von Lara Danyel

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1. Mai 2015

Krieg ist Gegenwart. Dazu gehören europäische Auslandseinsätze in Mali oder dem Kosovo ebenso wie Bürgerkriege in Zentralafrika, Syrien oder der Nah-Ost-Konflikt. Wenn in den Medien die Opfer der Bürgerkriege gezählt und Versorgungsnotstände beklagt werden, wenn Kriegsflüchtlinge im Mittelmeer sterben, dann bleibt uns das trotz aller Live-Berichte und Visualisierungen fern.
Jene Generation, die (Welt-)Kriege miterlebt und miterlitten hat, wird uns nicht mehr lange von ihren Erlebnissen und von dem Gefühl, was es bedeutete, einen Krieg zu durchleben, erzählen können. Gleichzeitig aber leben wir in einer Gesellschaft, deren Identität immer auch mit der Frage der Kriegsschuld verbunden ist.

Am 8. Mai 1945 trat die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht in Kraft. Seitdem sind 70 Jahre vergangen. Wenn ich, 1995 geboren, in Geschichtsbüchern Texte über den Zweiten Weltkrieg und die Zeit des Nationalsozialismus lese, wir in Seminaren an der Universität den Faschismus, die Weimarer Republik und Ideologietheorien behandeln, dann bleibt die Perspektive des Kriegsalltags in der Regel unbeachtet.

Was bedeutet es, aufzuwachen und es ist Krieg? Welche Wege wählen Menschen auf der Flucht? Können sie überhaupt noch wählen? Welchen Gefahren begegnen sie? Welche Werte, die wir heute als selbstverständlich hinnehmen, stellt das Überleben im Krieg in Frage? Und wie erinnern sich Menschen, wenn der Krieg schon lange vorbei ist?

Mit dem Projekt Nachkriegskinder, einer Interviewreihe mit Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges, soll der Fokus auf die Komplexität der Gefühle und Ereignisse, auf die Grausamkeit und die Normalität des Krieges, mithin auf den Alltag von Krieg, Vertreibung und Flucht gelegt werden.
In unseren Interviews geht es um die Sicht der Kinder im und nach dem Krieg. Wie nahmen Kinder, die in Zeiten des Krieges aufwuchsen, die Geschehnisse wahr? Wie gingen sie mit Angst, Verlust und Tod um? Wie erlebten sie Glück oder Freude in Zeiten, die von der Sorge um das tägliche Überleben geprägt waren?

Meine Herangehensweise in diesem Projekt ist zwangsläufig eine sehr subjektive - dessen bin ich mir bewusst. Es ist die Perspektive, die ich nicht in Lehrbüchern gefunden habe. Es geht mir darum, ins Gedächtnis zu rufen, was es bedeutete, den Kriegsalltag als Kind zu erleben. Im Verlauf der Interviews wurde deutlich, dass jene, die den Krieg erlebt haben, sich nichts mehr wünschen, als dass es nie wieder Krieg gibt. Das Projekt Nachkriegskinder soll daran erinnern.

Die Interviewreihe ist im Rahmen eines studentischen Praktikums in der Redaktion Zeitgeschichte-online am Zentrum für Zeithistorische Forschung unter der Anleitung von Annette Schuhmann erarbeitet worden. Wir werden, beginnend mit dem 8. Mai 2015, in regelmäßigen Abständen Interviews veröffentlichen, die die Lebensabschnitte von Zeitzeugen zwischen Kriegsbeginn und den ersten Nachkriegsjahren dokumentieren.

Angaben zum Copyright des Videos und der Musikeinspielung:

Video: "ARC Identifier 14166 / Local Identifier 111-ADC-359 - Department of Defense. Department of the Army. Office of the Chief Signal Officer. (09/18/1947 - 02/28/1964) - 1945 - - Copied by Thomas Gideon" ( hochgeladen auf Youtube von PublicResourceOrg)

Musik: Piano Sonata No. 7 by Peter Bille Larsen

 

Julia - „Es ging einfach weiter..."

Die Interviewreihe beginnt mit Julia, geboren im Jahr 1939, die sich nach dem Einmarsch der Roten Armee in Königsberg mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern auf die Flucht begeben musste. In den verschiedenen Stationen durch Stolp, Kranz, Kösslin und schließlich Oldenburg musste sie lernen, mit Tod und Abschied umzugehen. Sie erlebte, was es heißt, Flüchtling zu sein. Hinzu kam jedoch das Glück eines unerwarteten Wiedersehens und der Aufbruch zurück in die Großstadt.
(Foto: Julia, Oldenburg 1949/1950, Mit freundlicher Genehmigung)

 

 

Ingrids Konfirmation im Jahr 1951 fand in der Gethsemanekirche in Berlin Prenzlauer Berg statt.Ingrid - Das war einfach so...."

Ingrid, geboren 1936 in der Wichertstraße in Berlin Prenzlauer-Berg, wird 1942 mit ihrer Schwester und ihrer Mutter nach Pommern evakuiert. Die Zeit in Berlin war geprägt von der Angst vor Bombenangriffen und klaustrophobischen Aufenthalten in den Luftschutzkellern. Die Evakuierung hieß für Ingrid: endlich kein durchdringender Sirenenlärm mehr, dafür viel Freiheit. Nach einem missglückten Fluchtversuch kam es zu einer ersten Begegnung mit der Roten Armee. Im Jahr 1947 kehrt die Familie zurück zu Ingrids Vater nach Berlin.
(Foto: Ingrids Konfirmation, Berlin 1951, Mit freundlicher Genehmigung)

 

 

Edith in Vienau (1947) Edith - „Mit zehn Jahren war meine Kindheit zuende"

Edith, geboren 1935 in Neutitschein im Kuhländchen, erlebt noch in den ersten Kriegsjahren eine unbeschwerte Kindheit. Im Zuge der "Wilden Vertreibungen" (1945) verliert die Familie ihren Hotelbetrieb und damit ihre Lebensgrundlage. Am Existenzminimum lebend, muss Edith über Nacht erwachsen werden.
(Foto: Edith, Vienau 1947, Mit freundlicher Genehmigung)