschichte ließe sich hier die Statue selbst lesen, die immer noch an ihrem Platz steht und damit das Abbild von Robert E. Lee als einem großen General unterstreicht. Als nicht-autorisierte, nicht-privilegierte Deutung wiederum erscheinen die Proteste gegen diese Statue an deren Sockel, die die Größe der Persönlichkeit Robert E. Lee und damit auch die Setzung eines Denkmals für diesen offensichtlich in Frage stellen.

 

Deutungen von Denkmälern ändern sich

(Be-)Deutungen und ihre Konstruktion sind folglich nicht universell und statisch, sondern verändern sich je nach Orientierungsbedürfnissen in der Gegenwart stetig. In Bezug auf Denkmäler wird dies am prägnantesten daran ersichtlich, dass das, woran sie erinnern, mit der Zeit seine Bedeutung verändern kann. Dies geschieht oft auch in direkter Auseinandersetzung mit bisherigen Konnotationen und Deutungsangeboten. So wurde beispielsweise das Bremer "Kolonial Ehrenmal" (auch „Kolonialelefant“ genannt), das 1931 als Protest gegen den Versailler Vertrag und als Demonstration für die Wiedererlangung der deutschen Kolonien errichtet worden war, in den 1990er Jahren historisiert und öffentlich zu einem anti-kolonialistischen Denkmal umgewidmet.[4]

Ursprünglich gedachte Bedeutungen von Denkmalern können sich also über die Zeit verschieben oder gar in Vergessenheit geraten, wenn sie irrelevant oder abgelehnt werden.[5]

 

Der Kolonialelefant in Bremen: heute ein Anti-Kolonial-Denkmal. Wattmann: 20120520 Bremen, via Flickr, 20.05.2012, CC BY-NC- 2.0 ).

 

Denkmalssturz

Mitunter werden Denkmäler aber auch umgedeutet, verändert oder zerstört – es kommt zum Denkmalsturz. Damit sind hier nicht nur im wortwörtlichen Sinne materielle Zerstörungen gemeint, wie etwa die prominente Demontage des Saddam-Hussein-Denkmals im Irak durch US-amerikanische Soldat*innen 2003, sondern auch weniger destruktive Veränderungen wie Graffitis, Kunstaktionen, Umwidmungen oder die Errichtung von Gegendenkmälern. Als Denkmalsturz können mithin alle Interventionen verstanden werden, die bestimmte Deutungsangebote des Denkmals entkräften (sollen). Das schließt ­– wenn man in die Denkmaldefinition auch sprachliche Denkmäler miteinschließt (siehe den Beitrag "Definitionen") sprachliche Interventionen, wie etwa Begriffsveränderungen oder -vermeidungen, wie beispielsweise die bewusste Wahl des Begriffes "NS-Zeit" statt "Drittes Reich" oder "Reichspogromnacht" statt "Reichskristallnacht", mit ein. Nach Biljana Menkovic zeigen Denkmalstürze auf, wie vergänglich, wenig verbindlich und teilweise mit der Zeit nicht mehr verständlich die bei der Produktion angedachte Bedeutung des Denkmals sei.[6]

 

Denkmalssturz als Widerstand

Die Philosophin Judith Butler betont die Bedeutung von Widerstand gegen (vormals) autoritativ wirkende performative Sprechhandlungen, die unter anderem mit Exklusionsprozessen einhergehen.[7] In Bezug auf Denkmäler lässt sich dies so verstehen, dass Denkmalstürze Widerstand gegen festgeschriebene privilegierte Deutungen von Geschichte sind, die andere Deutungen durch die Setzung eines Denkmals für ein spezifisches Deutungsangebot ausgeschlossen haben. Mit Jacques Derrida führt Butler weiter aus, dass eine im Vorgang der (Sprech-)Handlung autorisierte Äußerung den Bruch mit einem früheren Kontext ermögliche und damit einen neuen Kontext und eine neue Art der Rezeption schaffen könne.[8] Denkmalsstürze legitimieren sich also in ihrem Akt selbst und schaffen damit die Möglichkeit des Umdenkens und Neulesens von Denkmälern. So kann es gelingen, vormalige Denkmal-Setzungen und damit Setzungen bestimmter Narrative und Deutungen, zu verschieben, zu kontrastieren, differenzieren oder gar aufzuheben. Dies kann beispielsweise durch die Setzung von Gegendenkmälern etwa als Mahnmale, durch Aneignung in Kunstaktionen und durch historisch-politische Kontextualisierung mittels zusätzlicher Tafeln geschehen[9] – durchaus in verschiedene politische Richtungen, die teilweise veränderte, neu-autorisierte Deutungsangebote widerspiegeln, teilweise aber auch nicht-privilegierte gesellschaftliche Positionen anzeigen.

 

Denkmäler sind Gegenstand von Deutungsaushandlungen

Denkmäler stehen also in (veränderbaren) Kontexten zu ihrer Umgebung, zu anderen Denkmälern, zu gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen und Strukturen.[10] Als Geschichts-Sorte stehen viele von ihnen immer wieder im Zentrum der Aushandlung des kollektiven Gedächtnisses bzw. gesellschaftlichen Selbstverständnisses. Sie sind öffentlich zugänglicher Ausdruck von Geschichtsbewusstsein, die rezipiert und produziert werden. Ihre Wirkung und Bedeutung als Geschichts-Sorte und Ausdruck von Geschichtskultur zeigt sich stetig in breiten öffentlichen Debatten, wie oben gezeigt. Dabei wird auch deutlich, dass insbesondere die emotionale und identitätsstiftende Bedeutung von Denkmälern für Einzelpersonen und Gruppen nicht unterschätzt werden sollte, die hier beispielhaft in der Bereitschaft der aktiven Auseinandersetzung mit dem Denkmal in Form von Protest in verschiedenen Ausführungen sichtbar wird.

 

[1] Siehe etwa Ilya Somin: The case for taking down Confederate monuments, 17.05.2017, in: Washington Post, zuletzt aufgerufen am 02.08.2017.
[2] Ciani-Sophia Hoeder/Mohamed Amjahid: Von den Sockeln? Sollten wir Kolonialdenkmäler abreißen – oder sie als Mahnmal behalten? Unsere Autorin und unser Autor streiten, 14.07.2020, in: fluter, zuletzt: aufgerufen am 15.10.2022.
[3] Robert Edward Lee, 18.01.2022, in: National Park Service, zuletzt: aufgerufen am 22.11.2022.
[4] Winfried Speitkamp: Kolonialdenkmäler, in: Jürgen Zimmerer (Hg.). Kein Platz an der Sonne. Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte. Frankfurt am Main 2013, S. 409–423, hier S. 420.
[5] Knut Hickethier: Einführung in die Medienwissenschaft, Stuttgart 2003, S. 68.
[6] Biljana Menkovic: Politische Gedenkkultur. Denkmäler – die Visualisierung politischer Macht im öffentlichen Raum. Wien 1999, S. 2, 15, 17. Siehe dort auch zu Denkmalstürzen als symbolische Handlung zur „Auslöschung der Erinnerung“.[7] Judith Butler: Haß spricht. Zur Politik des Performativen. Frankfurt am Main 2006, S. 249. In dem Buch geht es vorrangig um sprachliche Handlungen, Butler bemerkt jedoch, dass auch nicht-sprachliche Handlungen „als gesellschaftliche Rituale, als wirkungskräftige Praxisformen“ (ebd.) wirksam sein könnten. Als solche werden hier auch Denkmäler verstanden.
[8] Judith Butler: Haß spricht. Zur Politik des Performativen. Frankfurt am Main 2006, S. 250.
[9] Biljana Menkovic: Politische Gedenkkultur. Denkmäler – die Visualisierung politischer Macht im öffentlichen Raum. Wien 1999, S. 154.
[10] Wolfgang Hardtwig: Denkmal, in: Klaus Bergmann/Klaus Fröhlich/Annette Kuhn/Jörn Rüsen/Gerhard Schneider (Hg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, 5. Aufl. Seelze-Velber 1997, S. 747–752, hier S. 751.