von Christine Schoenmakers, Jana Stoklasa

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3. Oktober 2019

Mit der Öffnung des Eisernen Vorhangs brachen 1989/1990 die staatssozialistischen Systeme in Ostmitteleuropa zusammen. Durch den Kalten Krieg gezeichnete Städte wie Breslau und Berlin blicken heute auf eine fast 30 Jahre währende Transformationsphase zurück. Und in beiden Städten ist das Bedürfnis nach Aneignung der eigenen Geschichte besonders zu spüren.

Dies steht einerseits in direktem Zusammenhang mit der demokratischen Entwicklung der ehemaligen DDR und Polens seit Ende des Kalten Kriegs. Zum anderen sind Breslau und Berlin seit 1989 damit konfrontiert, dass sich jahrzehntelang bewährte Grenzziehungen und politisch codierte Identifikationen stark abgenutzt haben beziehungsweise nicht mehr gewollt sind.

Dabei geht es nicht nur um die bloße Konstruktion einer zeitgemäßen (nationalen) Identität. Es geht um Annäherung von europäischen Nachbarn, um das Verständnis von einer gemeinsamen, transnationalen Geschichte, aber auch um neue Abgrenzungen. So unterliegen insbesondere (Groß-)Städte im globalen Zeitalter einem Normierungsdruck und dem internationalen Wettstreit um Fachkräfte, Unternehmen und Tourist*innen. Um hier zu bestehen, braucht es einen unverwechselbaren Charakter, ein attraktives Alleinstellungsmerkmal. Der Rückgriff von Stadtregierungen auf die jeweilige, spezifische Vergangenheit ist dabei nur logisch.

Urban heritage – das kulturelle Erbe der Städte – spielt in all diesen Prozessen eine wichtige, symbolisch-legitimierende Rolle. Es spiegelt diejenigen historischen Artefakte, Ereignisse und Traditionen wider, denen Menschen Bedeutung beimessen. Dabei nutzen unterschiedliche Akteur*innen die Vergangenheit als Ressource, um gegenwärtige Ziele zu erreichen und partikulare Interessen durchzusetzen. Der Kampf ums Erbe ist auch in Breslau und Berlin nicht zuletzt ein Kampf um Deutungshoheit. Wem die Stadt gehört und wessen Geschichte hier erzählt werden soll, hängt auch eng mit der Frage zusammen: Was und wie wird eigentlich seit 1989 im urbanen Raum erinnert?

Der an der Leibniz Universität Hannover angesiedelte Forschungsverbund „Cultural Heritage als Ressource? Konkurrierende Konstruktionen, strategische Nutzungen und multiple Aneignungen kulturellen Erbes im 21. Jahrhundert“ erforscht die Vergegenwärtigung von Vergangenheit via kulturellem Erbe und die damit verbundene gesellschaftliche Aushandlung von (konkurrierenden) Vergangenheitsdeutungen. Die empirisch untersuchten Felder reichen von Kleingarten- und Fußballvereinen, von Städten und ländlichen Regionen, von Bildungszusammenhängen und Alltagsvorstellungen bis zu Ethnizitätskonstruktionen und Kolonialität. Dieser Themenschwerpunkt rückt Forschungen aus dem Teilprojekt „Strategien kultureller Inwertsetzung von historischen Traditionen und Überresten. Urban heritage in Barcelona, Manchester, Breslau und Berlin“ in den Vordergrund.

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