„Rudi nennt mich die Königin von Auschwitz“ – diesem Satz, geäußert von Hedwig Höß (Sandra Hüller) gegenüber ihrer Mutter (Imogen Kogge), folgt ein fröhliches Lachen. Es ist historisch fraglich, ob Rudolf Höß (Christian Friedel), der Lagerkommandant des KZ Auschwitz, diese schmeichelnde Bezeichnung für seine Frau verwendete. Nichtsdestotrotz ist sie dramaturgisch zentral für die Darstellung der Hedwig Höß in dem Film.
Hedwig Höß, 1908 geboren und seit 1929 mit Rudolf Höß verheiratet, ist in dem zeitlichen Setting des Films Mitte 30 und bereits fünffache Mutter. Schnell wird klar, dass die Familie Höß eine nationalsozialistische Vorzeigefamilie ist – kinderreich, ideologisch gefestigt. Die Familie Höß nimmt durch den Beruf des Ehemanns und Vater Rudolf eine exponierte Stellung innerhalb der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ ein. Eine geschlechterbezogene Perspektive auf Hedwig Höß wirft einen interessanten Blick auf die Privilegien der NS-Elite.
Der Hofstaat der Hedwig Höß
Hedwig Höß hat es geschafft, sich in drei Jahren in Auschwitz ein gutbürgerliches Leben aufzubauen. Sie verfügt über eine veritable Anzahl an Hausbediensteten, die als KZ-Häftlinge Zwangsarbeit im Hause Höß leisten müssen. Zudem kümmert sich ein ideologisch gefestigtes Kindermädchen um die fünf Höß-Kinder. Durch diese Auslagerung der Care-Arbeit bleibt Hedwig Höß genug Zeit und Muße für ihre Leidenschaft – den Erhalt, die Pflege und den Ausbau des häuslichen Gartens. Ähnlich eines royalen Hofstaates ist im Hause Höß stets viel Bewegung. Frau Höß ist unangefochten das Oberhaupt dieser Institution.
Über ihren Mann Rudolf – in diesem Bild gewissermaßen „Der König von Auschwitz“ – beschwert sie sich gelegentlich, „dass er den ganzen Tag arbeitet“. Sie wünscht sich etwas mehr Zeit mit ihm, was auch die Szene mit der Frage, wann sie mal wieder Urlaub in Italien machen würden, verdeutlicht. Insgesamt führen die Höß‘ eine funktionale Ehe, in der die Rollen verteilt sind.
Mit ihren Kindern geht Mutter Höß wenig in Interaktion und wenn, dann nur mit gebellten Befehlen. Die Bezugsperson für die Kinder ist das Kindermädchen. Auch in Bezug auf die Kinder herrscht eine Funktionalität vor. Diese sollen zu gefestigten Persönlichkeiten im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie herangezogen werden. Im royalen Sinne übernimmt das jedoch nicht die Mutter selbst, sondern das Kindermädchen.
Ihre eigen ideologische Zuverlässigkeit beweist Hedwig Höß durch ihre Haltung zu den KZ-Häftlingen im eigenen Haus. Die zwangsarbeitenden und angstgetriebenen Hausbediensteten regiert sie mit psychischer Gewalt. Sie lässt sie jederzeit spüren, dass sie ihr als Pol:innen „rassisch“ nicht ebenbürtig sind. In einer Szene bedroht sie ein Mädchen damit, sie in den für alle sichtbaren Tod zu schicken, sollte sie nicht parieren.
In der Szene im Gewächshaus beim Rauchen mit dem Gärtner wirkt sie etwas weicher und bietet dem Zwangsarbeiter eine ihrer Zigaretten an. Es findet keine weitere Interaktion statt, jedoch bekommt man den Eindruck, dass dessen Arbeit ihr am Herzen liegt, da der Garten ihre Leidenschaft ist. Diese Szene lässt den Eindruck einer Hierarchisierung der Bediensteten entstehen.
Ein Psychogramm zu Hedwig Höß
An der Figur der Hedwig Höß fällt besonders die Brutalität der psychologischen Distanzierung von ihrem Umfeld auf. Permanent hört sie die Schüsse, Schreie und einfahrenden Züge auf der anderen Seite der Mauer. Dennoch schafft sie es sich mental davon abzutrennen und den Aufbau ihres bürgerlichen Lebens als paradiesisches Ideal zu feiern. Sie sieht sich als Speerspitze der nationalsozialistischen „Lebensraum“-Politik und nimmt die dafür notwendigen „Maßnahmen“ befürwortend in Kauf. Sie hat kein Problem nachts ruhig zu schlafen, sich mit ihren Freudinnen (sehr wahrscheinlich Frauen von SS-Offizieren) über die den KZ-Häftlingen geraubten Kleidungsstücke beim Kaffeekränzchen auszutauschen oder eine flammende Rede gegenüber ihrem Mann zu halten, was sich die Familie in Auschwitz alles aufgebaut hätte. Eine Anmerkung ihrer sie besuchenden Mutter, dass eine alte Bekannte (Jüdin) vermutlich auch „dort drüben“ (auf der anderen Seite der Mauer) sei, lässt sie kalt. Der wohlwollende Kommentar der Mutter, dass sie „auf die Füße gefallen“ sei, deutet die Aufstiegsgeschichte der Hedwig Höß an. Diesen Aufstieg zur Ehefrau eines hochrangigen SS-Kommandanten möchte sie keinesfalls wieder aufgeben. Das Leben im Schatten des Massenmordes der im KZ Auschwitz stattfindet, nimmt sie dabei billigend in Kauf und sieht es als Notwendigkeit des NS-Systems an.
Die weiteren Frauenrollen im Film - Kontrapunkte zu Hedwig Höß
Filmisch gelingt die Darstellung der Psyche der Hedwig Höß auch durch die Skizzierung der anderen Frauenfiguren. Die Mutter, das Kindermädchen und die Zwangsarbeiterinnen bilden antagonistische Kontrapunkte zur Figur der Hedwig Höß.
Die Mutter Hedwigs, die die Familie in Auschwitz besucht, symbolisiert diejenige, die die Nachbarschaft zum KZ nicht ausblenden kann. Sie gerät in Unruhe im Schatten der Mauer und kann nachts nicht schlafen, auch aufgeweckt durch den Geruch verbrannter Menschen. Überstürzt reist sie, mitten in der Nacht, ab. Die Nachricht, die sie der Tochter Hedwig hinterlässt, wird von dieser in Wut und Verachtung in den Ofen geworfen. Hedwig empfindet ihre Mutter als schwach.
Das Kindermädchen, das tagsüber diszipliniert und solide ihre Aufgaben vollbringt, trinkt sich nachts in einen Rausch. Zunächst scheint es so, dass sie entnervt und verzweifelt ist ob des schreienden Kleinkindes. Wenig später wirkt es jedoch so, dass sie den Alkohol zum Verdrängen benötigt. Auch ihre Psyche kann das tägliche Geschehen im KZ nicht von sich abtrennen und daher flüchtet sie sich in den Alkoholrausch. Auch diese Figur wirkt wie ein Gegensatz zur „Königin“ Hedwig Höß.
Die zwangsarbeitenden Hausmädchen, die getrieben von Angst ihren Dienst verrichten, erfüllen die Funktion, die Gewalt und die Kaltherzigkeit des weiblichen Oberhaupts aufzuzeigen. Die zwangsrekrutierte Sexarbeiterin, die Rudolf Höß zu sich kommen lässt, unterstreicht die von Romantik und Zärtlichkeit befreite Ehe von Rudolf und Hedwig. Die Eheleute Höß erscheinen so als ein funktionierendes Team im Sinne der nationalsozialistischen Familienideologie.
In diesen antagonistischen Momenten erweitern die weiblichen Nebenfiguren im Film das Bild der kaltherzigen, rational agierenden und vom Leid der Opfer jenseits der Mauer distanzierten Frau des Lagerkommandanten Höß.
Diese genderspezifische Perspektive auf das Leben der Familie Höß wirft ein eindrucksvolles Schlaglicht auf Täterinnen im Nationalsozialismus: in diesem Fall am Beispiel Hedwig Höß‘, die an der Seite des brutalen NS-Täters Rudolf Höß als „Königin von Auschwitz“ ihren bürgerlichen Aufstieg zelebriert und als Anhängerin der Atamanen ihren völkischen Traum lebt.[1]
[1] Bei Volker Kopp lässt sich einiges über das Höß’sche Familienleben erfahren, welches im Film narrativ verarbeitet ist. Über Hedwig Höß, geborene Hensel, ist laut Kopp wenig bekannt, wenn auch durch die Frankfurter Auschwitz-Prozesse ab 1963 durch Aussagen von Zeug:innen einiges zu Tage gefördert wurde: Volker Kopp, Rudolf Höß. Der Kommandant von Auschwitz. Eine Biographie, Köln 2014, S. 88-109.