von Regine Dehnel

  |  

1. Mai 2014

Vorbemerkung[1]

Im Januar 2013 machte das Magazin Der Spiegel mit dem Titel „Hitlers Uhr, Deutschlands Geheimnis – Die Geschichte eines schändlichen Erbes“ auf. In seinem zehnseitigen Artikel „Braune Beute“, der sich mit dem nationalsozialistischen Raub von Kunst- und Kulturgütern befasst, prangert der Autor Steffen Winter das „moralische Desaster“ an, das den Umgang mit diesen Gütern seit den 1950er Jahren bis heute präge. Zwei der Zwischenüberschriften charakterisieren den Grundtenor des Textes: „Keine Wende zum Würdigen“ und „Die Museen machen dicht“.[2] Auch andere Journalisten legten bereits in den 1990er Jahren den Finger in die Wunde. So ist es etwa Hans-Joachim Lang zu verdanken, dass die Universitätsbibliothek Tübingen begann, nach der Herkunft der Privatbibliothek des Arztes Caesar Hirsch (1885–1940) in ihren Beständen zu fragen.[3]

Mit der folgenden Darstellung soll verdeutlicht werden, dass es um die Bereitschaft, sich mit Kulturgut auseinanderzusetzen, das infolge der nationalsozialistischen Verfolgung in deutsche Museen, Bibliotheken und Archive gelangte, möglicherweise weniger schlecht bestellt ist, als dies von Teilen der oftmals skandalisierenden Medien und der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Die Verfasserin, selbst im Bereich der Provenienzrecherche tätig, nimmt dabei den Blickwinkel der Forschenden ein und versucht in angemessener Weise zu würdigen, was auf dem Gebiet der Forschung zu NS-Raubgut in den letzten Jahren in der Bundesrepublik Deutschland entstanden ist und weiterhin entsteht. Dies bedeutet nicht, dass sie meint, alles wäre gut. Und es beantwortet auch nicht die komplexe und über das eigentliche Thema weit hinausreichende Frage, warum die Forschung zu NS-Raubgut in Deutschland beschämend zögerlich und für die unmittelbar Betroffenen in den meisten Fällen zu spät einsetzte.

Der vorliegende Text ist in drei Teile gegliedert. Nach einer einführenden knappen Definition der zentralen Begriffe „Beutekunst“ und „Raubkunst“ widmet sich der erste Teil den Aktivitäten der Westalliierten, die sich bereits vor Kriegsende mit NS-Raubgut befassten, sowie den Handlungen der frühen bundesrepublikanischen Behörden, mithin also der Hauptphase der Restitution der geraubten Kunst- und Kulturgüter. Der zweite Teil konzentriert sich auf den Zeitabschnitt, in dem die universitäre Forschung zu NS-Raubgut, den Rahmenbedingungen und Akteuren einsetzte und sich das Wissen darüber entsprechend verbreiterte. Der dritte Teil befasst sich schließlich mit dem Zeitabschnitt seit der Washingtoner Konferenz von 1998, die als Neubeginn der NS-Raubgut-Forschung angesehen werden kann und einen deutlichen Aufschwung der Provenienzrecherche/-forschung in vielen bundesdeutschen Institutionen nach sich zog, die Kulturgüter verwahren und über Bestände ungeklärter Herkunft verfügen.

Dabei liegt der Fokus auf den Bibliotheken – und damit auf einem Einrichtungstyp, dem die öffentliche Aufmerksamkeit weit weniger zuteil wird als dies etwa bei den Kunstmuseen der Fall ist, die sich nicht selten mit spektakulären Restitutionsfällen und finanziellen Forderungen in Millionenhöhe konfrontiert sehen. Da es sich beim nationalsozialistischen Raub von Kunst- und Kulturgütern und dem Umgang mit diesen Gütern nach 1945 um ein ungemein komplexes Gebiet handelt, das über viele, gleichermaßen bedeutsame Gesichtspunkte verfügt, sei an dieser Stelle als ergänzende Parallellektüre auf den ebenso kenntnis- wie umfangreichen Forschungsbericht „Kunstschutz, Kunstraub, Restitution - Neue Forschungen zur Geschichte und Nachgeschichte des Nationalsozialismus“ von Christian Welzbacher verwiesen.[4]

Es war einer der aufsehenserregendsten Restitutionsfälle der letzten Jahre: 2006 wurde das 1913 entstandene Gemälde „Berliner Straßenszene“ des expressionistischen Künstlers Ernst Ludwig Kirchner durch den Berliner Senat an die Eigentümerfamilie zurückgegeben. Die Restitution des seit 1980 im Berliner Brücke-Museum ausgestellten Bildes, das 2008 für über 38 Millionen Dollar versteigert wurde und heute in der Neuen Galerie New York zu sehen ist, löste heftige Kontroversen aus und ist als „Causa Kirchner“ bekannt, Wikimedia Commons, Public Domain.

 

„Beutekunst“ und „Raubkunst“

In Deutschland haben sich in den vergangenen Jahrzehnten für das Phänomen der geraubten Kunst- und Kulturgüter zwei verschiedene Begriffe etabliert. Der lange Zeit üblichere und verbreitetere Begriff, dem russischen Terminus военные трофеи vergleichbar, war Beutekunst. Damit wurden zunächst vor allem Kulturgüter beschrieben, „die im und nach dem Zweiten Weltkrieg bis etwa 1949 organisiert und amtlich verfügt von der Sowjetunion aus Deutschland abtransportiert wurden“.[5] Als Opfer erschienen in diesem Falle die beiden deutschen Staaten, als Täter die Sowjetunion. Dabei hat das Erbeuten von Kulturgütern eine bereits Jahrtausende währende Geschichte. Schon die Antike kannte die Schädigung des Gegners durch Weg- und Inbesitznahme fremden Kulturgutes – „Kunstraub ist so alt wie die Kunst und so verbreitet wie sie“, formulierte der Althistoriker Alexander Demandt vor einigen Jahren.[6] 1907 wurden im Rahmen der Haager Landkriegsordnung auch Vereinbarungen getroffen, die zukünftig die mutwillige Zerstörung oder die Wegnahme von Kulturgütern im Zuge kriegerischer Auseinandersetzungen unmöglich machen sollten. Weder Deutschland noch die Sowjetunion haben sich nach dem 1. September 1939  bzw. nach dem 8. Mai 1945 an diese Regelungen gehalten.

Der Begriff Raubkunst beschreibt im Unterschied zur Beutekunst primär Kulturgüter, die rassistisch, ideologisch und weltanschaulich Verfolgten des Nationalsozialismus geraubt, abgepresst, „entzogen“ wurden. Er ist der jüngere der beiden Begriffe. In stärkerem Maße als der Beutekunst-Terminus impliziert er eine aktive Rolle insbesondere Deutschlands bei den Kultur-Raubzügen, zunächst innerhalb der Reichsgrenzen und mit Beginn des Zweiten Weltkriegs in allen vom Deutschen Reich besetzten und annektierten Gebieten vor allem West-, Südost- und Osteuropas. 

Die Arten und Mengen von Kunst- und Kulturgütern, die sich hinter den beiden Begriffen verbergen, sind dabei sehr unterschiedlich. Die Begehrlichkeiten der beutenehmenden und raubenden Personen, Institutionen und Organisationen richteten sich auf Werke der bildenden wie der angewandten Kunst, und damit auf Gemälde, Graphiken und Skulpturen, auf Porzellan-, Glas-, Münz- oder Briefmarkensammlungen, auf wertvolle Ostasiatica, Teppiche oder Volkskunst, auf Bibliotheken, Handschriften oder Briefsammlungen, aber auch auf Musikinstrumente und Möbel. Von den quantitativen Dimensionen der Beutekunst lässt sich anhand der Zahlenangaben zu den ab 1955 erfolgten Restitutionen der Sowjetunion an die DDR eine Vorstellung gewinnen. In der Fachliteratur heißt es hierzu etwa: „Bis Mitte Januar [1959] hatte die DDR genau 1.569.176 vermißte Kunstwerke zurückerhalten, die in den Museen von Moskau, Leningrad und Kiew untergetaucht waren“. Die Menge der nicht restituierten Kulturgüter beziffern dieselben Autoren auf mehr als 1.000.000.[7]

Hitler überreicht Hermann Göring (1893–1946) zu seinem 45. Geburtstag am 12. Januar 1938 ein Gemälde. Ebenso wie Göring, der seine private Kunstsammlung großteils aus geraubten und abgepressten Kunstwerken aufbaute, war auch Hitler für seine Sammelleidenschaft berüchtigt. So sollte etwa im Rahmen des „Sonderauftrag Linz“ ein „Führermuseum“ entstehen, für das europaweit große Mengen an wertvollen Kunst- und Kulturgüter zusammengerafft wurden, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0.

 

Eine Vorstellung vom Umfang des bis heute nicht restituierten NS-Raubguts lässt sich anhand der zahlreichen Verlustkataloge und Suchmeldungen gewinnen, die in den letzten Jahren in elektronischer oder gedruckter Form erschienen sind. Allein die russischen Verluste, denen die Internetseite Lostart.ru gewidmet ist, werden mit 1.777.291 Sammlungsstücken beziffert.[8] Seit 1992 wurden Informationen zu mehr als „60.000 auf dem Territorium des heutigen Polens vermissten Objekten“ zusammengetragen.[9] In der Internet-Datenbank der Koordinierungsstelle Magdeburg, der zentralen Einrichtung des Bundes und der Länder für Kulturgutdokumentation und Kulturgutverluste, haben 14 ukrainische Sammlungen mehr als 10.000 Suchmeldungen zu ihren Verlusten veröffentlicht.[10] Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen.

Spiegelbildlich dazu lassen sich auch bei NS-Raubgut Informationen zu den Restitutionen, vor allem durch die westlichen Alliierten heranziehen, um eine Vorstellung von den Mengen zu erhalten, die zwischen 1933 und 1945 im Zuge des Kunst- und Kulturgüterraubs ihre Besitzer wechselten. So erhielt Polen laut jüngerer Darstellungen aus der amerikanischen Besatzungszone 34.362 Objekte zurück.[11] Folgt man der Archivüberlieferung, wurden durch die zentrale Sammelstelle für Kulturgut in der amerikanischen Besatzungszone zwischen August 1945 und Dezember 1949 an Belgien 398 Objekte, an Frankreich 15.706, an die Niederlande 5.008, an Österreich 2.584, an die Sowjetunion 4.875 und an die Tschechoslowakei 322 Objekte restituiert. Nach eben diesen Archivalien erhielt Polen in demselben Zeitraum 1.098 Objekte zurück.[12] Zudem wurden „über 3 Millionen Bücher und Ritualgegenstände“ aus dem Offenbacher Depot, der amerikanischen Sammelstelle für Bücher und Dokumente, restituiert.[13]

Die angeführten Zahlen verdeutlichen – ungeachtet komplizierter Diskussionen darüber, inwiefern einzelne Angaben tragfähig und glaubhaft sind – die immensen Dimensionen insbesondere des Kulturgutraubs während der Zeit des Nationalsozialismus. Sie vermitteln eine Vorstellung von der im Zuge der Restitutionen bereits geleisteten wie der noch ausstehenden weiteren Recherche- und Forschungsarbeit. Sie veranschaulichen darüber hinaus, dass jenseits jeglicher Aufrechnungsversuche der Fokus vor allem auf den einzelnen Objekten und den konkreten Eigentümern (bzw. deren Erben) liegen muss.

Ein US-Soldat inmitten von aufgefundenen Kunst- und Kulturgütern in der Schlosskirche Ellingen (Bayern), Ende April 1945 // Nur ein kleiner Eindruck von den Dimensionen des nationalsozialistischen Kunstraubs: ein US-amerikanischer Soldat inmitten von aufgefundenen Kunst- und Kulturgütern in der Schlosskirche Ellingen (Bayern), Ende April 1945, Wikimedia Commons, Gemeinfrei.

 

I. NS-Raubgut in der frühen Nachkriegszeit

Der erste Impuls für die Beschäftigung mit geraubten Kulturgütern kam für Deutschland von außen. Als die alliierten Truppen 1944 in der Normandie landeten und die zweite Front gegen Hitler eröffneten, hatten sie nicht nur Pläne zum Schutz der Kulturdenkmäler auf den Kriegsschauplätzen dabei. Sie wussten auch um den systematischen Raub von Kulturgütern, der im Zuge der nationalsozialistischen Eroberungsfeldzüge stattgefunden hatte.

Aufgrund des Engagements von Persönlichkeiten wie George Stout, Restaurator am Fogg Art Museum der Harvard-Universität, oder Paul J. Sachs, Direktor eben dieser Einrichtung, war im August 1943 die Commission for the Protection and Salvage of Artifacts and Historic Monuments in Europe entstanden. Diese wurde nach ihrem Vorsitzenden Owen Roberts „Roberts Commission“ genannt. Zu ihren Aufgaben gehörte es, Grundsätze für die Restituierung geraubter Kulturgüter zu formulieren und umzusetzen. Intensiv arbeitete die Kommission mit dem Office of Strategic Services, dem Nachrichtendienst des Kriegsministeriums der Vereinigten Staaten, und der Art Looting Investigation Unit zusammen.[14] Das Committee on Personnel, eines von sieben Komitees, die die Roberts Commission einrichtete, trug wesentlich zur Etablierung der Monuments, Fine Arts, and Archives Section of the Civil Affairs Division (MFAA) bei. Mitglieder der MFAA[15] waren im Zivilleben als Restauratoren und Wissenschaftler, Museumsmitarbeiter, Archivare und Bibliothekare tätig. Nach Einstellung der Kampfhandlungen bargen sie – die sogenannten Monuments Men[16] – Kulturgüter, die in Auslagerungsorte wie Bergwerke und Schlösser, Burgen und Herrenhäuser verbracht worden waren, trugen sie zusammen und begannen mit ihrer Rückgabe an die rechtmäßigen Eigentümer.

Mehrere zentrale Sammelstellen, einerseits die Central Collecting Points (CCP) für Werke der bildenden und angewandten Kunst und andererseits das Offenbach Archival Depot für Archivalien, wurden in der amerikanischen bzw. der britischen Besatzungszone eingerichtet. Weitere nach- oder eher vorgeordnete Sammelstellen entstanden u.a. im Kunstlager Schloss Celle sowie in Bad Wildungen, Heilbronn, Kochendorf, Marburg, Nürnberg und Oberammergau.[17] Die zentrale Sammelstelle in der amerikanischen Besatzungszone, der Central Collecting Point München, wurde im Juni 1945 in den Gebäuden des „Verwaltungsbaus der NSDAP“ (heute Zentralinstitut für Kunstgeschichte) und des „Führerbaus“ (heute Hochschule für Musik und Theater München) untergebracht. Von hier aus erfolgte das Gros der Restitutionen an die von den Nationalsozialisten beraubten Staaten, darunter an Belgien, die Niederlande, Frankreich, Polen und die Sowjetunion.[18] Der Wiesbadener Collecting Point, die zentrale Sammelstelle in der britischen Besatzungszone, wurde im insgesamt über 300 Räume umfassenden Landesmuseum Wiesbaden eingerichtet. In diesem Collecting Point befanden sich zwischenzeitlich u.a. die zunächst in die Bergwerke von Merkers ausgelagerten Sammlungen Berliner Einrichtungen.[19]

 

In der Salzmine von Merkers (Thüringen) fand die US-Armee im Frühjahr 1945 unüberschaubare Mengen an Wertgegenständen – neben Kunstwerken der Berliner Museen auch Raubgut der SS und umfangreiche Goldreserven der Reichsbank. Das Foto zeigt amerikanische Soldaten mit dem 1879 entstandenen Bild „Im Wintergarten“ von Édouard Manet, das heute wieder in der Alten Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz ausgestellt ist, Wikimedia Commons, Gemeinfrei.

Das Verfahren zur Rückführung von Kulturgütern nach Polen, Frankreich und in die anderen Länder wurde im CCP München erarbeitet. Nach Instandsetzung und Vorbereitung der Gebäude auf die Aufnahme von Tausenden von Kulturgütern und nach Abstimmung der grundlegenden Prozedur trafen ab Juli 1945 Vertreter der einzelnen Nationen ein, um sich ihrer nationalen Kunstschätze anzunehmen.[20] Bereits im August 1945 erfolgten die ersten Restitutionen: bedeutende Artefakte wie der in zehn Kisten verpackte Genter Altar und die Brügger Madonna von Michelangelo wurden zurück nach Belgien gebracht. Die erste außerplanmäßige Restitution von 26 Gemälden an die Niederlande war schon zu Beginn des Monats erfolgt.[21]

Bei der Restituierung konzentrierte man sich zunächst auf eindeutig identifizierbare Kunstwerke. Nach einer ersten Vorentscheidung in den Aufbewahrungsräumen anhand von Dokumenten und Kennzeichen wurden die Objekte in Räume gebracht, die jeweils einzelnen Nationen zugeordnet waren. Anschließend erfolgten eine Sichtung der gesamten Unterlagen und die Vorbereitung einer sogenannten Property Card.[22] Diesem Schritt folgte eine weitere Prüfung durch den verantwortlichen Offizier in Konsultation mit dem jeweiligen nationalen Vertreter.[23] Dieses Verfahren barg Probleme in sich, da durch den Verlust von Inventarverzeichnissen, Zugangsbüchern und ähnlichen Nachweisen es oft unmöglich war, Ansprüche als berechtigt zu belegen. Berücksichtigt man allerdings den Umfang an – zwecks Luftschutz ausgelagerten – aufgefundenen deutschen Kulturgütern, mit denen die alliierten Kunstschutzoffiziere konfrontiert waren, und ergänzt diese um die Güter, die von Deutschland geraubt und also jetzt zu restituieren waren, so scheint diese pragmatische Verfahrensweise nachvollziehbar. Bereits ein Blättern im Verzeichnis der Akten der Britischen Militärregierung verdeutlicht zudem, dass sich die Restitutionsabteilungen neben der Rückgabe von Kulturgütern auch mit Rückführungsanträgen für Industrieausrüstungen und Schiffe, Telefonanlagen, Pferde und eine Vielzahl weiterer Güter zu befassen hatten: Anliegen, die angesichts der Zerstörungen und Verwüstungen des Krieges vielen vermutlich mindestens ebenso bedeutsam schienen.[24]

Zur Verdeutlichung allein der Quantitäten, die zu bewältigen waren, sei angeführt, dass bereits in den ersten Monaten im Münchner Collecting Point über 6.000 Einheiten zu verwalten waren. Dabei bezogen sich derartige „Einheiten“ ebenso auf einzelne verpackte Objekte wie auf große, mit Kulturgütern gefüllte Kisten.[25] Ende August 1945 war die Anzahl der eingelieferten Kulturgüter auf 7.893 Einheiten angewachsen, Ende September trotz der einsetzenden Restitutionen auf über 8.000, Ende Oktober waren bereits 13.619 Objekte aus 38 Depots zu verwalten.[26] Der hierfür zur Verfügung stehende Mitarbeiterstab betrug einschließlich des Küchenpersonals 107 Personen.[27]

Die CCPs bestanden von 1945 bis 1949, vier Jahre, in denen sehr viele, aber nicht alle Kulturgüter identifiziert, zugeordnet und zurückgegeben werden konnten. Zahlreiche Unwägbarkeiten und Schwierigkeiten taten sich auf, etwa, dass die Restitution an Staaten (und nicht an Personen oder Institutionen) das Problem barg, dass sogenannte „Restbestände“ in staatlicher Hand verblieben, statt den Weg zu den konkret Beraubten zu finden.[28] Zudem erschwerte oder verhinderte der rasch einsetzende Kalte Krieg die Rückführung von Kulturgütern von Ost nach West und umgekehrt. Aber auch die Zerstörung des jüdischen Lebens in Osteuropa durch die Nationalsozialisten und der teilweise massive Antisemitismus in der Sowjetunion machte es für die westlichen Verantwortlichen undenkbar, jüdische Kulturgüter an die estnische, lettische, litauische, ukrainische oder weißrussische Sowjetrepublik zurückzugeben. Schlüssiger erschien vielmehr, Judaica und Hebraica an den jungen Staat Israel, die jüdischen Gemeinden in den USA oder auch der Schweiz zu geben.[29] Außerdem brachten die neuen Grenzverläufe etwa zwischen der Volksrepublik Polen und der späteren DDR die Unsicherheit mit sich, ob beispielsweise Gemälde aus Breslau nun nach Breslau, also das mittlerweile polnische Wrocław gehörten, oder doch nach Ost-Berlin.[30]

Angehörige der US-Streitkräfte bei der Begutachtung eines Altarteils des Genter Altars 1945, Wikimedia Commons, Gemeinfrei.
Er gehörte zu den ersten Kunstwerken, die bereits im Sommer 1945 vom CCP München aus restituiert wurden: der im 15. Jahrhundert entstandene Genter Altar. Er gilt als eines der bedeutendsten Werke des Mittelalters. Während des Zweiten Weltkriegs von Belgien nach Südfrankreich in Sicherheit gebracht, gelangte er dort in die Hände der Deutschen, die ihn zuerst ins Schloss Neuschwanstein und 1944 in das Salzbergwerk nach Altaussee ins heutige Österreich brachten / vollständiger Altar in der Genter St. Bavo-Kathedrale im Jahr 2011, Flickr, CC BY-NC-ND 2.0.

Noch vor Gründung der Bundesrepublik Deutschland ging 1948 durch das Militärregierungsgesetz Nr. 19 die Treuhänderschaft über die Gegenstände des CCPs Wiesbaden an den hessischen Ministerpräsidenten, Christian Stock, über. Mit der Treuhänderschaft über die „Restbestände“ des CCP München wurde zum 1. Dezember 1948 der Bayerische Ministerpräsident, Hans Ehard, betraut. Im weiteren Verlauf entstand ein trizonaler Ausschuss für die Restitution von Kunstwerken, gebildet aus Vertretern der USA, Großbritanniens und Frankreichs. Im Februar 1952 übernahm schließlich die Bundesregierung die „Restbestände“ der ehemaligen CCPs „und damit die Aufsicht und die Verantwortung bzgl. der Kunstgüter in der Funktion eines Treuhänders“. In der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes wurde in der Folge ein Sonderreferat „Treuhandverwaltung von Kulturgut“ eingerichtet; bis zur Auflösung des Referats 1962 nahm das Auswärtige Amt damit die Aufgabe der Treuhandverwaltung wahr. In diesem Zeitraum wurden durch die Münchner Einrichtung „die Hälfte der ca. 10.000 übernommenen Objekte den Anspruchsberechtigten herausgegeben“.[31] Die Verantwortung für bis 1962 nicht restituierte „Restbestände“ ging nun auf das Bundesministerium der Finanzen über. Heute liegt die Zuständigkeit beim Bundesamt für Zentrale Dienste und offene Vermögensfragen.

In den 1960er Jahren war das von den Nationalsozialisten geraubte Kulturgut nicht nur auf der politischen Ebene, sondern auch in der Publizistik ein Thema. Stellvertretend soll hier auf die 1963 im Ost-Berliner Henschelverlag Kunst und Gesellschaft erschienene Publikation Die Dame mit dem HermelinDer größte Kunstraub aller Zeiten von Ruth und Max Seydewitz hingewiesen werden. Den Autoren – Max Seydewitz war Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Ruth Seydewitz arbeitete im Kulturbund der DDR sowie als Journalistin und Schriftstellerin – kommt das Verdienst zu, sich mit als Erste des Themas aus wissenschaftlicher bzw. populärwissenschaftlicher Sicht angenommen zu haben. Rezeptionsgeschichtlich bemerkenswert ist dabei, dass diese Darstellung zum „größten Kunstraub aller Zeiten“ in der DDR – im Unterschied zu anderen Veröffentlichungen der Autoren – keine weiteren Auflagen erfuhr, obwohl sie in den Folgejahren in zahlreiche osteuropäische Sprachen übersetzt wurde. Daran ist zu ersehen, dass auch in Ostdeutschland den eigenen Verlusten an Kulturgütern deutlich mehr Relevanz zugeschrieben wurde als den Verlusten, die vor allem auch die mittel- und osteuropäischen Nachbarn der DDR zu beklagen hatten. Diese selbstbezogene Perspektive artikulierte sich nicht zuletzt in der bemerkenswerten, weil außergewöhnlichen deutsch-deutschen Veröffentlichung Verlorene Werke der Malerei,[32] die die Gemäldeverluste der Museen dies- und jenseits der Grenze dokumentierte und sowohl in Ost-Berlin als auch in München erschienen war. An dem Fokus auf die eigenen Verluste änderte auch der Umstand wenig, dass Ruth und Max Seydewitz in einem 1972 erschienenen späteren Werk, Das Mädchen mit der Perle,[33] in nennenswertem Umfang auf Passagen, Dokumente und Geschichten aus ihrer Publikation von 1963 zurückgriffen und dieses Werk im Gegensatz zu Die Dame mit dem Hermelin bis 1985 in der DDR immerhin vier Auflagen erlebte.[34]

 

II. Beginnende akademische Forschung: Bibliotheksgeschichte und Osteuropawissenschaft

Was sich in den 1960er Jahren mit Die Dame mit dem Hermelin ankündigte, setzte sich in den Folgejahren und besonders seit den 1980er Jahren fort: der Schwerpunkt der Beschäftigung mit geraubten Kulturgütern verschob sich von der praktischen Restitution hin zu wissenschaftlicher Forschungsarbeit.

Im Bibliotheksbereich war dieser Fokusverschiebung die 1970 von Friedrich Andrae zusammengestellte Publikation Volksbücherei und Nationalsozialismus[35] vorangegangen. Herausgegeben vom Deutschen Büchereiverband und vom Verein der Bibliothekare an Öffentlichen Büchereien enthielt sie „Aufsätze, Verlautbarungen, Erlasse und offizielle Rundschreiben“ der Jahre 1933 bis 1945, „in denen […] der Versuch einer nationalsozialistischen Theorie […] des Büchereiwesens unternommen wird, oder aus denen die politischen Eingriffe in die Praxis der Büchereien ersichtlich werden“.[36] Bezeichnenderweise widmete sich die Arbeit dem „volkstümlichen“ Büchereiwesen, also den städtischen, kommunalen und ländlichen Büchereien. Diesen schrieben die Nationalsozialisten bei der Volkserziehung eine besondere Rolle zu. Entsprechend waren zuvörderst ihr Personal und ihre Arbeit auf die neue Ideologie auszurichten. Von „schädlichem“ Schrifttum galt es diese Bibliotheken zu säubern, mit „empfehlenswerter“ Literatur waren sie stattdessen auszurüsten. Andrae nahm im abschließenden Satz der Einleitung voraus, was spätere Arbeiten für wissenschaftliche Bibliotheken – und viele andere Bereiche und Institutionen – herausarbeiten würden: „Es bedurfte, so muß das gewiß harte Urteil auch für das Büchereiwesen lauten, bei aller äußeren, organisatorischen Gleichschaltung gar nicht der inneren Gleichschaltung durch Zwang: Sie wurde weitgehend von den Geführten selbst vollzogen, freiwillig und in der Bereitschaft, vom Nationalsozialismus die Verwirklichung alles dessen zu akzeptieren, woran man glaubte und was man erhoffte.“[37]

Ein LKW mit zur Verbrennung bestimmten Büchern auf dem Opernplatz in Berlin (heute Bebelplatz) am 10. Mai 1933. Die von der Deutschen Studentenschaft initiierte und getragene „Aktion wider den undeutschen Geist“ fand auch die Unterstützung zahlreicher (Volks-)Bibliothekare, die im Vorfeld Listen mit auszusondernder Literatur erstellten und diese Bücher den Studenten dann zur Vernichtung übergaben, Bundesarchiv Berlin Bundesarchiv, Bild 183-B0527-0001-776, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0.

 

Dass Andrae im Jahr 1970 die Form einer Quellensammlung wählte, lässt sich als Indiz dafür lesen, dass es in diesen Jahren noch geraten schien, eher die nationalsozialistischen Dokumente selbst sprechen zu lassen, als das konkrete Handeln einzelner verantwortlicher Bibliothekare zu beleuchten. Noch geht es um das „Phänomen der Verführung und Verwirrung bürgerlichen Denkens unter den Bedingungen der ‚neuen‘ Zeit“,[38] nicht um das eigenständige und selbst zu verantwortende Handeln. Andrae formulierte hierzu: „In unserer Dokumentation geht es nicht um persönliche Überzeugungen oder privates Handeln einzelner Persönlichkeiten, sondern um öffentlich vorgetragene geistige Positionen und Stellungnahmen. Wir haben uns an das gehalten, was an gedrucktem oder archiviertem Material erhalten blieb und heute vorliegt.“[39]

Fast zwanzig Jahre später, 1989, erschienen die von Hans-Gerd Happel und Ingo Toussaints erarbeiteten bzw. herausgegebenen Publikationen, die nun statt der Volksbüchereien die wissenschaftlichen Bibliotheken in der Zeit des Nationalsozialismus ins Visier nahmen.[40] Beide Autoren lösten teilweise heftige Kontroversen aus; beide erwähnten die Übernahme geraubter Buchbestände durch einzelne deutsche Bibliotheken. Damit war das Faktum klar benannt, dass deutsche Bibliotheken nicht nur im Zuge der „Säuberung“ von „schädlichem“ Schrifttum Bücher verloren, sondern sich ebenso an fremden Büchern bereichert hatten. Die wissenschaftlichen Bibliotheken waren von diesen „Säuberungen“ gar nicht betroffen, da dort „schädliches“ Schrifttum nicht abzugeben oder zu vernichten war, sondern lediglich zu sekretieren, d.h. separat aufzustellen und ausschließlich an „zuverlässige“ Leser auszugeben.

Es ging dabei keineswegs nur um unreflektierte oder eher zufällige Übernamen. Happel formulierte hierzu: „In fast allen Universitätsarchiven bzw. in den Universitätsbibliotheken selbst befinden sich Belege, die den oft zähen Kampf der wissenschaftlichen Bibliothekare um die Freigabe der beschlagnahmten und verbotenen Literatur für die Bibliotheken dokumentieren. Bei der Erwerbung eingezogener jüdischer Bibliotheksbestände kannte man nur wenige Hemmungen. Hier wurden sogar ausgedehnte Einkaufsreisen in das besetzte Ausland von seiten der Bibliotheksleitungen oder deren Vertretern in Kauf genommen, um an jüdischen Bibliotheksbesitz zu gelangen.“[41] Bei Manfred Komorowski las sich dies so: „Wissenschaftliche Bibliotheken bereicherten sich, wenn auch nicht immer aus eigener Initiative, an konfiszierten jüdischem Buchbesitz und später im Krieg auch an ausländischen Beständen.“[42]

Ausgesprochen wurde dies auf einer der Tagungen „Bibliotheken während des Nationalsozialismus“. Gleich zwei Veranstaltungen hatte der 1979 gegründete Wolfenbütteler Arbeitskreis für Bibliotheksgeschichte 1988 und 1989 zu diesem Thema ausgerichtet. Die Vorträge der Tagungen wurden 1989 bzw. 1992 veröffentlicht und setzten Maßstäbe.[43] Ob die danach einsetzende Pause in der Auseinandersetzung mit dem Thema möglicherweise auch damit zu erklären ist, dass es so schien, als sei nun alles gesagt, kann nur als Vermutung formuliert werden.

Wie in den Arbeiten von Andrae, Happel und Toussaint lag der Fokus der Aufmerksamkeit der Tagungsvorträge von 1988/89 auf den Bibliotheken, nicht auf den Büchern oder bei jenen, denen die Bücher einst gehört hatten. Happel hatte dies im Vorwort zu seiner 1989 publizierten Dissertation so formuliert: „Dabei soll [...] anhand von einzelnen geschilderten Fällen das Verhalten der wissenschaftlichen Bibliotheken gegenüber der nationalsozialistischen Diktatur in den Bereichen der Verwaltungs-, Partei- und Personalpolitik, Personalverbandspolitik (Verein Deutscher Bibliothekare) und in den klassischen bibliothekarischen Disziplinen Erwerbung, Benutzung und Öffentlichkeit näher untersucht werden.“[44] Es ging um das „Verhalten der [...] Bibliotheken“. Allerdings gelangte in diesem Zusammenhang zunehmend auch das der Bibliothekare ins Blickfeld.

Anhand des voluminösen, bis heute grundlegenden ersten Tagunsbandes wurden zu Beginn der 1990er Jahre die Dimensionen deutlich, in denen der Nationalsozialismus die Bibliothekslandschaft geprägt hatte. Die Publikation berücksichtigte das „Altreich“ ebenso wie die „beigetretenen“ und „angeschlossenen“ Gebiete: das Sudentenland, das Protektorat Böhmen und Mähren sowie Österreich. Die Autoren behandelten die nationalsozialistische Bibliothekspolitik nicht nur in Deutschland, sondern auch in Polen, der Sowjetunion und Dänemark. Die Akteure des nationalsozialistischen Bücherraubs wurden sichtbar: das Reichssicherheitshauptamt und die Geheime Staatspolizei, der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) und die Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe der SS. Auf die Rolle der Finanzämter als „Vermittler“ für Bücher aus jüdischem Privatbesitz wurde bereits verwiesen,[45] auf personelle Verquickungen und deren Folgen eingegangen. So wirkte Hermann Fuchs, Mitarbeiter der Preußischen Staatsbibliothek und Oberkriegsverwaltungsrat im Range eines Hauptmanns, von 1940 bis 1944 in Paris als Leiter der Abteilung Bibliotheksschutz beim Militärbefehlshaber in Frankreich. Heinz Zirnbauer, bis 1938 an der Bayerischen Staatsbibliothek, dann Direktor der Landesbibliothek Speyer, seit 1941 an der Studienbibliothek Salzburg, war ab 1942 als SS-Untersturmführer im Sicherheitsdienst in Südtirol und als Bibliotheksexperte des „Ahnenerbes“ tätig.[46] Gustav Abb, seit 1935 Direktor der Universitätsbibliothek Berlin, wirkte nach dem Angriff auf die Sowjetunion innerhalb des ERR als Kommissar für die Sicherung der Bibliotheken und Betreuung des Buchgutes im östlichen Operationsgebiet, nachdem er bereits 1940 zum Leiter der Hauptverwaltung der Bibliotheken im besetzten Polen ernannt worden war.

Ganz zweifellos waren deutsche Bibliotheken also nicht nur Gegenstand und Opfer nationalsozialistischer Politik, sondern auch Nutznießer derselben. In besonderem Maße allerdings hatten nicht die historisch gewachsenen Universitäts- oder Landesbibliotheken, sondern die von Staat und Partei neu gegründeten Bibliotheken von der Plünderung jüdischer und sonstiger „gegnerischer“ Bibliotheken profitiert. Die Vorträge von 1988/89 benennen bereits die Bibliothek des Instituts zur Erforschung der Judenfrage, die zunächst in Frankfurt am Main, ab Herbst 1943 in Hungen lokalisiert war, sowie die Zentralbibliothek der Hohen Schule der NSDAP.[47]  Ebenso erwähnt wird die zunächst in Berlin, später in Ratibor (Schlesien) untergebrachte Ostbücherei des ERR. Und auch die besondere Rolle des Reichssicherhauptamtes, welches seinerseits vier „Gegnerbibliotheken“ zur Kirche, Freimaurerei, Marxismus und Judentum aufbaute, wurde herausgearbeitet.[48]

Der in Estland geborene Alfred Rosenberg (1892–1946, Aufnahme von 1939) trug als Chefideologe der NSDAP an zentraler Stelle zur Verschärfung des Antisemitismus bei und verfolgte als Reichsminister für die besetzten Ostgebiete eine genozidale Germanisierungspolitik. Der nach ihm benannte Einsatzstab unternahm insbesondere in Osteuropa Kulturgut-Raubzüge, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0.
Ein Bücherlager in der Dienststelle des Einsatzstabes in Riga (Lettland), November 1943, Bundesarchiv Bild 146-1977-031-03, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0.

Neben den Bibliothekarinnen und Bibliothekaren – hervorgehoben werden soll an dieser Stelle der Arbeitskreis kritischer BibliothekarInnen, Akribie[49] – waren es vor allem Osteuropawissenschaftler/-innen, die ihren Blick auf den Raub von Kulturgütern richteten. Zu erwähnen ist hier insbesondere die von 1992 bis 1999 aktive Arbeitsgruppe Sowjetische Kulturgüter[50] an der Forschungsstelle Osteuropa unter Leitung ihres Gründungsdirektors Wolfgang Eichwede.[51] Angeregt durch die Forschungsstelle erschienen zu Beginn der 2000er Jahre erste vergleichende Arbeiten zum Raub von Kunst- und Kulturgut im Zweiten Weltkrieg; Anja Heuß und Natalia Volkert widmeten sich in ihren Arbeiten dem Raub infolge des Zweiten Weltkriegs.[52] In diesen Studien wurde der evidente Unterschied zwischen den Raubzügen in West- und Osteuropa herausgearbeitet. Richteten sich diese in den Niederlanden, Belgien, Frankreich sowie bereits zuvor in der Tschechoslowakei und Österreich vor allem gegen namhafte jüdische Sammlungen und Sammler, ging der Raubzug im Osten – in Polen, dem Baltikum, der Ukraine, in Weißrussland und in den besetzten russischen Gebieten – vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Rassenideologie mit verheerenden Zerstörungen von Kulturgütern einher. Gleichwohl legten die Nationalsozialisten einen starken Akzent auf die sogenannte Gegnerforschung, was zur Folge hatte, dass umfangreiche Buchbestände, Archivalien und andere Kulturgüter nicht zerstört, sondern beschlagnahmt und beispielsweise für die genannte Ostbücherei vereinnahmt wurden. Dem Wirken der Forschungsstelle ist es zu verdanken, dass zentrale Akteure des Kulturgüterraubes in Osteuropa, insbesondere in der Sowjetunion, greifbar wurden: das bereits erwähnte „Ahnenerbe“, das Sonderkommando Künsberg des Auswärtigen Amtes oder auch der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg.

Das bis hierhin Skizzierte verdeutlicht: Die primäre Aufmerksamkeit der Forscherinnen und Forscher galt den zuständigen Organisationen, teilweise auch den handelnden Personen, deren Motivation und der den Handlungen zugrunde liegenden Ideologie. Die Identifizierung konkreter geraubter Kulturgüter und die einer möglichen Restitution vorangehende Erforschung ihrer Besitz- und Erwerbungsgeschichte bildete hingegen keinen eigenen Forschungsschwerpunkt.[53]

 

III. Provenienzforschung in Museen, Bibliotheken und Archiven

Als vom 30. November bis 3. Dezember 1998 in Washington über 400 Vertreter aus 44 Staaten und von 13 Nichtregierungsorganisationen zur „Washington Conference on Holocaust-Era Assets“ zusammentrafen, geschah dies in dem Willen, Unrecht, das in der Zeit des Nationalsozialismus begangen worden war, trotz der erheblichen zeitlichen Distanz doch noch gut zu machen. Den Beteiligten war klar, dass dies nicht durch juristische Akte und gesetzliche Festlegungen zu leisten ist. Es wurden die „Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden“ (Washingtoner Grundsätze) verabschiedet.[54] Diese Grundsätze nehmen die beteiligten Staaten moralisch in die Pflicht, wobei die Umsetzung bei den einzelnen Staaten liegt.

Was die Teilnehmenden der Konferenz vermutlich weniger im Blick hatten, wohl gar nicht haben konnten, war, wie sich die Washingtoner Grundsätze konkret umsetzen lassen würden. Nur wenige Zeithistoriker – unter den Teilnehmern befanden sich Konstantin Akinscha, Hector Feliciano und Jonathan Petropoulos; alle drei hatten zu diesem Zeitpunkt bereits grundlegende Arbeiten zum Thema vorgelegt[55] – dürften bereits 1998 eine Vorstellung davon gehabt haben, welches Arbeitsfeld sich eröffnet. NS-Raubgutforschung bzw. NS-Provenienzforschung – unter diesen Bezeichnungen findet inzwischen Forschung zu Kulturgütern statt, derer die Opfer des Nationalsozialismus in den Jahren 1933 bis 1945 beraubt wurden – betrifft nicht nur Museen, sondern auch Bibliotheken und Archive. Sie berührt nicht nur Kunstmuseen, sondern ebenso kulturhistorische, ethnographische, archäologische und andere Sammlungen sowie die mit diesen korrespondierenden Fachwissenschaften.[56] Ihr Gegenstand sind Kunst- und Kulturgüter, die einst als jüdisch verfolgten Personen, Organisationen und Institutionen gehörten ebenso wie das Eigentum von Gewerkschaften, Parteien und Kirchen, Freimaurern und selbst Parawissenschaftlern. Da der Raub der Kulturgüter inzwischen mehr als sieben Jahrzehnte zurückliegt, wird diese Forschung dadurch erschwert, dass persönliches Wissen ebenso wie schriftliche Überlieferungen verloren gegangen oder auch verschüttet, verdrängt, aus dem Blickfeld und damit aus dem Bewusstsein geraten sind.

Möglich wurde die Washingtoner Konferenz, nachdem andere große Themen im Umgang mit den Folgen des Zweiten Weltkrieges geregelt schienen. In Deutschland, Österreich und der Schweiz waren den Diskussionen um NS-Raubgut lange, teils sehr emotional geführte gesellschaftliche Dispute um Anerkennung und Entschädigung für Zwangsarbeiter sowie um den Umgang mit „Raubgold“ bzw. dem in der Schweiz lagernden „Nazigold“ vorangegangen.[57] Mit der Konferenz richtete sich die Aufmerksamkeit nun auf das Schicksal einzelner Kunstwerke. Im Nachgang entstanden in den USA, Großbritannien und weiteren Staaten Internetverzeichnisse, in denen Kunstwerke problematischer oder ungeklärter Herkunft veröffentlicht werden. Nationale Gremien, die die Suche nach bis heute nicht zurückgegebenen Kulturgütern koordinieren oder befördern sollen, wurden gegründet, Handreichungen zur Suche nach NS-Raubgut erarbeitet.[58] Auf Nachfolgekonferenzen u.a. in Stockholm, Vilnius und Prag/Terezín wurden die in Washington eingegangenen Selbstverpflichtungen bekräftigt.[59]

Es waren nun Mitarbeiter/-innen von Museen, Bibliotheken und Archiven, die sich mit der sehr konkreten, keineswegs leicht zu beantwortenden Frage konfrontiert sahen: Woher stammen all die Kulturgüter in ihrem Besitz? Wie ist deren Herkunft, also deren Provenienz? Die neue Situation berücksichtigend und auf die Anforderungen der Zeit reagierend, wurde in den vergangenen Jahren auf staatlicher Ebene eine Reihe von politischen sowie organisatorisch-formalen Schritten unternommen. Parallel dazu begannen Wissenschaftler/-innen von sich aus mit der Forschung und mit ihrer Vernetzung. Eine Auswahl dieser Aktivitäten soll hier aufgelistet werden:

  • 1999: Erarbeitung und Verabschiedung der „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“ („Gemeinsame Erklärung“)[60]
  • 2000: Gründung des Arbeitskreises für Provenienzforschung; dieser Arbeitskreis, zunächst von einigen wenigen Aktivistinnen initiiert, wuchs im Laufe der Jahre zu einem Netzwerk von über 80 Kunsthistoriker/-innen, Museumsmitarbeiter/-innen und Wissenschaftler/-innen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA, die zwei mal jährlich zu einem mehrtägigen Fachaustausch und Diskussionen zusammenkommen[61]
  • 2001: Umstrukturierung der Koordinierungsstelle Magdeburg, die 1994 von den Ländern Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen als Koordinierungsstelle der Länder für die Rückführung von Kulturgütern gegründet worden war, in eine gemeinsame Einrichtung aller Länder und des Bundes mit dem neuen Aufgabenbereich „NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter (‚NS-Raubkunst‘)“[62]
  • 2001: Start der Internet-Datenbank lostart.de, in der einerseits deutsche öffentliche Einrichtungen darüber informieren können, welche Kulturgüter problematischer oder ungeklärter Herkunft sich in ihrem Besitz befinden (sogenannte Fundmeldungen[63]) und in der andererseits Privatpersonen oder Institutionen Suchmeldungen zu bis heute von ihnen vermissten Kulturgütern veröffentlichen können
  • 2001: Erarbeitung einer Handreichung zur Umsetzung der sogenannten Gemeinsamen Erklärung von 1999[64]
  • 2008: Gründung der Arbeitsstelle für Provenienzrecherche/-forschung (AfP) am Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz, um „die vielfach aufwendigen und komplizierten Forschungen nach NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut in deutschen öffentlichen Einrichtungen zu unterstützen und die Provenienzforschung insgesamt zu stärken“[65]
  • 2008: Bereitstellung einer Million Euro Projektfördermittel jährlich aus dem Haushalt des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) für Provenienzrecherche/-forschung
  • 2012: Erhöhung der Projektfördermittel des BKM für die AfP auf zwei Millionen Euro jährlich
  • 2013: Erhöhung des Personaletats der AfP durch die Kulturstiftung der Länder mit dem Ziel, insbesondere kleinere Einrichtungen stärker beraten und fördern zu können.

Bereits in dieser Aufzählung deutet sich an, welcher Wechsel sich in der Forschung zu NS-Raubgut vollzogen hat. An die Stelle der militärisch eingebundenen alliierten Kunstschutzoffiziere ebenso wie an die Stelle vor allem universitär verorteter Forschung zur Zeit des Nationalsozialismus treten die Recherchen der Kulturgut bewahrenden Einrichtungen, also der Museen, Bibliotheken und Archive sowie die Verantwortung ihrer Träger – der Kommunen, der Länder und des Bundes.

 

Provenienzrecherche als gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Der eingangs erwähnte Spiegel-Beitrag nennt – quasi als Beleg für die noch immer vorhandene „Braune Beute“ in deutschen öffentlichen Einrichtungen und für das „moralische[s] Desaster, das in den fünfziger Jahren seinen Anfang nahm und bis heute anhält“, dass die Arbeitsstelle für Provenienzrecherche/-forschung „seit ihrem Bestehen nicht mehr als 84 Forschungsprojekte in Museen und Bibliotheken [hat] anschieben können – 84 Nachforschungen in 6300 deutschen Museen“.[66] In der Kombination dieser Zahlen erscheint das bisher Getane tatsächlich gering. Aber trifft diese Einschätzung so zu? Und hat sie ihre Ursache nur in der Trägheit, Unbeweglichkeit oder dem Unwillen einzelner, sich des Themas anzunehmen?

Ohne diese Fragen in ihrer gesamten Breite beantworten zu können, soll an dieser Stelle auf einen bedeutenden Aspekt hingewiesen werden. Es gibt bei der Forschung nach NS-Raubgut in Museen, Bibliotheken und Archiven nicht „das eine“ Ministerium, nicht „den einen“ Funktionär oder „die eine“ Organisation, deren Geschichte aufzuarbeiten ist. Es gibt auch nicht „die eine“ Verwaltung mit zugehörigem Beamtenapparat, deren Überlieferung per Gesetz verwahrt werden muss und damit für die Erforschung zur Verfügung steht, wie dies etwa bei den Finanzverwaltungen der Fall ist.[67] Gleichwohl hat der Bundesbeauftragte für Kultur und Medien in diesem komplexen Umfeld eine wesentliche Rolle eingenommen, indem er die nicht nur für Bundesinstitutionen zur Verfügung stehende Förderung der Provenienzrecherche/-forschung in den letzten Jahren deutlich ausgeweitet hat.

Die „Dame mit dem Hermelin“ im Berliner Bode-Museum anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Gesichter der Renaissance“ am 25. August 2011. Das im 15. Jahrhundert entstandene Gemälde Leonardo da Vincis wurde nach dem Überfall auf Polen aus dem Czartoryski-Museum Kraków (Krakau) geraubt und 1939 ins Bode-Museum gebracht, später dem in Krakau residierenden Generalgouverneur Hans Frank zur Verfügung gestellt, der mit ihm 1944 nach Bayern flüchtete. Von dort aus wurde es von den Amerikanern schließlich restituiert, Wikimedia Commons, Gemeinfrei.  

Jedoch gibt es angesichts der Kulturhoheit der Länder ein großes Spektrum von Institutionen, die sich selbst in der Pflicht sehen, sich in diese nehmen und genommen werden müssen: von den Flaggschiffen wie den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, den Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, den Staats- und Universitätsbibliotheken wie der Staatsbibliothek zu Berlin oder der Bayerischen Staatsbibliothek bis zu Museen, Bibliotheken und Archiven in deutschen Kleinstädten. Entsprechend breit ist der Zirkel der mit Forschung zu NS-Raubgut inzwischen befassten Personen, das Spektrum der bearbeiteten Themen sowie die Palette der strukturellen, finanziellen und sonstigen Möglichkeiten zur Forschung.

Mittlerweile kann die objektbezogene Provenienzforschung als etabliert gelten. In ihrem Rahmen wird die Überlieferungsgeschichte beispielsweise von Gemälden, Graphiken, Objekten des Kunsthandwerks, von Büchern vom Zeitpunkt ihrer Entstehung bis zu ihrem Eingang in ein konkretes Museum, eine bestimmte Bibliothek oder ein spezielles Archiv rekonstruiert und überprüft. Der Schwerpunkt dieser Forschungen liegt dabei auf den Besitzerwechseln in den Jahren 1933 bis 1945. Darüber hinaus wird weiterhin zu den verantwortlichen Akteuren geforscht; dies betrifft inzwischen beispielsweise auch die Rolle des Kunsthandels.[68] Weiter wird ebenso zur Institutionsgeschichte der Museen, Bibliotheken und Archive sowie zur Geschichte der Berufsverbände in der Zeit des Nationalsozialismus gearbeitet. Diese Rekonstruktion der Institutions-, Verbands- sowie Personengeschichte ist oft die unumgängliche Grundlage, um Indizien, die die Zugangsbücher oder Inventarverzeichnisse, die Stempel oder Inschriften, die Nummerierungen, Signaturen oder Klebeetiketten auf Kulturgütern ungeklärter oder kritischer Provenienz liefern, richtig verstehen und interpretieren zu können. Darüberhinaus entstehen weitere Studien zu Kunsthistorikern, Bibliothekaren und Archivaren als Beauftragten von Kunstschutz, Heeresbibliothek oder Heeresarchiv, als für das „Ahnenerbe“, den Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg oder die Wehrmacht tätige Experten. Gerade in diesem Bereich besteht jedoch noch erheblicher Forschungsbedarf.[69]

Intensive Forschungen sind ebenso nach wie vor notwendig zu den vom Raub der Kulturgüter betroffenen Personen und Institutionen. Damit sind Einrichtungen wie das Institut für Sozialforschung (Frankfurt am Main) oder das Institut für Sexualwissenschaft (Berlin) ebenso wie einzelne jüdische Gemeinden, russische,[70] polnische oder ukrainische Museen und Privatsammler angesprochen, ganz zu schweigen von den Millionen beraubter Jüdinnen und Juden, deren gesamtes Eigentum nach den im Oktober 1941 einsetzenden Deportationen über die Finanzämter „verwertet“ wurde. Trotz des bestehenden Forschungsbedarfs liegt zu all diesen Themenkreisen inzwischen einschlägige Literatur vor,[71] zu jedem Bereich findet fachlicher Austausch, fanden und finden Tagungen statt.

Das Institut für Sexualwissenschaft in Berlin-Tiergarten, das 1919 von Magnus Hirschfeld gegründet wurde. Die Bibliothek des Instituts wurde am 6. Mai 1933 von Studenten geplündert und mutmaßlich der größte Teil am Abend des 10. Mai neben der Staatsoper in Berlins Mitte verbrannt, Wikimedia Commons, Gemeinfrei.

Man wird einwenden können, ob dies alles notwendig ist, um zu den in den Washingtoner Grundsätzen und der Gemeinsamen Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände genannten „fairen Lösungen“ zu finden. Im Einzelfall kann dies sicher hinterfragt werden. In manchem Fall werden die Kulturgüter so deutliche Geschichten erzählen, dass Begehrlichkeit und Raub schnell zu erkennen sind. In manchen Fällen wurde der Raub an so namhaften Sammlern oder Institutionen vollzogen, dass die Eigentumsfrage relativ schnell beantwortet ist. Dies ist aber eher die Ausnahme; in der Regel fehlen klare Indizien. Nach Jahrzehnten sind die Spuren – infolge der Zeit oder auch durch Mutwillen – verwischt, getilgt oder durch unterbrochene Überlieferung weitgehend unlesbar geworden. Dies alles erklärt, warum Provenienzforschung in Museen, Bibliotheken und Archiven ohne begleitende Kontextforschung unmöglich ist.

Wo stehen Museen, Bibliotheken und Archive im 16. Jahr nach Verabschiedung der Washingtoner Grundsätze? In den Jahren seit Gründung der Arbeitsstelle für Provenienzrecherche/-forschung wurden Projekte in 64 Museen, 19 Bibliotheken, sechs Archiven, sieben Instituten und zwei öffentlichen Verwaltungen gefördert oder befinden sich noch in der Förderung.[72] Aber auch jenseits dieser von der AfP geförderten Projekte fand und findet Provenienzforschung statt. Zu nennen sind für den Bibliotheksbereich die Forschungen an der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, der Universitätsbibliothek Marburg, der Stadtbibliothek Nürnberg, um nur einige zu erwähnen. Die Forschungen mündeten in zahlreiche Ausstellungen und Publikationen für die Fach- und allgemeine Öffentlichkeit. Mit besonderem Blick auf den Bibliotheksbereich sei beispielhaft auf folgende Ausstellungen der letzten Jahre verwiesen:

 

An Tagungen lassen sich exemplarisch und mit Fokus auf den vergangenen vier Jahren[74] anführen:

 

  • 07.–09.12.2009: Wissenschaftliche Bibliothekare in der Zeit des Nationalsozialismus. Handlungsspielräume, Kontinuitäten, Deutungsmuster. Tagung des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Bibliotheks-, Buch- und Mediengeschichte
  • 18.–20.03.2011: Geraubte, zerstörte, gerettete Bücher, Bibliotheken, Sammlungen und ungedruckte Materialien nach 1933. Tagung der Gesellschaft für Exilforschung und des Deutschen Literaturarchivs Marbach
  • 09.–11.05.2011: NS-Raubgut in Museen, Bibliotheken und Archiven. Viertes Hannoversches Symposium. Eine Veranstaltung der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek, des Niedersächsischen Landesmuseums Hannover und der Gedenkstätte Bergen-Belsen
  • 27.–29.04.2012: Kunstgeschichte in den besetzten Gebieten 1939–1945. Diskurse, Strukturen, Praktiken. Internationale Tagung der Technischen Universität Berlin, Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik,  und des Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig
  • 30.10.2013: Provenienz- und Sammlungsforschung (IV). Kolloquium am Zentralinstitut für Kunstgeschichte München.[75]

Diese Auflistung ermöglicht einen ersten Eindruck von der Bandbreite der inzwischen behandelten Themen im Bereich der NS-Raubforschung. Gleichwohl ist für die einzelnen Typen von Einrichtungen, die Kulturgut bewahren – Bibliotheken, Museen und Archive –, auf einige Spezifika hinzuweisen.

 

Bibliotheken und ihr Umgang mit NS-Raubgut

Als die ersten Bibliotheken Ende der 1990er Jahre mit der Suche nach NS-Raubgut in ihren Beständen begannen, konnten sie sich u.a. auf die Forschungen des Wolfenbütteler Arbeitskreises sowie auf die Arbeiten des Arbeitskreises Akribie stützen. Eine fundierte Anleitung lieferte sehr bald der Leitfaden für die Ermittlung von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut in Bibliotheken.[76] Dank des beharrlichen Wirkens einzelner engagierter Bibliothekarinnen und Bibliothekare wurde das Thema der geraubten Bücher – wenn auch stets nur als eines unter vielen – mit dem 94. Deutschen Bibliothekartag 2005 in Düsseldorf auch auf dem größten Treffen der Berufsverbände der Bibliothekare sicht- und hörbar.[77] Weitere Handreichungen zur Recherche von NS-Raubgut in Bibliotheken, darunter 2011 die Arbeit von Nadine Ratz Recherche, Erschließung und Restitution von NS-Raubgut in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek sind inzwischen entstanden.[78] Mit Beschlagnahmt, erpresst, erbeutet von Cornelia Briel liegt seit Ende 2013 nun auch ein lange erwartetes Grundlagenwerk zu Bücherraub und Bücherumverteilung im Nationalsozialismus vor.[79]

Als eine Art Standard gilt inzwischen, dass Rechercheergebnisse zu NS-Raubgut in Bibliotheken Eingang in die Online-Kataloge finden oder auf speziellen Seiten der Bibliotheken im Internet dokumentiert werden. Zu nennen sind hier u.a. die Online-Kataloge der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar, der Staatsbibliothek zu Berlin, der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek, der Universitätsbibliothek Leipzig[80] sowie die Internetseiten der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, der Universitätsbibliothek Marburg, der Nürnberger Stadtbibliothek und der Berliner Zentral- und Landesbibliothek.[81] Dennoch verunmöglichen besondere Sachlagen auch allzu standardisierte Vorgehensweisen. So entschied die Universitäts- und Stadtbibliothek Köln, die Bibliothek der jüdischen Wiener Philologinnen Elise und Helene Richter in den Mittelpunkt ihrer Provenienzforschung zu stellen und diese in Form einer virtuellen Bibliothek zu rekonstruieren und dokumentieren. Aufgrund von Kriegseinwirkungen gelten nämlich sämtliche Zugangsbücher als verloren und eine systematische Überprüfung auf mögliches NS-Raubgut ist in der Kölner Bibliothek damit unmöglich.[82]

 

Die inzwischen akkumulierten Erfahrungen zeigen, dass sich die Frage, ob es sich bei einem Buch um NS-Raubgut handelt, in den seltensten Fällen anhand oder ausschließlich anhand der schriftlichen Überlieferung beantworten lässt. Es bleibt die Ausnahme, dass, wie in der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen oder der Berliner Zentral- und Landesbibliothek, Erwerbungen aus sogenannten Judenauktionen, die im Zuge und Nachgang der Deportationen durch die Finanzverwaltungen durchgeführt wurden, in separaten Journalen festgehalten wurden, die das Kürzel „J“ tragen. Nicht selten sind die Bibliotheken damit konfrontiert, dass durch Kriegseinwirkungen die Zugangsbücher verloren gingen. Einträge mit klarem Indizcharakter wie „Gestapo“ oder „Finanzamt“ haben Seltenheitswert. Und auch bei Einlieferungen über die Reichstauschstelle oder Polizeidienststellen, die durchaus als Verteiler von Raubgut fungierten, handelte es sich in einer Vielzahl von Fällen um reguläre Zugänge. Der Göttinger Germanist Frank Möbus fasste diese Erfahrungen auf dem Bibliothekarstag 2011 in seinem Vortrag „Über Nichtfind-Bücher“ wie folgt zusammen: „Die Quintessenz meiner kurz gefassten Überlegungen zu den Göttinger Nicht-Findbüchern, fürchte ich, ist die, dass eine Recherche nach Raub- und Beutegut anhand von Zugangsbüchern ein Fischen mit einem all zu grobmaschigen Netz ist. An der autoptischen Durchsicht aller antiquarischen Anschaffungen führt – leider – kein Weg vorbei.“[83]

Dies bedeutet in der Praxis, dass für jedes Buch, das zwischen 1933 und 1945 erworben wurde, das nach 1945 antiquarisch oder auf anderem Wege in die Bibliothek gelangte und das vor dem 30. Januar 1933 erschienen ist, die Signatur, unter der es auf einem der zig Bücherregale einer öffentlichen Bibliothek steht, zu ermitteln ist. Anschließend ist es „auszuheben“, d.h. aus den Tiefen der Büchermagazine in den Lesesaal zu holen. Es ist zu verbuchen, damit andere potentielle Leser wissen, dass es derzeit ausgeliehen ist, und damit es nach der Autopsie wieder zurück an den richtigen Platz auf dem Bücherregal gelangt. Nach diesen zunächst nur vorbereitenden Schritten ist es in Augenschein zu nehmen. Es ist zu untersuchen auf Stempel, Widmungen, Exlibris, auf besondere Einbände, Klebeetiketten, frühere Signaturen oder Sachgruppennummern. Namen von Personen, Institutionen, Buchhändlern, Antiquaren, die in dem Zusammenhang aufscheinen, sind darauf zu überprüfen, ob es sich um Verfolgte des Nationalsozialismus gehandelt haben könnte, wobei die Personendatenbank von Yad Vashem eine große Hilfe ist. Ihre Geschichte ist darauf hin zu überprüfen, ob eine Emigration, Ausbürgerung oder im schlimmsten Fall Deportation und Ermordung der Bucheigentümer in einem der Ghettos oder Lager vorliegt. Weiterhin ist zu überprüfen, ob die im Idealfall identifizierte Person, weil sie sich mit ihrer Stadt, ihrer Universität oder ihrer Bibliothek als Bürger, Wissenschaftler und Leser verbunden fühlte, ihre Bücher möglicherweise vor Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft freiwillig schenkte oder verkaufte. Es ist zu prüfen, ob die Bücher nach 1945 vielleicht dem Eigentümer zurückgegeben worden waren und dieser – oder nach dessen Tod seine Erben – die Bücher ins Antiquariat brachten, von wo aus sie – nun ganz regulär – in eine Bibliothek gelangten. Und es ist zu klären, ob der Eigentümer die Bücher eventuell nach 1945 hätte zurückbekommen können, sich im Zuge einer Entschädigung aber dafür entschied, auf die Bücherrückgabe zu verzichten.

Die erste Seite des „Zugangsbuchs J“ der Berliner Stadtbibliothek (heute Berliner Zentral- und Landesbibliothek) aus dem Jahr 1944. Von etwa 40.000 Büchern, die aus dem Besitz deportierter Juden stammen und die die Stadtbibliothek „übernahm“, wurden bis April 1945 knapp 2.000 Exemplare in dem Zugangsbuch vermerkt. Davon konnten bislang 13 Bücher restituiert werden, ZLB Berlin.

 

Die Größenordnung, von der hier die Rede ist, bewegt sich im Bereich von Tausenden und Abertausenden Büchern. So wurden in dem Provenienzforschungsprojekt der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek – Niedersächsische Landesbibliothek in Hannover von Oktober 2008 bis Oktober 2010 ungefähr 47.000 Einträge in den verschiedenen Zugangsbüchern überprüft. In den Beständen der Zentral- und Landesbibliothek Berlin müssen über 200.000 Bücher überprüft werden.[84] Circa 100.000 Eintragungen überprüfte die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen im Rahmen eines ersten Provenienzforschungsprojektes von Juni 2009 bis August 2011.[85] Derzeit untersucht die Universität Göttingen die Sammlung ihres Instituts für Ethnologie auf NS-Raubgut.[86] Zu bedenken ist, dass durchschnittlich in maximal 10 Prozent der autopsierten Bücher wirklich Kennzeichen, also Spuren vorhanden und erhalten geblieben sind, die auf frühere Eigentümer verweisen. Bei einer großen Anzahl von Büchern ist das maximal zu Erreichende letztlich die Feststellung, dass der Verdacht auf NS-Raubgut nicht ausgeräumt werden konnte, sich aber nicht klar belegen lässt. Rückgaben von Büchern sind so immer noch möglich, wie einzelne Beispiele belegen.[87] Sie werden jedoch zunehmend die Ausnahme bleiben bzw. nur noch Institutionen oder Organisationen betreffen können.[88]

 

Die NS-Raubgutforschung in den Museen

Die Museen haben es bei der NS-Raubgutforschung – verglichen mit den Bibliotheken – in manchem leichter, in anderem schwerer. Sprechen wir von Gemälden, noch dazu von besonders bekannten Künstlern wie Kandinsky, Schiele oder Klee, so sprechen wir stets von Unikaten. Bei deren Vorbesitzern handelte es sich oft um namhafte Sammler, die Werke scheinen in Auktionen großer Auktionshäuser auf. Es gibt im Idealfall Briefe, in denen Museumsdirektoren, Kustoden oder Funktionäre ihr Interesse an dem „Erwerb“ dieser Werke fixierten. All diese Spuren aufzudecken, zu erkennen, richtig zu interpretieren und auszuwerten, ist eine komplexe Arbeit. Aber sie ist nicht uferlos. Viel schwieriger gestaltet sich die Forschungslage im Hinblick etwa auf Druckgraphiken, von denen es stets mehrere Exemplare gibt, von Porzellanen, Möbeln oder Münzen. Auf diesen Objekten gibt es in der Regel keine Inschriften oder Stempel. In Katalogen werden sie häufig nur als Konvolute behandelt. Ihre Zuordnung zu einem früheren Besitzer gestaltet sich damit meist ungleich schwieriger. Erschwerend kommt hinzu, dass Museen – zumindest die großen mit den klangvollen Namen – immer im Scheinwerferlicht stehen. Sie bekommen die Öffentlichkeit, wenn sie diese wollen ebenso, wie wenn sie sie nicht wollen. Für ein ruhiges, konzentriertes, unaufgeregtes Arbeiten und Forschen zu NS-Raubgut ist diese Aufmerksamkeit nicht unbedingt förderlich.[89]

An dieser Stelle soll nochmals auf die über das Internetportal der Arbeitsstelle für Provenienzforschung (AfP) abrufbaren Informationen zu jenen Einrichtungen verwiesen werden, in denen aktuell von der AfP geförderte Forschung zu NS-Raubgut stattfindet.[90] Allein diese Informationen können eine Vorstellung von den Unterschieden im Profil, der Größe, den inhaltlichen Schwerpunkten der einzelnen Häuser, den verschiedenen Forschungsansätzen und -inhalten vermitteln. Dabei gilt bei Projekten der AfP stets, dass die Museen – so wie alle anderen Einrichtungen – einen Eigenanteil für die Rechercheprojekte erbringen müssen. Dieser beläuft sich bei großen Häusern auf bis zu 50 Prozent. Hinzuweisen ist außerdem auf alternative Förderwege. So wurde beispielsweise „das umfassende und auf mehrere Jahre angelegte Recherche-, Erfassung- und Inventurprojekt ‚Daphne‘“ der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden durch die finanzielle Zuwendung der Landesregierung ermöglicht.[91] An einigen Museen bzw. bei einigen Trägern – etwa den Staatlichen Museen zu Berlin, der Kunsthalle Hamburg, der Stadt Köln, der Stadt Hannover und der Bayerischen Staatsgemäldesammlung – wurden feste Stellen für Provenienzforscher/-innen geschaffen und Landesmuseumsverbände bringen sich als vermittelnde und helfende Instanz für kleinere Museen ein.

Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gehören zu den bedeutendsten Museen in Deutschland und verfügen über zahlreiche weltberühmte Sammlungen. Der im 18. Jahrhundert errichtete Zwinger beherbergt seit seinem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg die Gemäldegalerie Alte Meister, den Mathematisch-Physikalischen Salon und die Porzellansammlung. (Aufnahme aus dem November 2013), Flickr, CC BY-NC 2.0.

 

Die Archive und ihre Bestände

Die Situation von Archiven ist – wenngleich auch sie in vielfacher Hinsicht von Forschungen zu NS-Raubgut betroffen sind bzw. sich aktiv darin engagieren[92] – eine grundsätzlich andere. Dieser Unterschied erklärt sich wohl vor allem daraus, dass das Provenienzprinzip für Archive konstitutiv ist. Was bedeutet das im Einzelnen?

Öffentliche Museen und Bibliotheken erwerben ihre Bestände meist bei den Produzenten, also bei Künstlern oder Verlagen, bei Versteigerungen, im Auktionshaus, Antiquariat oder von Privatleuten, sie nutzen die Möglichkeiten des Buch- und Kunsthandels. Sie gehen dabei von ihrem besonderen Sammlungsprofil aus und wenden dabei bestimmte Kriterien an – meist inhaltlich-fachspezifische oder geographische. Die Frage, wo ein Kunstwerk oder eine Publikation entstanden ist, kann, muss aber bei der Erwerbung keine entscheidende Rolle spielen. Sie bildet nur einen von mehreren Aspekten, und oft einen nachgeordneten. Öffentliche Archive haben als nachgeordnete Einrichtungen im Unterschied dazu die Aufgabe, die Überlieferung – wie Akten, Schriftwechsel und Gesetzestexte – von ihrer vorgesetzten Behörde zu übernehmen. Es gibt klare Zuständigkeiten und eindeutige Regularien, welches Archivgut von welchem Archiv auf Staats-, Landes- oder kommunaler Ebene zu übernehmen ist. Insoweit widerspricht es dem Sammelverständnis des Archivars, Bestände, die außerhalb dieser klar geregelten Zuständigkeiten liegen, zu übernehmen. Das bedeutet nicht, dass Archivare sich nicht in den Dienst der Nationalsozialisten gestellt hätten oder dass nicht auch Archivgut zu Raubgut geworden wäre. Allerdings gab es andere Gewichtungen.

Folgt man etwa Ulrich Kober, so wurden Begriffe wie „Sippenkunde“, „Rasse“ und „Erbgemeinschaft“ in der Zeit des Nationalsozialismus zur Begründung für die Übernahme von Archivgut herangezogen. In einer Fülle anderer Fälle wurde allerdings auf historische oder rechtliche Belange verwiesen, so dass erstgenannte Kriterien „nicht ausschlaggebend für die Überlieferungsbildung“[93] waren. Kober führt am Beispiel des Geheimen Staatsarchivs in Berlin-Dahlem mehrere Gründe für die geringe Menge kritischer Zugänge während des Nationalsozialismus an: die schmale Personaldecke, der immense Zuwachs im Tagesgeschäft – die Nutzerzahlen wuchsen im Zusammenhang mit den „Ariernachweisen“ auf das Zehnfache –, Platzmangel bzw. Raumnot und nicht zuletzt die Konkurrenz von Sonderarchiven.[94]

Derartige Sonderarchive wurden u.a. vor dem Hintergrund des staatlich geforderten und geförderten Interesses an „Sippenforschung“ errichtet. Dieses Interesse führte dazu, dass „sippenkundlich wertvolles Material“ unter „Schriftdenkmalsschutz“ gestellt und in der Reichsstelle für Sippenforschung, ab 1940 dem Reichssippenamt, organisatorisch gebündelt wurde. Das Material war bei „Entrümpelungsaktionen“ vor Ort durch die NSDAP oder bei Auswanderern durch die Devisenstellen sicherzustellen, das Reichssippenamt hatte dabei vor den staatlichen Archiven das Zugriffsrecht auf interessierende Materialien. Erst 1943 und nachdem der Reichsführer-SS und Reichsinnenminister Heinrich Himmler das Reichssippenamt als nicht kriegswichtig einstufte, fanden die Übernahmen von Archivgut durch das Reichssippenamt ein Ende.[95]

Archivisches Raubgut wurde auch für nachrichtendienstliche und propagandistische Auswertungen verwendet. Als Beispiel lassen sich die 1940 veröffentlichten Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges[96] anführen. Als Weißbuch des Auswärtigen Amtes enthielt dieses Kopien zahlreicher geraubter polnischer Originaldokumente, die „das großzügige und unendlich geduldige staatsmännische Bemühen“ Hitlers in den deutsch-polnischen Beziehungen, die „Bedrohung“ Deutschlands und der Deutschen durch Polen sowie die „Schuld“ Polens am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs belegen sollten.[97]

Insgesamt waren es eher die neu gegründeten, in besonderer Weise mit der nationalsozialistischen Ideologie und dem NS-Machtapparat verbundenen Sonderarchive, die sich an geraubtem Kulturgut bereicherten. Hier liegt wohl eine Ursache dafür, dass bei Analysen des Umgangs mit NS-Raubgut die traditionellen Archive zumeist nur wenig Beachtung finden. Jedoch übernehmen die Archive bei der Provenienzforschung heute eine außerordentlich wichtige Servicefunktion. Sie gewährleisten die Tiefenerschließung für besonders relevante Aktenkonvolute, erarbeiten sachthematische Inventare und Findhilfsmittel oder stellen ausgewählte, besonders nachgefragte Materialien online zur Verfügung.[98] Ohne diese von den Archiven bereitgestellten Unterlagen wäre eine effektive Provenienzforschung nur schwerlich möglich.

 

Abschließende Bemerkungen

Betrachtet man in der NS-Raubgutforschung nicht nur den Zeitraum der letzten 15 Jahre seit der Washingtoner Konferenz, sondern wählt die größere historische Perspektive, die bis ins Jahr 1945 zurückreicht, so lässt sich eine gleichsam spiralenförmige Bewegung des Forschungsfokus feststellen. Galt das Interesse 1945 und in den unmittelbaren Folgejahren vor allem den Kulturgütern selbst und waren alle Kräfte auf die Klärung ihrer Herkunft gerichtet, wurde – andeutungsweise in den 1970er, verstärkt in den 1980er und 1990er Jahren – von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie den Beschäftigten in Kulturgut sammelnden Institutionen damit begonnen, den eigenen Berufsstand zu befragen. Dies mündete wiederum in ein Erstarken des Interesses für Strukturen, Institutionen und Personen, ehe, ausgelöst durch die Washingtoner Konferenz 1998, seit der Jahrtausendwende erneut das konkrete Kulturgut und seine Herkunft in den Mittelpunkt des Interesses rückte. Dabei, das zeigt gerade das Beispiel der Archive, ist eine genaue Kenntnis der Institutions-, aber auch der Verwaltungsgeschichte unumgänglich für das Verständnis, wohin und in welchem Umfang NS-Raubgut gelangt sein kann. Eine möglichst umfangreiche Zurkenntnisnahme der Geschichte früherer Restitutionen und darüber hinaus der Geschichte der Wiedergutmachung und Entschädigung liefert für die heutigen Forschungen zahlreiche Ansatzpunkte.

Anhand des Umgangs mit NS-Raubgut kann der sich in vielen Bereichen und über Jahrzehnte vollziehende Wandel im Umgang mit dem Nationalsozialismus nachvollzogen werden. Vom Unrechtsempfinden der MFAA-Offiziere und der stark moralisch geprägten Position der Nach-68er-Jahre hin zu einer breit angelegten historischen Forschung, zur Etablierung einer Wissenschafts- und Wissenslandschaft, in der die Frage nach dem Eigentum eines bestimmten Kunst- und Kulturguts zwar weiter relevant bleibt, aber auch zunehmend wichtiger wird, was zwischen 1933 und 1945 sowie in den Jahren danach geschah, mit welcher Geschichte wir uns identifizieren, woran wir uns erinnern und womit wir uns auseinandersetzen wollen.

Dies lässt sich auch auf einer abstrakteren Ebene als spiralenförmige Entwicklung beschreiben. Stand am Beginn der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus der Dualismus Opfer – Täter, wurde die Opferrolle alsbald von einem Teil der deutschen Öffentlichkeit für sich reklamiert, sodass es nun zunehmend „Verwirrte“ und „Verführte“ gab. Hierauf wurde mit der Verurteilung der Vätergeneration als NS-Täter reagiert, ehe seit einigen Jahren nun der eigene Umgang mit der Geschichte und ihren Folgen im Vordergrund steht. Miriam Sénécheau formulierte in diesem Zusammenhang in ihrer Rezension über die Ausstellung „Graben für Germanien – Archäologie unterm Hakenkreuz“: „Über Verbrechen der NS-Zeit und beteiligte Wissenschaftler aufzuklären ist wichtig. Genauso wichtig ist ein Nachdenken über die eigene Rolle im jeweiligen System. So ist der Ausstellung zu wünschen, dass sie zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Politik, Ethik und Wissenschaft anregt.“[99]

 

Abkürzungen:

AfP Arbeitsstelle für Provenienzforschung

BKM Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien

CCP Central Collecting Point

ERR Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg

MFAA Monuments, Fine Arts, and Archives

 


 

[1] Der Beitrag wurde redaktionell von Christian Mentel betreut, für dessen Geduld, Beharrlichkeit und Einsatz sich die Verfasserin herzlich bedankt. Ihr Dank gilt außerdem Dr. Petra Winter, stellvertretende Leiterin des Zentralarchivs der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, und Dr. Uwe Hartmann, Leiter der Arbeitsstelle für Provenienzforschung für Anregungen, Hinweise und fachlichen Austausch.

[3] Siehe u.a. Lang, Hans-Joachim: Ein Geschenk der Gestapo. Wie die Tübinger Universität zur Privatbibliothek von Caesar Hirsch kam, Schwäbisches Tagblatt, 26.10.1999. Im Weiteren war es dann die Bibliothek selbst, die zur Bibliothek Caesar Hirsch berichtete. Vgl. beispielsweise Egidy, Berndt von: Fund und Restitution der Bibliothek Caesar Hirsch, in: Niedersächsischer Landtag (Hrsg.): Jüdischer Buchbesitz als Beutegut. Symposium im Niedersächsischen Landtag am 14. November 2002. Hannover: Niedersächsischer Landtag 2003, S. 66–70 sowie Berger, Peter-Michael: Die erste Phase einer systematischen Suche nach Raubgut in der Universitätsbiblithek Tübingen, in: Dehnel, Regine (Hrsg.): Jüdischer Buchbesitz als Raubgut. Zweites Hannoversches Symposium. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann 2006, S. 341–348.

[4] Vgl. den Forschungsbericht: Welzbacher, Christian: Kunstschutz, Kunstraub, Restitution. Neue Forschungen zur Geschichte und Nachgeschichte des Nationalsozialismus, in: H-Soz-u-Kult, 13.12.2012 [2013-08-07]. Ich danke Robert Michaelis, Mitarbeiter des Deutsch-Russischen Museumsdialogs, für den Hinweis auf diesen Bericht.

[5] Brockhaus. Enzyklopädie in 30 Bänden, Bd. 3: AUSW–BHAR. 21., völlig neu bearb. Aufl. Leipzig u.a.: Brockhaus 2006, S. 779.

[7] Vgl. hierzu: Akinscha, Konstantin; Koslow, Grigori; Touissant, Clemens: Operation Beutekunst. Die Verlagerung deutscher Kulturgüter in die Sowjetunion nach 1945. Zusammengestellt nach bisher unveröffentlichten Dokumenten aus Archiven der russischen Föderation. Nürnberg: Germanisches Nationalmuseum 1995, S. 51.

[8] Diese Summe vereint Informationen aus 18 Katalogbänden in 50 Büchern und berücksichtigt die Verluste der Museen, Bibliotheken und Archive Moskaus und Leningrads (St. Petersburg), der Gebiete Moskau, Leningrad, Woronesh, Kursk, Pskow, Rostow, Smolensk, Nowgorod und des Nordkaukasus sowie der Museumsschlösser im Umland von Petersburg. Weitere Verlustkataloge sind in Vorbereitung.

[9] Vgl. Kowalski, Wojciech: Die Restitution der kriegsbedingten Kulturgutverluste Polens, in: Hartmann, Uwe (Bearb.): Kulturgüter im Zweiten Weltkrieg. Verlagerung – Auffindung – Rückführung. Magdeburg: Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste Magdeburg 2007, S. 236–265, hier S. 247.

[11] Kowalski (2007), S. 243.

[12] Vgl. BArch Koblenz, B 323/325.

[13] Gallas, Elisabeth: Restitution jüdischer Kulturgüter zwischen 1945 und 1952, in: Bertz, Inka; Dorrmann, Michael (Hrsg.): Raub und Restitution. Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute. Eine Ausstellung des Jüdischen Museums Berlin in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum Frankfurt am Main, 19. September 2008 bis 25. Januar 2009 (Berlin), 22. April bis 2. August 2009 (Frankfurt am Main). Göttingen: Wallstein 2008, S. 209–215, hier S. 214. Der Ausstellungskatalog ist online verfügbar [2020-05-12].

[14] Zur Geschichte des Kunstschutzes innerhalb der westlichen alliierten Streitkräfte siehe u.a. Nicholas, Lynn H.: Der Raub der Europa. Das Schicksal europäischer Kunstwerke im Dritten Reich. München: Kindler 1995, S. 361–374 sowie Friemuth, Cay: Die geraubte Kunst. Der dramatische Wettlauf um die Rettung der Kulturschätze nach dem Zweiten Weltkrieg. Braunschweig: Westermann 1989, S. 45–63. Siehe auch die Findbuch-Informationen zum NARA-Bestand M 1944 [2020-05-12].

[16] Die Bezeichnung „Monuments Men“ verdankt ihre Popularität nicht zuletzt den umtriebigen Aktivitäten des amerikanischen Schriftstellers und Geschäftsmanns Robert M. Edsel, dem Hauptautor von Monuments Men – Allied Heroes, Nazi Thieves, and the Greatest Treasure Hunt in History, das 2010 in London und 2013 als Monuments Men – Die Jagd nach Hitlers Raubkunst in St. Pölten auf Deutsch erschien. Das Buch liegt einem Spielfilm zugrunde, der im Februar 2014 in den deutschen Kinos anlief. Siehe hierzu die Internetseite und die Filmkritik auf ZOL: Constantin Goschler, Edle Ritter im amerikanischen Zauberspiegel. Monuments Men von George Clooney, in: Zeitgeschichte-online, Februar 2014.

[17] Zu den Collecting Points siehe insbesondere Farmer, Walter I.: Die Bewahrer des Erbes. Das Schicksal deutscher Kulturgüter am Ende des Zweiten Weltkrieges. Berlin: De Gruyter 2002 sowie Lauterbach, Iris: Der Central Art Collecting Point in München, in: Bertz, Inka; Dorrmann, Michael (Hrsg.): Raub und Restitution. Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute. Eine Ausstellung des Jüdischen Museums Berlin in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum Frankfurt am Main, 19. September 2008 bis 25. Januar 2009 (Berlin), 22. April bis 2. August 2009 (Frankfurt am Main). Göttingen: Wallstein 2008, S. 197–201.

[18] Zur Geschichte des CCP München siehe insbesondere Smyth, Craig Hugh: Repatriation of Art from the Collecting Point in Munich after World War II. Background and Beginnings. With Reference Especially to the Netherlands. Maarsen u.a.: Abner Schram 1988 sowie Lauterbach (2008).

[19] Farmer (2000), S. 47.

[20] Vgl. hierzu Smyth (1988), S. 41.

[21] Siehe ebenda, S. 68.

[22] Die Property Cards stellen eine wichtige Quelle dar. Teile davon befinden sich heute im Bundesarchiv und werden dort als „Sog. Restitutionskartei nach Münchener Nummer“ geführt. Ein Teilbestand dessen ist digital in der Datenbank des Deutschen Historischen Museums zum CCP München recherchierbar, zu den Property Cards [2020-05-12].

[23] Vgl. hierzu Smyth (1988), S. 68.

[24] Siehe hierzu: Birke, Adolf M.; Booms, Hans; Merker, Otto (Hrsg.): Akten der Britischen Militärregierung in Deutschland. Sachinventar 1945–1955. München u.a.: Saur 1993.

[25] Smyth (1988), S. 97f.

[26] Ebenda, S. 125.

[27] Ebenda, S. 54.

[28] Dies betraf nicht nur jenen Bestand an Kulturgütern, die die Westalliierten ab 1948 im Zuge der Einstellung der CCPs an die deutsche Regierung übergaben und die im Weiteren von der „Treuhandverwaltung von Kulturgut“ betreut wurden. Vgl. hierzu Enderlein, Angelika; Flacke, Monika: Die Datenbank des „Central Collecting Point München“, sowie in der DHM Datenbank [2020-05-12]. Beispielsweise verblieben auch in den Niederlanden und in Frankreich Werke über Jahrzehnte in staatlicher Hand, die an zuvor an diese Staaten restituiert worden waren [2020-05-12].

[29] Vgl. hierzu beispielsweise im Bereich der Bibliotheken Schidorsky, Dov: Salvaging of Jewish Books in Europe after the Holocaust. The Efforts of the Hebrew University and the Jewish National and University Library. Success and Failure, in: Dehnel (2006), S. 197–212; Domhardt, Yvonne: Bibliotheken im Exil. Stationen der Wanderschaft der Bibliothek des Breslauer Rabbinerseminars. Ein Werkstattbericht aus Zürich, in: Dehnel, Regine (Hrsg.): NS-Raubgut in Museen, Bibliotheken und Archiven. Viertes Hannoversches Symposium. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann 2012, S. 147–161.

[30] Siehe hierzu etwa Hartmann, Uwe: Geschenke vom Brudervolk? Anmerkungen zur Rückführung von kriegsbedingt verlagerten Kulturgütern zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen, in: Langer, Andrea (Hrsg.): Der Umgang mit dem kulturellen Erbe in Deutschland und Polen im 20. Jahrhundert. Beiträge der 9. Tagung des Arbeitskreises deutscher und polnischer Kunsthistoriker und Denkmalpfleger in Leipzig (26.–29. September 2002). Warszawa: Inst. Sztuki Polskiej Akademii Nauk 2004, S. 335–351.

[31] Zu diesen Vorgängen vgl. die Darstellung von Barbara Limberg [2014-02-28, nicht mehr abrufbar] hinsichtlich des sogenannten „Restbestand CCP“ [2020-05-12].

[32] Rogner, Klaus O. (Hrsg): Verlorene Werke der Malerei. In Deutschland in der Zeit von 1939–1945 zerstörte und verschollene Gemälde. Berlin (Ost): Henschelverlag Kunst und Gesellschaft 1964 und München: F. A. Akkermann 1965.

[33] Seydewitz, Ruth und Max: Das Mädchen mit der Perle. Geschichten um Bilder. Berlin (Ost): Henschelverlag Kunst und Gesellschaft 1972.

[34] Zur Entstehungs-, Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte der Dame mit dem Hermelin vgl. Dehnel, Regine: Zwischen Wahrheit und Ideologie. „Die Dame mit dem Hermelin“ von Ruth und Max Seydewitz, in: Balus, Wojciech; Wolanska, Joanna (Hrsg.): Die Etablierung und Entwicklung des Faches Kunstgeschichte in Deutschland, Polen und Mitteleuropa. Beiträge der 14. Tagung des Arbeitskreises deutscher und polnischer Kunsthistoriker und Denkmalpfleger in Krakau (26.–30. September 2007). Warszawa: Inst. Sztuki Polskiej Akademii Nauk 2010, S. 540–556.

[35] Volksbücherei und Nationalsozialismus. Materialien zur Theorie und Politik des öffentlichen Büchereiwesens in Deutschland 1933–1945. Zusammengestellt und mit einer Einleitung versehen von Friedrich Andrae. Wiesbaden: Harrassowitz 1970.

[36] Andrae (1970), S. 9.

[37] Ebenda, S. 44.

[38] Ebenda, S. 21.

[39] Ebenda, S. 22.

[40] Happel, Hans-Gerd: Das wissenschaftliche Bibliothekswesen im Nationalsozialismus unter besonderer Berücksichtigung der Universitätsbibliotheken, München u.a.: Saur 1989 sowie Toussaint, Ingo (Hrsg.): Die Universitätsbibliotheken Heidelberg, Jena und Köln unter dem Nationalsozialismus. München u.a.: Saur 1989.

[41] Happel, Hans-Gerd: Die Quellensituation für die Universitätsbibliotheken, in: Vodosek, Peter; Komorowski, Manfred (Hrsg.): Bibliotheken während des Nationalsozialismus. Wiesbaden: Harrassowitz 1989 und 1992, Teil I, S. 303–326, hier S. 310.

[42] Komorowski, Manfred: Die Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Erbe im wissenschaftlichen Bibliothekswesen nach 1945, in: Vodosek; Komorowski (1992), S. 273–295, hier S. 276.

[43] Vodosek; Komorowski (1989) und (1992).

[44] Happel (1989), S. 5.

[45] Vgl. Komorowski (1992), S. 13.

[46] Vgl. hierzu: Dressler, Fridolin: Die Bayerische Staatsbibliothek im Dritten Reich, in: Vodosek; Komorowski (1989), S. 49–79, hier S. 57.

[47] Bei dem am 26. Februar 1941 feierlich eröffneten Institut zur Erforschung der Judenfrage handelte es sich um ein erstes Institut der von Rosenberg geplanten Hohen Schule der NSDAP, einer nationalsozialistisch ausgerichteten Eliteuniversität. Während die eigentliche Universitätsgründung für die Zeit nach dem „Endsieg“ vorgesehen war, begann man bereits 1939 mit dem Aufbau der Zentralbibliothek. Zum Standort Hungen vgl. u.a. Hoogewoud, Frits J.; Arndt, Sabine (Hrsg.): Auf Transport! Deutsche Stationen „sichergestellter“ jüdischer und freimaurerischer Bibliotheken aus Frankreich und den Niederlanden (1940–1949). Hameln: Niemeyer 2005.

[48] Vgl. insbesondere Komorowski (1989) und (1992) sowie Schidorsky, Dov: Das Schicksal jüdischer Bibliothekare im Dritten Reich, in: Vodosek; Komorowski (1992), S. 189–221.

[49] Auf der – inzwischen archivierten – Internetseite von Akribie findet sich auch eine kurze Literaturliste zum Thema der geraubten Bücher [2020-05-12].

[52] Heuß, Anja: Kunst- und Kulturgutraub. Eine vergleichende Studie zur Besatzungspolitik der Nationalsozialisten in Frankreich und der Sowjetunion. Heidelberg: Winter 2000; Volkert, Natalia: Kunst- und Kulturraub im Zweiten Weltkrieg. Versuch eines Vergleichs zwischen den Zielsetzungen und Praktiken der deutschen und der sowjetischen Beuteorganisationen unter Berücksichtigung der Restitutionsfragen. Frankfurt am Main u.a.: Lang 2000. Vgl. auch Hartung, Ulrike: Raubzüge in der Sowjetunion. Das Sonderkommando Künsberg 1941–1943. Bremen: Edition Temmen 1997; Hartung, Ulrike; Eichwede, Wolfgang (Hrsg.): „Betr.: Sicherstellung“. NS-Kunstraub in der Sowjetunion. Bremen: Edition Temmen 1998; Hartung, Ulrike (Hrsg.): Verschleppt und verschollen. Eine Dokumentation deutscher, sowjetischer und amerikanischer Akten zum NS-Kunstraub in der Sowjetunion (1941–1948). Bremen: Edition Temmen 2000.

[53] Allerdings leistete die Forschungsstelle auch hier wesentliche Grundlagenarbeit, indem sie der Frage nachging, welche Kulturgüter mit und nach Kriegsende durch die Amerikaner an die Sowjetunion restituiert worden waren. Die Ergebnisse dieser Recherchen mündeten in die Dokumentation: Eichwede, Wolfgang; Hartung, Ulrike (Hrsg.): Property Cards Art, Claims und Shipments. Amerikanische Rückführungen sowjetischer Kulturgüter an die UdSSR nach dem Zweiten Weltkrieg, Redaktion und Dokumentation v. Ulrike Hartung u. Wolfram von Rotberg. CD-ROM mit einem Beiheft, Bremen im Selbstverlag 1997.

[54] Alle im Zusammenhang mit der Washingtoner Konferenz veröffentlichten Dokumente, darunter auch die Washingtoner Grundsätze [2020-05-12], hier auch die deutsche Übersetzung der Grundsätze [2020-05-12].

[55] Akinscha, Konstantin; Koslow, Grigori: Beutekunst. Auf Schatzsuche in russischen Geheimdepots. München: Deutscher Taschenbuch-Verlag 1995; Feliciano, Hector: Das verlorene Museum. Vom Kunstraub der Nazis. Berlin: Aufbau-Verlag 1998 (franz. 1995); Petropoulos, Jonathan: Kunstraub und Sammelwahn. Kunst und Politik im Dritten Reich. Berlin: Propyläen 1999 (engl. 1996).

[59] Vgl. hierzu die Erklärung von Terezin vom 30. Juni 2009 [2020-05-12]. 

[60] Der Text dieser Erklärung [2020-05-12].

[61] Zur Geschichte des Arbeitskreises vgl. Terlau, Katja: 10 Jahre „Arbeitskreis Provenienzforschung“. Ein Erfahrungsbericht, in: Baresel-Brand, Andrea (Bearb.): Die Verantwortung dauert an. Beiträge deutscher Institutionen zum Umgang mit NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut. Magdeburg: Koordinierungsstelle 2010, S. 335–350.

[62] Vgl. hierzu die Information [2020-05-12].

[64] Die 1999 erarbeitete Handreichung wurde 2007 überarbeitet. Sie ist in dieser aktualisierten Version verfügbar [2020-05-12].

[65] Vgl. Hinweis [12.05.2020]: Gründung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste zum 1. Januar 2015 als Stiftung bürgerlichen Rechts mit Sitz in Magdeburg; Das Zentrum führt die Aufgaben der ehemaligen Koordinierungsstelle Magdeburg und der ehemaligen Arbeitsstelle für Provenienzforschung fort und baut sie aus.

[67] In diesem Zusammenhang sei insbesondere auf das vom Land Hessen geförderte und vom Fritz Bauer Institut Frankfurt am Main in enger Zusammenarbeit mit dem Hessischen Hauptstaatsarchiv durchgeführte Forschungsprojekt sowie die daraus erwachsene Ausstellung „Legalisierter Raub – Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933–1945“ verwiesen [2020-05-12].

[68] Vgl. hierzu beispielsweise: Voigt, Vanessa-Maria: Kunsthändler und Sammler der Moderne im Nationalsozialismus. Die Sammlung Sprengel 1934 bis 1945. Berlin: Reimer 2007; Kessler, Horst: Karl Haberstock. Umstrittener Kunsthändler und Mäzen. München u.a.: Deutscher Kunstverlag 2008; Koldehoff, Stefan: Die Bilder sind unter uns. Das Geschäft mit der NS-Raubkunst. Frankfurt am Main: Eichborn 2009; Haug, Ute; Steinkamp, Maike (Hrsg.): Werke und Werte. Über das Handeln und Sammeln von Kunst im Nationalsozialismus. Berlin: Akademie-Verlag 2010; Hopp, Meike: Kunsthandel im Nationalsozialismus. Adolf Weinmüller in München und Wien. Köln u.a.: Böhlau 2012. 

[69] Dies machte Mitte 2013 die Tagung „Museen im Nationalsozialismus“ in Berlin deutlich [2020-05-12].

[70] Hinsichtlich russischer Museen soll auf den Deutsch-Russischen Museumsdialog und das von diesem initiierte, großangelegte deutsch-russische Forschungsprojekt „Russische Museen im Zweiten Weltkrieg“ verwiesen werden, das mit umfangreicher finanzieller Unterstützung der Volkswagen-Stiftung umgesetzt wird. [2020-05-12]. 

[71] Verwiesen sei an dieser Stelle u.a. auf: Schroeder, Werner: Die ‚Arisierung‘ jüdischer Antiquariate zwischen 1933 und 1942. Teil I, in: Aus dem Antiquariat 5 (2009), S. 295–320; Teil II, in: Aus dem Antiquariat 6 (2009), S. 359–386; Hoffrath, Christiane: Bücherspuren. Das Schicksal von Elise und Helene Richter und ihrer Bibliothek im „Dritten Reich“. Köln u.a.: Böhlau 2009; Müller, Melissa; Tatzkow, Monika: Verlorene Bilder – verlorene Leben. Jüdische Sammler und was aus ihren Kunstwerken wurde. München: Sandmann 2009; Hedinger, Bärbel; Diers, Michael; Müller, Jürgen (Hrsg.): Max Liebermann – die Kunstsammlung. Von Rembrandt bis Manet. München: Hirmer 2013 sowie Janda, Annegret; Faass, Martin (Hrsg.): Verlorene Schätze. Die Kunstsammlung von Max Liebermann. Berlin: Nicolai 2013; Saur, K.G. (Hrsg.): Verlage im „Dritten Reich“. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann 2013.

[72] Vgl. Hinweis [12.05.2020]: Gründung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste zum 1. Januar 2015 als Stiftung bürgerlichen Rechts mit Sitz in Magdeburg; Das Zentrum führt die Aufgaben der ehemaligen Koordinierungsstelle Magdeburg und der ehemaligen Arbeitsstelle für Provenienzforschung fort und baut sie aus.

[73] Der Ausstellungskatalog steht online zur Verfügung [2020-05-12].

[74] Verwiesen werden soll an dieser Stelle auf das umfangreiche Ausstellungs-, Tagungs- und sonstige Programm, welches im Rahmen des Themenjahres 2013 „Zerstörte Vielfalt“ in Berlin stattfand. Zahlreiche Veranstaltungen dokumentieren die inzwischen außerordentlich breite und vielfältige Forschungslandschaft und werden die Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex des NS-Raubguts sicherlich weiter befördern. Darunter auch eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums Berlin [20200-05-12].

[75] Zum Programm [2020-05-12]. Wie der Titel des Kolloquiums ausweist, war es bereits die vierte Veranstaltung des Zentralinstituts in Folge. Vorangegangen waren Kolloquien im Oktober 2010 sowie im Mai und im Oktober 2012 [2020-05-12].

[76] Der 2005 von Veronika Albrink, Jürgen Babendreier und Bernd Reifenberg erarbeitete Leitfaden steht online zur Verfügung [2020-05-12].

[77] Diese Berufsverbände sind die BID (Bibliothek & Information Deutschland), BIB (Berufsverband Bibliothek) sowie der VDB (Verein Deutscher Bibliothekare). Informationen zu den einzelnen Bibliothekartagen [2020-05-12].

[79] Briel, Cornelia: Beschlagnahmt, erpresst, erbeutet. NS-Raubgut, Reichstauschstelle und Preußische Staatsbibliothek zwischen 1933 und 1945. Berlin: Akademie Verlag 2013.

[80] Siehe für Weimar; für Berlin und Staatsbibliothek Berlin sowie der Online-Katalog: NS-Raubgut in der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek Hannover [2020-05-12].

[82] Vgl. Die Virtuelle Bibliothek Elise und Helene Richter, NS-Raubgut in der USB [2020-05-12].

[84] Vgl. die Projektinformationen [2020-05-12].

[87] So etwa im Fall der Familie Petschek in Hamburg, [Online nicht mehr verfügbar, 2020-05-12].

[90] Hinweis [2020-05-12]: Gründung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste zum 1. Januar 2015 als Stiftung bürgerlichen Rechts mit Sitz in Magdeburg; Das Zentrum führt die Aufgaben der ehemaligen Koordinierungsstelle Magdeburg und der ehemaligen Arbeitsstelle für Provenienzforschung fort und baut sie aus.

[91] Vgl.: Daphne Projekt zur Provinienzforschung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden [2020-05-12]. 

[92] Stellvertretend sei an dieser Stelle das Landesarchiv Berlin mit seinem Online-Projekt zu den Akten der Wiedergutmachungsämter von Berlin genannt, [2013-08-25].

[93] Vgl. den Tagungsbericht in: Der Archivar 2/2013, S. 203–205.

[94] Kober, Ulrich: Bewertung und Übernahme von Archivgut durch das Geheime Staatsarchiv im Nationalsozialismus, Vortrag auf der Tagung „Archivarbeit im und für den Nationalsozialismus – Die Preußischen Staatsarchive vor und nach dem Machtwechsel von 1933“. Tagung im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz am 7./8. März 2013.

[95] So Annette Hennings auf der Tagung „Archivarbeit im und für den Nationalsozialismus – Die Preußischen Staatsarchive vor und nach dem Machtwechsel von 1933“. Tagung im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz am 7./8. März 2013.

[96] Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges, hrsg. vom Auswärtigen Amt der Deutschen Regierung. Basel: Birkhäuser 1940.

[97] Ebenda, S. 1.

[98] So wurden beispielsweise die Geschäftsbücher und Karteien der Münchner Galerie Heinemann durch das Kunstarchiv im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg erschlossen.