von Elżbieta Janicka

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14. Mai 2024

In der Wochenendausgabe vom 20./21. April 2024 erschien in der polnischen Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ in der Rubrik „Ale Historia“ ein Text von Elżbieta Janicka unter dem Titel „Negacjonizm po polsku“ (Negationismus auf polnische Art). Der Text leistet einen Beitrag zur Diskussion über Institutionen des polnischen Staates, die eine Gegengeschichte produzieren und mit außerordentlichen Propagandamitteln ausgestattet sind. Es geht sowohl um das durch das autoritäre PiS-Regime geschaffene Pilecki-Institut als auch um das nach 1989 ins Leben gerufene Institut für nationales Gedächtnis (Instytut Pamięci Narodowej, IPN). Die Institutionen, die ein Instrument zur Bekämpfung der kritisch-analytischen Holocaustforschung sind, setzen ihre Tätigkeit nach dem Sieg des demokratischen Spektrums bei den Wahlen im Oktober 2023 ungebrochen fort. Die Autorin zeigt, wie sehr das vom polnischen Staat finanzierte Treblinka-Museum (Muzeum Treblinka) Teil des Problems der Gegengeschichte ist. Zu diesem Zweck analysiert Janicka die Praktiken des Muzeum Treblinka auf dem Gelände des ehemaligen deutschen nationalsozialistischen Vernichtungslagers Treblinka II (19421943), des ehemaligen NS-Arbeitslagers Treblinka I (19411944) sowie der ehemaligen Bahnstation im Dorf Treblinka. Alle drei Orte gehören zum Muzeum Treblinka. Die Beweisführung stützt sich u.a. auf Fotos, die der Historiker Reinhart Koselleck bei seinem Besuch im November 1996 auf dem Bahnhof in Treblinka und dem ehemaligen Gelände von Treblinka II und I machte.  

 

Negationismus auf polnische Art

Die Diskussion um das Institut für Nationales Gedächtnis (Instytut Pamięci Narodowej, IPN) und das Pilecki-Institut (Instytut Solidarności i Męstwa im. Witolda Pileckiego) ist derzeit in vollem Gange. Beide Institute dehnen ihre Tätigkeit in Polen und im Ausland mit immensen finanziellen und gesellschaftlichen Kosten aus, mit der Folge, dass die Geistes- und Sozialwissenschaften, verstanden als Unterfangen der Erkenntnis und nicht des Bekenntnisses, extrem unterfinanziert sind. Der Preis, der dafür gezahlt wird, ist sehr hoch und betrifft auch die fehlende Vermittlung von Forschungsergebnissen und ihre Unterdrückung in direkter Weise: durch das Abdrehen des Geldhahns und Gerichtsprozesse gegen Holocaustforscher*innen[1] sowie in indirekter Weise: durch die Schaffung eines Gegenbildes zur historischen Wirklichkeit, welche den liberal-demokratischen, bürgerlichen Rahmen des Staates und der Gemeinschaft unterminieren. Ein Teil dieses Gegenbildes ist die negationistische Konfiguration, die das Pilecki-Institut ohne zu zögern unterstützte. Diese Konfiguration trägt den Namen Treblinka-Museum: Muzeum Treblinka. Niemiecki nazistowski obóz zagłady i obóz pracy (1941–1944).  

Treblinka ist nach Auschwitz-Birkenau das größte nationalsozialistische Vernichtungslager. Treblinka ist Mord- und Ruhestätte von fast einer Million jüdischer Opfer, die hauptsächlich, aber nicht ausschließlich, aus Polen stammten. Transporte kamen aus fast allen von den Deutschen besetzten Ländern Europas an.

Das Muzeum Treblinka umfasst das ehemalige Gelände des Bahnhofs im Dorf Treblinka, das ehemalige Gelände des deutschen nationalsozialistischen Todeslagers Treblinka II (19421943), des deutschen nationalsozialistischen Arbeitslagers Treblinka I (1941–1944), des Schwarzen Weges, der beide Lager verbindet, sowie das Gelände der zum Arbeitslager gehörenden Mordstätte (miejsce straceń) und Kiesgrube.

Holocaustleugnung im transatlantischen Sinne („Auschwitz-Lüge“) existiert in Polen nicht. Negationismus auf polnische Art ist das Übergehen der polnischen historischen Realität des Holocaust und das Verneinen des Ortes und der Rolle der Polen in der Struktur des Verbrechens.

 

Die Bahnstation Treblinka

Die Ausraubung lebender und toter Juden begann nicht in Treblinka und endete nicht in Treblinka. Den systematischen Charakter und den europäischen Kontext dieses Phänomens analysierte Jan Gross in Zusammenarbeit mit Irena Grudzińska-Gross in dem Buch „Goldene Ernte“.[2] Wenn man jedoch den Blick auf die Lagerkonstellation begrenzt, begann das Eldorado Treblinka an der Bahnstation ein paar Kilometer vom Todeslager entfernt, die zugleich den Personen- und Güterverkehr nach dem gewöhnlichen Fahrplan vollzog.

Der Ingenieur Jerzy Królikowski, einquartiert im Dorf Treblinka wegen seiner Arbeit an einem nahegelegenen Brückenbau, schreibt in seinen „Erinnerungen aus der Umgebung von Treblinka während der Zeit der Okkupation“[3] über die die Todestransporte belagernden polnischen Menschenmengen: „Als ich zum ersten Mal von Weitem diese Menschen am Zug sah, glaubte ich, sie kämen aus edelmütigem Mitleid, um den in den Waggons Eingeschlossenen und Durstigen zu trinken und zu essen geben. Die von mir befragten Arbeiter machten meine Illusionen zunichte, als sie sagten, dass es sich um gewöhnlichen Handel mit Wasser und Lebensmitteln handele und das zu hohen Preisen.

[…] Wenn der Transport nicht von der deutschen Gendarmerie, die niemanden an diesen heranließ, bewaffnet begleitet wurde, sondern durch alle anderen Einheiten deutscher Söldner, lief eine große Anzahl von Menschen mit Wassereimern und Flaschen heimlich selbstgebrannten Wodkas in den Taschen zusammen. Das Wasser war zum Verkauf für die in den Waggons Eingeschlossenen bestimmt und der selbstgebrannte Wodka als Bestechung für die bewaffneten Begleiter, die im Gegenzug zustimmten, die Leute an die Waggons heranzulassen. Wenn es keinen selbstgebrannten Wodka gab oder die bewaffneten Begleiter sich mit dieser Art Bestechung nicht zufriedenstellen ließen, warfen ihnen die Mädchen die Arme um den Hals und überschütteten sie mit Küssen, nur um die Erlaubnis zu bekommen, an die Waggons heranzukommen. Nachdem sie die Erlaubnis erlangt hatten, begann der Handel mit den unglücklichen Gefangenen, die vor Durst starben und 100 PLN für einen Becher Wasser bezahlten. Es gab angeblich auch Fälle, dass man sich Hundert-Złoty-Scheine nahm und kein Wasser gab.“[4]

 

Nach Golde drängte alles

Szymon Frajermauer, der den Holocaust in der Sowjetunion überlebt hatte und Ende der 1950er Jahre nach Treblinka als den Ort fuhr, an dem seine  jüdische Familie aus Częstochowa ermordet worden war, sprach von denen, die Beute machten („nałapali“) und sich regelmäßig und übermäßig bereicherten („nabogacili“): „Denn als diese Waggons fuhren, wollte jemand Wassergläser oder Abwaschwasser, um zu trinken, er aber wollte dann [im Gegenzug dafür] einen Brillanten, und als er Gold sah, wollte er [es] nicht, er wollte unbedingt einen Brillanten für ein halbes Glas Wasser.“[5]

Das Gesicht Henryk Gawkowskis kennt die Welt vom Plakat des Films „Shoah“. Gawkowski ist einer der polnischen Eisenbahner der Ostbahn, die zwischen dem Warschauer Umschlagplatz und dem Bahnhof Białystok Poleski und Treblinka hin- und herfuhren und Juden und Jüdinnen in das Todeslager beförderten. Gawkowski sagte zu Claude Lanzmann über die die Züge belagernde polnische Menge auf der Station im Dorf Treblinka: „Nach Golde drängte alles.“[6] Die Berichte von Polen und Juden sind in dieser Hinsicht gleichlautend.

Die Transporte waren so dicht umringt, dass die ukrainischen und baltischen Aufseher – manchmal auch die polnischen Polizisten – zur Abschreckung schießen mussten, damit die Menge auseinandertrat und sich ein weiterer Schub Waggons in Richtung Todeslager bewegen konnte. Die bewaffneten Begleiter schossen dann dazu in die Luft. Außerdem schossen sie fast ohne Pause auf Juden und Jüdinnen.

Die Ehefrau des Ingenieurs Królikowski verließ das Dorf aus Sicherheitsgründen, „weil sie den ganzen Tag in einem Haus war, in dessen Richtung sehr oft Schüsse fielen, die von der Station abgegeben worden waren…“. Die Untergebenen des Ingenieurs „hörten auf, auf der Straße zur Arbeit zu gehen, weil diese dicht neben dem Gleis und der Bahnstation verlief. Wir gingen auf Pfaden, über Wiesen, Umwege machend, aber dadurch die Notwendigkeit vermeidend, auf die Erde fallen zu müssen, wenn die Schießerei begann.“[7]

Jüdische Opfer wurden massenweise getötet: „Im Laufe eines Tages wurden die Leichen von der Station auf einigen der Plattformwagen gesammelt und zum Todeslager gebracht.“[8] Während des anderthalbjährigen Bestehens des Vernichtungslagers und der systematischen Ausplünderung und Ermordung der Juden auf dem Bahnhof im Dorf Treblinka, starb einer der Polen, die in großer Zahl auch aus den entferntesten Richtungen an diesen Ort kamen, um Juden und Jüdinnen auszurauben. Niemand wollte sich zu ihm bekennen. Das Pfarramt der Pfarrgemeinde Prostyń, zu der Treblinka gehört, entschied über die Liquidierung seines Grabes.

 

Stolz aus Scham

»Den Menschen muss man mit dem Maß des Herzens messen« – Johannes Paul II. Zur Erinnerung an Jan Maletka, ermordet von den Deutschen wegen seiner Hilfe für Juden. Zur Erinnerung an die im deutschen nationalsozialistischen Vernichtungslager in Treblinka ermordeten Juden.“ verkündet die polnische Inschrift. Darunter das Gleiche auf Englisch. Der Stein mit der Tafel dieses Inhalts wurde im November 2021 am Ort des Bahnhofs in dem Dorf Treblinka enthüllt.  

Zweifellos brennt die Mütze auf dem Kopf eines Diebes (polnisches Sprichwort), wie man in Treblinka auf der anderen Seite des Baches sagt, um auszudrücken, dass sich ein Dieb selbst verrät. Indes, es war nicht Jan Maletka, der sich die Rolle eines erinnerungswürdigen Wohltäters unter Aufopferung seines Lebens zuschrieb. Auf dem Denkmal steht der Name des Pilecki-Instituts. Für alle Fälle zeichnete es, indem es sich eines lebendigen Schutzschildes in Gestalt des kollektiven Subjekts „die Bewohner“ bediente. Das Subjekt wurde zu diesem Zweck zum Objekt gemacht, denn niemand der Bewohner*innen weiß etwas über das Thema. Das Dorf hatte zwar Unterschriften gesammelt, aber für eine andere Gestaltung der ehemaligen Station.

Jan Grabowski schrieb über dieses Thema einen Artikel unter dem Titel „Polnisches Denkmal der Tugendhaftigkeit, das heißt der Skandal in Treblinka“, der in der „Gazeta Wyborcza“ und danach in der „New York Times“[9] erschien. Die Sache griff auch die israelische Tageszeitung „Haaretz“ auf. Das Pilecki-Institut ist Gegenstand von Witzen auf internationalen Konferenzen der Holocaustforscher*innen. Und das Denkmal auf der Station in Treblinka, einmal errichtet, steht weiterhin.

Negationismus auf polnische Art basiert somit nicht nur auf der Negation von Fakten, sondern auch auf der Herstellung „alternativer Fakten“. „Alternative Fakten“ werden indes völlig von null an generiert. Ein Beispiel ist das Denkmal, das Professor Magdalena Gawin, die Gründerin des Pilecki-Instituts, damals im Amt der Vizeministerin für Kultur und Nationales Erbe, für eine ihrer Verwandten „ermordet wegen Hilfe für Juden“ errichtete. Sie ließ es aufstellen, obwohl es dafür keinen Grund gab, außer dass sie es wollte und konnte. Veröffentlichungen in der Presse zu dem Thema erschienen auch in einigen anderen Ländern und in verschiedenen Sprachen. Auf der Bahnstation in Treblinka schuf das Pilecki-Institut „einen alternativen Fakt“ durch die Methode der Ausgestaltung „eines Faktes alten Typs“ in der entgegensetzten Bedeutung des ursprünglichen. Diese Art des Spezial(d)ef(f)ektes pflegte Lew Rubinstein als Stolz aus Scham zu bezeichnen.

Das Pilecki-Institut ist hier nicht der einzige Akteur. Als jemand es am Ende nicht mehr aushielt und, die polnischen Geschäfte „auf Juden“ zuvor mit „dem Maß des Herzens“ gemessen habend, das Denkmal mit feuerwehrroter Farbe übergoss, entfernte das Muzeum Treblinka unverzüglich das, was es als Schaden definierte. Somit nicht das Denkmal, keineswegs, sondern die rote Farbe, und das obendrein oberflächlich und schlecht. Das Museum sparte jedoch nicht an einer Überwachungsanlage. Und so wurde die ehemalige Baumzeile durch einen Wald von Kameras ersetzt.

Denkmal auf dem ehemaligen Bahnhofsgelände im Dorf Treblinka. Vor dem Denkmal steht ein Grablicht mit Kreuz und der Plakette „Muzeum Treblinka – Pamiętamy“ („Muzeum Treblinka – Wir erinnern“). Foto: Elżbieta Janicka, 27. Dezember 2023

 

Amor Patriae suprema lex

Unter dem negationistischen Denkmal brennt ein Grablicht mit goldenem Kreuz und der Aufschrift: „Muzeum Treblinka – wir erinnern.“ Das Muzeum Treblinka ist eine staatliche Institution. Der Staat bleibt nominal weltlich. Dennoch versiegelt sich diese Einrichtung mit Kreuzen, und sie macht das systematisch. Auf dem Grab des unbekannten Soldaten im nahe gelegenen Prostyń brennt ein identisches Grablicht auf einer mit einem Kreuz gekrönten Platte mit der lateinischen Inschrift „Vaterlandsliebe ist oberstes Gesetz“, ganz so, als ob die Mission des Museums die Legitimierung dieses Mottos wäre anstelle der Bewusstmachung seiner Konsequenzen.

Interessant ist nicht nur, was und wie das Muzeum Treblinka „erinnert“, sondern auch, seit wann es das macht. Die Direktion des Museums hat sich seit 1996 nicht verändert. Im November jenes Jahres unternahm der Historiker, Theoretiker der Historiografie und Fotograf Reinhart Koselleck eine fotografische Dokumentation des Bahnhofs, des Geländes des ehemaligen Todeslagers und des ehemaligen Arbeitslagers.

Im Dorf Treblinka existierten damals Gleise, Signalmaste und zwei Stellwerksgebäude sowie zwei Transformatorenstationen. Es standen auch drei andere Originalgebäude der Station, von denen eines seither abgerissen wurde, anstatt es nach einem Brand zu renovieren.[10] Genau zu sehen sind die Umrisse der Bahnsteige, vier Blumenkübel und Stelen mit der Aufschrift „Niemals wieder Krieg“ („Nigdy więcej wojny“) und „Niemals wieder Treblinka“ („Nigdy więcej Treblinki“). Hier, von Osten und von Westen mit Bäumen umrahmt, existierte noch im Jahr 2015 ein asphaltierter Platz zwischen den ehemaligen Gleisen und dem Nebengleis, und parallelverlaufend eine vielbefahrene Straße. Hier, im Schatten der Pappeln auf dem Platz, tummelten sich die „unmenschlichen Polen“, wie es in einem Bericht der Jüdischen Historischen Kommission in Białystok über Menschen dieses Typs heißt.

All das wurde sorgfältig dem Erdboden gleichgemacht, der Asphalt wurde herausgerissen, die Pappeln gefällt, obwohl das der Bau der Wojewodschaftsstraße an der Stelle der Bahngleise nicht erfordert hätte. Die Zerstörung war jedoch unentbehrlich, um den Ort von Grund auf neu und gemäß den eigenen Bedingungen einzurichten: den Ort bis zur Unkenntlichkeit zu verändern und ihn mit einer Gegengeschichte auszustatten. Nur dank dieser Zerstörung konnte das Ministerium für Kultur und Nationales Erbe spezielle Forschungen finanzieren, die zum Ziel hatten, „die Topografie des ehemaligen Bahnhofs Treblinka“ wiederherzustellen. Bis in die kleinsten Details kann man dadurch jeden der in dem Dorf wohnenden Bahnarbeiter benennen, wenn nicht die Mehrheit der Bewohner*innen. Etwas zwischen einem Stoff für ein Kabarett und einer Information der Obersten Kontrollkammer (polnisches Äquivalent des Bundesrechnungshofs).  

 

Reklamefläche

Der frühere tödliche Marktplatz erinnert heute an eine Reklamefläche. Die an diesem Ort vorherrschende Kakofonie der Artefakte setzt sich nämlich auch aus Informationen über die Sponsoren zusammen. Neben dem Pilecki-Institut bringen sich hier nicht nur das Ministerium für Kultur und Nationales Erbe in Erinnerung, die Kommunalbehörden der Wojewodschaft „Masowien – Herz Polens“, sondern auch das Bildungswerk Stanisław Hantz, ein Verein benannt nach dem „polnischen Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz I, Auschwitz-Birkenau, Groß-Rosen, Hersbruck, einem Nebenlager von Flossenbürg, und schließlich Dachau“.[11] Auf der zweiten Seite der früheren Gleisanlage, an der Stelle, wo das Schild mit dem Namen der Station stand, lenkt der Ortsvorsteher (sołectwo) unsere Aufmerksamkeit auf „eine Eiche der Erinnerung gepflanzt zum Andenken an den hundertjährigen Jahrestag der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Polens“, wie auf einer Tafel vor Ort zu lesen ist. 

Zurück zum Ort des Marktplatzes: wir sehen dort auch die Vermarktung der Region. Über das nahegelegene Prostyń lesen wir zum Beispiel: „Am Ort der im Jahr 1511 von den Erben des Dorfes Prostyń gegründeten Kirche befindet sich gegenwärtig die Katholische Basilika der Allerheiligsten Dreifaltigkeit und der Heiligen Anna. Im Jahr 1920 fand dort die Vereidigung der Division der Husaren des Todes statt. Während des Zweiten Weltkriegs entstand in Treblinka auf dem Gebiet der Pfarrei das Arbeitslager für Polen und das Vernichtungslager, in dem die Deutschen ungefähr 900 000 Juden ermordeten. Am 19. Juli 1944 sprengten die sich zurückziehenden Deutschen die Kirche in die Luft.“

Auch in den anderen Erklärungen historischen Anstrichs wird kein Wort über den polnischen Kontext der Ereignisse auf der Station gesagt. In der oben zitierten Passage findet sich dagegen die Polonisierung des Arbeitslagers Treblinka, d.h. die Herstellung einer falschen Symmetrie zwischen den Lagern Treblinka I und Treblinka II, die gewöhnlich, auch von Mitarbeiter*innen des Muzeum Treblinka, polnisches Lager und jüdisches Lager genannt werden. So werden wir langsam damit vertraut, welche Botschaft das Muzeum Treblinka für uns hat.

 

Treblinka II

Die Situation auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers Treblinka II verdient eine eigene, den Rahmen dieses Textes überschreitende Besprechung. Ich erwähne nur die Wertschätzung des Muzeum Treblinka für die sogenannte polnische Empfindlichkeit, d.h. die komplette Unempfindlichkeit der Besucher*innen, die von Angesicht zu Angesicht mit den sterblichen Überresten von fast einer Million Juden, einen lauten und weit vernehmlichen Schrei ausstoßen: „Hier gibt es nichts zu sehen.“

Damit es etwas zu sehen gibt anstatt nichts, hat das Museum als Wache für die Aschefelder eine Dauerausstellung der vom letzten Lagerkommandanten Kurt Franz angefertigten Fotografien aufgestellt. Mit der Geste sadistischen Vergnügens porträtierte Franz die gigantischen Greifbagger, die dazu dienten, Gräben auszuheben, in welche die Körper der ermordeten jüdischen Menschen geworfen wurden, sowie die bereits im Zerfall begriffenen Leichen, einmal schon begraben, wieder herauszuholen mit dem Ziel ihrer weiteren Zerstörung. Man muss keine Ader für Heimwerker-Baukasten haben, um dem Direktor Edward Kopówka zuzustimmen, dass so ein Bagger wirklich etwas Beeindruckendes ist![12]

Das im Jahr 1964 eingeweihte bildhauerisch-räumliche Projekt für Treblinka von Adam Haupt, Franciszek Duszeńka und Franciszek Strynkiewicz (Gewinner im Wettbewerb des Ministeriums für Kultur und Kunst im Jahr 1955) gehört zu den hervorragendsten Projekten in der Kunstgeschichte weltweit. Der Ausgangspunkt für diese Arbeit war das Bedürfnis, der systematischen und systemischen Ausbeutung der sterblichen Überreste der polnischen Juden und Jüdinnen durch polnische Christen bei der Suche nach „jüdischem Gold“ aus dem antisemitischen Phantasma ein Ende zu setzen. In der ersten Hälfte der 1960er Jahre wurde das Gelände mit Beton übergossen. Auf dem Beton wurden Steine aufgestellt. Auf einem Teil der Steine wurden die Namen der jüdischen Gemeinden, deren Bewohner*innen in Treblinka ermordet wurden, eingemeißelt.

Auf der Grundlage der Dokumentation Kosellecks lässt sich annehmen, dass dies zumindest bis 1996 der Fall war, also bis zur Ernennung der gegenwärtigen Leitung der Einrichtung. Heute erwartet uns in Treblinka eine Überraschung in Form eines Steines mit der Aufschrift „Jedwabne“. Die polnischen Geschäfte in Treblinka – diesmal symbolisch – enden somit nicht auf dem früheren Bahnhof.

 

Die Jedwabne-Lüge

Am 10. Juli 1941 – als selbst die Deutschen noch nicht von Treblinka träumten – wurden alle Juden und Jüdinnen von Jedwabne, welche die Polen damals nach einem ganzen Tag der Folter auf dem Marktplatz am Fuße der Kirche, heute Johannes-Paul II.-Platz, ergreifen konnten, in die Scheune getrieben und lebendig verbrannt. Männer, Frauen, Kinder. Einige, totgeschlagen von ihren polnischen Nachbarn, kamen auf dem jüdischen Friedhof um, andere bei dem Versuch, sich zu verstecken oder zu fliehen. Nicht eingeschlossen sind die Opfer des langanhaltenden Pogroms, der in Jedwabne Ende Juni 1941 nach dem Einmarsch der Wehrmacht begann.

Das Schicksal der Juden und Jüdinnen von Jedwabne, über das Szmuel Wasersztejn im Jahr 1945 berichtete und das der Historiker Szymon Datner im Jahr 1946 beschrieb, wurde im Jahr 2000 aufgrund der gesamtpolnischen Debatte über das Buch „Nachbarn“ (Sąsiedzi) von Jan Tomasz Gross allgemein bekannt. Von da an datiert die neue polnische Schule der Holocaustforschung. Neu, weil der polnische Antisemitismus von oben und von unten die frühere, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit entstand, brutal in ihre Einzelteile zerlegt und zerstört hatte. Auch im Fall der neuen polnischen Schule wäre es beinahe dazu gekommen.  

Jedwabne erwies sich als paradigmatisches Verbrechen und wurde zum Symbol der Phänomene und Prozesse, aus denen der polnische Kontext des Holocaust besteht. Deswegen wird der Negationismus auf polnische Art – in Analogie zur Auschwitz-Lüge – Jedwabne-Lüge genannt. Der Stein mit der Aufschrift „Jedwabne“ in Treblinka – uns versichernd, dass hier die Gemeinde von Jedwabne von den Deutschen ermordet wurde – ist die Jedwabne-Lüge par excellence.

Das ist jedoch nicht alles. Unweit des Steins mit der Aufschrift „Jedwabne“ findet sich ein Stein mit der Aufschrift „Radziłów“. Das Verbrechen in Radziłów unterscheidet sich von dem in Jedwabne dadurch, dass es von den Polen drei Tage früher, am 7. Juli 1941, verübt wurde. Am 2. November 1942 verschleppten die Deutschen aus den Händen der Polen zwanzig Menschen, die den 7. Juli in Radziłów überlebt hatten, in das Lager in Bogusze. Von dort könnten sie von den Deutschen nach Auschwitz deportiert worden sein. Am gleichen Tag des 2. November 1942 deportierten die Deutschen 30 Juden, die Jedwabne überlebt hatten, über Łomża in das Lager Zambrów. Einen Teil der jüdischen Gefangenen des Lagers ermordeten sie vor Ort, einen Teil verschleppten sie nach Treblinka, einen Teil nach Auschwitz. Wen genau, ist nicht bekannt.[13]

Die genannten Aufschriften waren ursprünglich nicht da. Sie waren auch im Jahr 1996 noch nicht da. Als ich sie im Jahr 2014 bemerkte, waren sie sorgfältig mit grauer Farbe übermalt. Das Helldunkel machte sie für einen Moment sichtbar. Ich dachte damals, das sei sicherlich eine Lüge aus den 1960er Jahren, die auf die fachmännische Entfernung unter Obhut eines Konservators warte. Ein Jahr später prahlten die Aufschriften mit frischem Schwarz, schön restauriert. Der Kampf des polnischen Staates gegen die neue polnische Holocaustschule setzte sich mit Volldampf in Bewegung.

Jedwabne-Stein auf dem Gelände des ehemaligen nationalsozialistischen Vernichtungslagers Treblinka (Treblinka II). Foto: Elżbieta Janicka, 26. April 2019

Treblinka I

Polen und Polinnen wurden gewöhnlich in dem Arbeitslager Treblinka (Treblinka I) für eine befristete Zeit inhaftiert – von einer Woche oder zwei Wochen bis zu einem Monat – meistens für „das Kontigent“, d.h. für die Nichterfüllung der von den Deutschen aufgezwungenen Lieferungen. Nach der Strafbefreiung erhielten sie ein entsprechendes Zertifikat, das sie im Notfall vorzeigen konnten. Es gab auch einige, die in Treblinka I gegen Entlohnung angestellt wurden und dort hingingen, wie man zur Arbeit geht. Die Arbeit gab ihnen die Möglichkeit eines zusätzlichen Einkommens durch nichtlegalen Handel mit den jüdischen Gefangenen und durch die Vermittlung von Kontakten zwischen den polnischen Gefangenen des Lagers und der Außenwelt.

Der von den Deutschen auf Antrag des Gemeindevorstehers verhaftete Klemens Młynik wurde in Treblinka I für sechs Monate inhaftiert für, wie er sich selbst ausdrückte, „das Machen von Wodka“. Zwei mit ihm verhaftete Personen ließen die Deutschen nach dem Verhör frei. Młynik selbst kehrte vor Ablauf des festgelegten Termins in das Dorf seiner Familie zurück: „Im Lager herrschte eine Typhus-Epidemie. Einen Monat vor der Freilassung erkrankte ich und wurde freigelassen. Einen jüdischen Kranken pflegten sie nicht, sondern erschossen ihn sofort, während sie die Polen heilten.“[14]

Als Młynik während der Zeit der „Aktion Reinhardt“ in Treblinka war, „sah der Zeuge eines gewissen Sonntagnachmittags, wie sie eine große Zahl von Menschen in Richtung Wald trieben. Salven von Maschinengewehren waren zu hören. Am zweiten Tag trieb man Polen zum Begraben dahin. Es wurden drei große Gräben ausgehoben (von der Größe eines durchschnittlichen Hauses), gefüllt mit menschlichen Körpern. Auf ihnen standen die Deutschen. Sie erschossen die Juden, die mit uns arbeiteten, auf folgende Weise: sie legten den Kopf auf die Erde, sie stellten den Gewehrlauf an das Kopfende, und sie töteten sie.“[15]

Auch bei der Liquidierung des Lagers handelten die Deutschen nach verschiedenen Gesetzen in Bezug auf Juden und Polen. Zwischen 500 und 700 Juden wurden erschossen. Die Polen wurden in dieser Zeit in Baracken eingesperrt und anschließend freigelassen.  

Es kam vor, dass polnische Gefangene starben oder getötet wurden. Die in dem Lager gefangengehaltenen Juden kamen mit Ausnahme einiger Personen alle um. Die polnischen Opfer des Arbeitslagers Treblinka I sind mehrheitlich mit Vor- und Nachnamen bekannt. Sie wurden in den Nachkriegsverzeichnissen registriert, beweint von Familien und individuell erinnert auf Familiengrabplatten auf den lokalen Friedhöfen. Die jüdischen Opfer waren, sind und bleiben anonym. Ähnlich wie die ermordeten Roma. Insgesamt gab es 300 polnische Opfer. Die Gesamtzahl der Opfer in Treblinka I beträgt hingegen 10.000 bis 12.000, gemäß einer von der Roten Armee nach der Öffnung der Massengräber im August 1944 durchgeführten Gesamtschätzung.[16]

 

Per Symmetrie zum Primat

Auf der Höhe des Arbeitslagers Treblinka I begrüßt uns ein Wegweiser in drei Sprachen: „Droga Krzyżowa. Via Crucis. Way of the Cross.“ Die Kreuze, welche die Stationen des Kreuzweges markieren, ziehen sich von hier zum Ort der Mordstätte (miejsce straceń) der Gefangenen des Lagers, suggerierend, dass wir hier in Richtung eines christlichen Golgota gehen. Und tatsächlich sieht jener Ort, an dem die überwiegende Mehrzahl der von den Deutschen ermordeten Opfer Juden waren, wie ein christliches Golgota aus. Im Jahr 2015 wuchs die Zahl der Kreuze auf 140 an. Gegenwärtig sind es 296. Weitere sind nicht auszuschließen. Jedes Kreuz ist eine individuelle, namentliche Erinnerung an ein katholisches Opfer. Es gibt auch einen Hügel der Erinnerung der „Unbekannten“. Auch mit einem Kreuz versehen.

Das Denkmal aus rotem Sandstein, ursprünglich gedacht als Erinnerung aller Opfer, wurde ebenfalls um ein Kreuz ergänzt und umbenannt – wörtlich – in „polnisches Denkmal“, worüber eine Tafel mit dem Logo des Ministeriums für Kultur und Nationales Erbe und dem der Kommunalbehörden von Masowien informiert. Hier handelt es sich also nicht nur um eine Christianisierung, sondern auch um die Polonisierung. Christianisierung heißt natürlich Katholizisierung, denn „das polnische Denkmal“ dient gegenwärtig als Altar, um römisch-katholische heilige Messen abzuhalten, womit sich das Muzeum Treblinka in einer seiner Publikationen rühmt, indem es den Priester und Senior-Bischof Antoni Pacyfik Dydycz hinter einem Opfertisch an diesem Ort exponiert, an dem ursprünglich keine Gruppe der Opfer ausgeschlossen wurde.

Der christliche Triumph über die jüdische Leiche ist eine Idee, die mindestens bis zu den Kreuzzügen zurückreicht. Im Nachkriegspolen belebte sie Papst Johannes Paul II., als er 1979 eine Messe auf der Rampe in Birkenau unter einem Kreuz abhielt, auf dem der polnische Christus der Nationen starb, wie sich eindeutig aus der Szenografie der Messe ergibt. In der Folge dieser Vergewaltigung richtete sich die römisch-katholische Kirche in einem der Gebäude in Birkenau ein, polnische Pfadfinder stellten religiöse Symbole auf dem jüdischen Aschefeld auf. Kurzum, der polnische Kreuzzug begann: zuerst um die Symmetrie polnischen und jüdischen Schicksals, anschließend um das polnische Primat des Martyriums.

Der internationale Skandal um die früheren Lager Auschwitz I und Auschwitz II Birkenau dauerte Jahre, und seine Ursachen wurden lediglich teilweise beseitigt. Die wissenschaftliche Literatur zu dem Thema wächst stetig an, um nur „Auschwitz, Poland and the Politics of Commemoration“[17] von Jonathan Huener, „The Crosses of Auschwitz“[18] von Geneviève Zubrzycki und „Od »Shoah« do »Strachu«“[19] von Piotr Forecki zu nennen. Das Muzeum Treblinka handelt mit der Methode vollendeter Tatsachen und rechnet offensichtlich mit ihrer Unumkehrbarkeit im Fall eines internationalen Skandals. Vor allem fürchtet es sich nicht davor, im eigenen Land zur Verantwortung gezogen zu werden.        

Mordstätte (miejsce straceń) am Gelände des ehemaligen nationalsozialistischen Arbeitslagers Treblinka (Treblinka I). Foto: Elżbieta Janicka, 28. April 2024

Treblinka wiedergewonnen

Der Negationismus in Treblinka ist keine Frage der letzten Jahre. Das negationistische Denkmal am Ort des früheren Bahnhofs stammt zwar aus dem Jahr 2021. Zehn Jahre zuvor indes gab Edward Kopówka zusammen mit Paweł Rytel-Andrianik, Geistlicher der römisch-katholischen Kirche und späterer Sprecher des Episkopats Polens, den Band „Polacy z okolic Treblinki ratujący Żydów“ („Polen aus der Umgebung von Treblinka, die Juden retteten“) heraus. Die Symmetrie des Arbeitslagers und des Todeslagers ist hier lediglich ein Vorspann zum kollektiven moralischen Triumph Polens und der Polen und Polinnen. Die Rezension von Dariusz Libionka in der Zeitschrift „Zagłada Żydów“[20] in der Rubrik „Kuriosa“, die antisemitische Literatur über den Holocaust präsentiert, verhallte ohne Echo. Und weiter, was die Chronologie anbetrifft, scheinen die negationistischen Steine eine Folge der Jedwabne-Debatte zu sein, ergo eine Frage der frühen 2000er Jahre.  

Seit jener Zeit wurde die Broschüre „Plan der symbolischen Steine“ (es geht um die Steine mit den Namen der im Todeslager ausgelöschten jüdischen Gemeinden) von dem Buch „Plan der symbolischen Kreuze“ übertrumpft, das den 296 polnischen Opfern des Arbeitslagers gewidmet ist. Insgesamt 216 Seiten gegen 20. Ganz zu schweigen von der hartnäckigen Reklame für ein Buch über den Jüdischen Ordnungsdienst – wo, wenn nicht in Treblinka! – oder für vom Muzeum Treblinka veröffentlichte poetische Werke in der Art von „Holokaust Polaków“ (Holocaust der Polen). Es gibt viele weitere Beispiele.  

Das Denkmal, das den Sinti und Roma an diesem Ort zu Recht zusteht, dient hier als Feigenblatt für den Fall von Vorwürfen an die Adresse der Direktion der Einrichtung. Die eindringliche Produktion des „polnischen Lagers“ war nämlich gleichzeitig eine Produktion der falschen Symmetrie: „polnisches Lager“ – „jüdisches Lager“. Über Jahre durchgeführt, bleibt diese Tätigkeit straflos. Die Straflosigkeit führte zu einer Situation, in der die Symmetrie nicht mehr genügte.  

Weitere Aktivitäten auf dem Gelände und weitere Veröffentlichungen wurden mit dem Logo des Museums gekrönt. Der umfangreichste, zentrale Teil des Logos Muzeum Treblinka umfasst gegenwärtig das „polnische Denkmal“ zusammen mit dem Kreuz. Ihn flankiert bescheiden die Gestalt des Denkmals zur Erinnerung an die Sinti und Roma, das auf dem ehemaligen Lagergelände des Arbeitslagers Treblinka I steht, und die grotesk verkleinerte Kontur des jüdischen Denkmals für die Opfer des Todeslagers Treblinka II. Auf dem Cover der ersten Publikation des Muzeum Treblinka mit dem neuen Logo wurde das Denkmal für die 900.000 Juden und Jüdinnen „einfach“ entfernt. Treblinka wurde wiedergewonnen. 

Neues Logo des Muzeum Treblinka. Das Foto wurde am 1. Februar 2024 während der Vorstellung des „Baus des Ausstellungs- und Bildungsobjektes auf dem Gelände des Muzeum Treblinka. Niemiecki nazistowski obóz zagłady i obóz pracy (1941–1944)” im Emanuel-Ringelblum-Jüdischen Historischen Institut (Żydowski Instytut Historyczny im. Emanuela Ringelbluma) in Warszawa aufgenommen. Foto: Elżbieta Janicka

Eldorado Treblinka

Nichts begann hier mit der autoritären Wende von 2015, weil hier nichts endete.[21] Die fünfundzwanzig Jahre zwischen der Denkmalsanlage beider Lager (1964) und der staatlichen Transformation (1989) stellte hier lediglich eine kurze Pause dar. Heute haben wir es in Treblinka mit der Fortsetzung der polnischen räuberischen Praktiken zu tun. Das Kapitalschlagen – diesmal ein symbolisches – „auf Juden“ dauert an. Und wie damals, so beginnt auch heute das Eldorado Treblinka an der Bahnstation.

Diejenigen, die aus Sterbenden und Toten Gewinn schöpfen, nennt man in der polnischen Sprache gewöhnlich Schakale, Geier und Friedhofshyänen. Diese Bezeichnungen führen jedoch in die Irre. Negationismus des Holocaust tritt nicht bei Tieren auf. Menschen haben dagegen die Wahl, sowohl als Individuen als auch als kollektives Subjekt. Polen und die Polen und Polinnen können auf Beutefang nach den jüdischen Opfern Treblinkas gehen, aber sie müssen das nicht tun.  

Der große Quantifikator ergibt sich daraus, dass das Gelände der früheren Bahnstation und der beiden Lager mit den angrenzenden Gebieten kein privater Garten von Personen ist, die dort machen, was sie wollen, weil sie es können und es niemanden etwas angeht. Das Muzeum Treblinka ist eine staatliche Institution. Die oben beschriebenen Praktiken und Artefakte werden aus Steuern finanziert. Es sind „wir, die polnische Nation – alle Bürger der Republik Polen“ –, die somit den symbolischen Raub der jüdischen Opfer Treblinkas begehen und die räuberische symbolische Ausbeutung dieses Ortes betreiben.

Der polnische Staat – unabhängig von seiner politischen Orientierung, die sich in einem bestimmten Moment an der Macht befindet – entschied darüber, dass kolossale Energie und immer größere Summen für den Kampf gegen die Fakten und die Förderung von Antisemitismus verausgabt wurden, obgleich er die gleichen Kräfte und Mittel für den Kampf gegen Antisemitismus hätte verwenden können, darunter für das Bezeichnen der ungezählten Opfer der Jagd auf Juden[22] – in der Umgebung Treblinkas und in ganz Polen. Währenddessen arbeitet das Eldorado Treblinka, so wie einst, in vollem Betrieb. Es muss nicht so sein. Aber um dies zu ändern, muss man es ändern.   

 

Aus dem Polnischen übersetzt von Katrin Stoll
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[1] Vgl. Katrin Stoll, On the Distortion of the Truth of Polish Participation in the Persecution and Murder of Jews in German-occupied Poland, in: Zeitschrift für Genozidforschung 21 (2023), S. 40-57.
[2] Jan Tomasz Gross, współpraca Irena Grudzińska-Gross, Złote żniwa: rzecz o tym, co się działo na obrzeżach zagłady Żydów, Kraków 2011. 2012 erschien eine englische Fassung. Jan Gross with Irena Grudzińska-Gross, Golden Harvest. Reflections about events at the periphery of the Holocaust, Oxford 2012.
[3] Jerzy Królikowski, Wspomnienie z okolic Treblinki w czasie okupacji (1961), Archiwum Żydowskiego Instytutu Historycznego (AŻIH), 302/224.
[4] Ibid.
[5] USC Shoah Foundation 42584, Szymon Orłowski [Frajermauer] interviewed by Zofia Zaks on January 7, 1998.
[6] USHMM, Claude Lanzmann Shoah Collection: Henryk Gawkowski and Treblinka railway workers – 2. FV 3363.
[7] Jerzy Królikowski, Wspomnienie z okolic Treblinki w czasie okupacji (1961), Archiwum Żydowskiego Instytutu Historycznego (AŻIH), 302/224.
[8] Ibid.
[9] Jan Grabowski, The New Wave of Holocaust Revisionism, The New York Times, 29 January 2022.
[10] Bildindex.
[11] Bildungswerk.
[12] Die Übersetzerin dieses Textes bat Direktor Kopówka vor Jahren mehrfach, u.a. 2011 und in der ersten Jahreshälfte 2015, die Fotos von Franz vom Gelände des ehemaligen nationalsozialistischen Vernichtungslagers Treblinka zu entfernen.
[13] Eleonora Bergman, Słownik miejscowości, in: Szymon Datner, Zagłada Białegostoku i Białostocczyzny. Notatki dokumentalne, ŻIH, Warszawa 2023, S. 202, 204.
[14] Główna Komisja Badań Zbrodni Hitlerowskich w Polsce, powiat Sokołów Podlaski, woj. warszawskie, IPN BU 2448/1039, Bl. 476-477.
[15] Ibid.
[16] Główna Komisja Badania Zbrodni przeciwko Narodowi Polskiemu: niemiecki obóz zagłady (SS-Sonderkommando Treblinka, tzw. Treblinka II) i obóz pracy (tzw. Treblinka I) w Treblince, IPN BU 4210/343.
[17] Jonathan Huener, Auschwitz, Poland and the Politics of Commemoration, Ohio 2003.
[18] Geneviève Zubrzycki, The Crosses of Auschwitz. Nationalism and religion in Post-communist Poland, Chicago 2006.
[19] Piotr Forecki, Od Shoah do Strachu. Spory o polska-żydowską przeszłość i pamięć w debatach publicznych, Poznań 2010.
[20] Dariusz Libionka, Uwagi o ratowaniu Żydów w „okolicach Treblinki” [recenzja: Edward Kopówka, ks. Paweł Rytel-Andrianik, Dam im imię na wieki. Polacy z okolic Treblinki ratujący Żydów] , „Zagłada Żydów. Studia i Materiały” 2013, nr 9, S. 687-695.
[21] Das antidemokratische and antieuropäische Bündnis unter der Ägide der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (Prawo i Sprawiedliwość, PiS), das bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Jahr 2015 siegreich war, transformierte die liberale Demokratie in Polen in ein rechtsradikales autoritäres Regime.
[22] Zu den Orten, an denen jüdische Opfer innerhalb der Bahnstation Treblinka vergraben wurden vgl. Główna Komisja Badania Zbrodni Hitlerowskich w Polsce, Ankieta. Egzekucje. Groby: województwo warszawskie; tom V, IPN, GK 163/45, Bl. 950 recto/verso. Zu anderen Orten, an denen jüdische Opfer in dem Landkreis vergraben wurden vgl. Główna Komisja Badań Zbrodni Hitlerowskich w Polsce: powiat Sokołów Podlaski, IPN BU 2448/1038 und IPN BU 2448/1039.