Es war ein ungewöhnliches Weihnachtsgedicht, das die Leserinnern und Leser im Dezember 1960 in der Esslinger Jugendzeitschrift Ja und Nein erblickten. Unter dem Titel „und kein engel ist schön“ hatte ein unbekannter Autor mit dem Pseudonym „electronus“ einige lyrische Verse verfasst, die nur schwerlich an die kanonischen Klassiker heranreichten, wie sie in vielen Wohnzimmern dieser Jahre am Heiligen Abend zwischen Kirchbesuch und Bescherung erklangen. Das Gedicht, das sich durch ein monotones Stakkato von Hauptsätzen auszeichnete, erinnerte in seiner experimentellen Ästhetik an dadaistische, expressive Lyrik; derweil blieb seine Aussage, schon bei einem Blick in die Schlussstrophe, provozierend unklar:
DER SCHNEE IST KALT
UND JEDER FRIEDE IST TIEF
UND KEIN CHRISTBAUM IST LEISE
ODER JEDE KERZE IST WEISS
ODER EIN FRIEDE IST KALT
ODER NICHT JEDE KERZE IST REIN
UND EIN ENGEL IST REIN
UND JEDER FRIEDE IST STILL
ODER JEDER FRIEDE IST WEISS
ODER DAS KIND IST STILL
EIN ENGEL IST ÜBERALL[1]
Wie die Januarausgabe von Ja und Nein verriet, erreichten die Redaktion zum Jahreswechsel etliche Einsendungen, die zwischen empörter Ablehnung und euphorischer Begeisterung schwankten. „‚Endlich mal was Modernes!‘“, lautete etwa der Tenor einer Zusendung, während eine andere den Unmut über das „weihnachtliche Gestammel“ kaum verbergen konnte. Eine dritte vermerkte: „‚Es berührt mich eigentümlich, wie aus dieser kleinen Arbeit, die auf den ersten Blick doch sinnlos erscheint, ein tiefer Sinn spricht, der sich erst hinter den Zeilen entschlüsselt.“ So glimme „von Strophe zu Strophe [...] die Hoffnung auf Schöneres auf“, und das Gedicht ende mit einer „tröstlichen Zusicherung“.[2] Viel wichtiger als solches Lob oder Kritik aber war, wie die poetischen Provokateure, die sich hinter dem Pseudonym „electronus“ verbargen, 1963 stolz zugaben, dass nur wenige Leser*innen dem eigentlichen „Autor“ der Verse „hinter die Schliche“ gekommen seien.[3] Denn tatsächlich entstammte das Weihnachtsgedicht keineswegs der menschlichen Phantasie als vielmehr der programmierten Kombinatorik eines „Elektronengehirns“.
Automatenkunst: der „dichtende“ Computer
Ein dichtender Computer – das war in den 1950er Jahren eine Vision, die wahlweise technikgläubige Begeisterungsstürme oder hysterische Ängste vor der Ersetzung des Menschen im Zeitalter der Maschinen provozierte. Dabei beschwor gerade die Rede von der „Automatenkunst“ das phantastische Szenario einer neuen, künstlichen Intelligenz. Im Zuge der Automationsdebatten erschienen in den USA und England erste Kurzgeschichten und Romane wie Roald Dahls „The Great Automatic Grammatizator“ (1948), Pierre Boulles „Le Parfait Robot“ (1953) oder Fritz Leibers „The Silver Eggheads“ (1962), die die Automatisierung kreativer Tätigkeiten und, genauer, die drohende Konkurrenz so genannter „robot writers“ bzw. „elektronischer Schriftsteller“ prognostizierten. Auch in der Bundesrepublik nahm sich der als „Tatsachenbericht“ deklarierte Bestseller „Die Roboter sind unter uns“ zu Beginn der 1950er Jahre diesen Chancen und Risiken der neuen (Computer-)Techniken an.[4]
Abseits aller Science-Fiction aber gab es ab der Mitte des 20. Jahrhunderts auch durchaus erste reale Experimente, kreative Maschinen zu programmieren. So versuchte man in den 1950er Jahren, den schweren Röhrenrechnern, die bis dato vorrangig im Dienste der Forschung standen, leichte „elektronische“ Poesie zu entlocken, wobei sich neben der Dichtung vor allem die Musik und die Malerei, aber auch die Architektur zu bevorzugten Feldern der neuen Computerkünste und ihrer programmierten Ästhetik aufschwangen.[5] Die Pioniere kamen hier aus Europa und dem anglo-amerikanischen Raum.[6]
In Deutschland liegen einige der Ursprünge der Computerkünste in der Stuttgarter Gruppe um den Philosophen Max Bense. Bense war ein Universalgelehrter, hatte neben Philosophie noch Mathematik, Geologie, Chemie und Physik studiert, wurde mit einer Arbeit über die Quantenmechanik promoviert, schrieb Bücher über Naturphilosophie, Leibniz, Hegel, Kierkegaard, aber auch über Franz Kafka, und war zugleich Poet, Hörspielautor, Experimentalfilmer, Kunstkritiker und Informatiker. Publizistisch prägte er die bundesdeutsche Literaturszene als Herausgeber des Journals augenblick. zeitschrift für tendenz und experimente und wurde so, wie neue Forschungen zeigen, zum spiritus rector der Konkreten und Visuellen Poesie.[7] Ab den 1950er Jahren hatte Bense zudem begonnen, eine poetische Automaten-Ästhetik zu entwickeln, die er aus der Begegnung mit der Informationstheorie Claude E. Shannons und Warren Weavers sowie mit Norbert Wieners Schriften zur Kybernetik schöpfte.[8] Sein Buch zur Programmierung des Schönen (1960) avancierte rasch zum Grundlagenwerk einer neuen „Informationsästhetik“. Die praktischen Experimente, Technik und Künste zu verbinden, überließ er allerdings seinen Schülern.[9]
Die Programmierung des Schönen: stochastische Texte
Zum Kreis dieser Schüler gehörten auch Theo Lutz und Rul Gunzenhäuser. Und sie waren es auch, die sich hinter dem poetischen Pseudonym „electronus“ des eingangs zitierten Weihnachtsgedichtes verbargen. Lutz, Diplomand am Institut für Theorie der Elektrotechnik der Technischen Hochschule Stuttgart (und zugleich Chefredakteur des Blattes Ja und Nein), sowie sein Kommilitone Gunzenhäuser, studierten bzw. arbeiteten an Benses Lehrstuhl. Dabei hatte Lutz als einer der Ersten die Möglichkeiten einer Poesie aus dem Computer entdeckt, und ausgangs der 1950er Jahre, als die Röhrenrechner allmählich in Hochschulen, Behörden und Unternehmen Einzug erhielten, begonnen, einen programmgesteuerten Rechenautomaten zur Simulation von sprachlichen Strukturen einzusetzen. Um solche computergestützten „Zufallstexte“ zu generieren, nutzte er den hochschuleigenen Zuse-Z22-Computer. Zu Benses Begeisterung versprachen Lutz' Experimente, seine Vision maschineller Poesie, wie er sie in der Programmierung des Schönen und seiner Theorie der Texte entwickelte, praktisch ins Werk zu setzen.[10] Gunzenhäuser unterstützte seinen Kommilitonen, indem er die Algorithmen mathematisch modellierte.[11]
Nach kurzer Zeit war es Lutz gelungen, Rechenmaschinen so zu programmieren, dass sie Texte ausgaben, die aussahen wie Gedichte. Lutz nannte sie „stochastische Texte“. Darunter verstand er „Texte, deren grammatikalische Struktur vorgegeben ist, deren Worte jedoch zufallsmäßig bestimmt sind“.[12] Später ergänzte er sein literarisches Programm um eine komplexere „Alternativmatrix“. Bei seiner Computer-Poesie handelte es sich sehr wahrscheinlich um die ersten maschinell erzeugten Texte in deutscher Sprache, so die am Literaturarchiv Marbach tätigen Philolog*innen Sandra Richter und Toni Bernhart, die Leben und Werk von Lutz im Rahmen eines Forschungsvorhabens zur Vorgeschichte der Digital Humanities ergründen.[13] Im Fall des Weihnachtsgedichts reichte Lutz dem Publikum übrigens rasch persönlich die Erklärung nach, wer bzw. was hinter der Poesie steckte: Ein „Elektronengehirn“ von Standard Elektrik Lorenz (SEL) hatte die weihnachtlichen Zeilen aus einem Sample von je zehn Substantiven und Adjektiven generiert, wobei der arithmetische Zufallsgenerator[14] aus dem zu Beginn noch sehr reduzierten Sprachmaterial die obigen Satzfragmente in ihrer spröden Ästhetik zusammensetzte. In anderen Fällen übernahm der Z22 den Job. Noch in der gleichen Ausgabe von Ja und Nein druckte Lutz so zum Beispiel ein kurzes Liebesgedicht („kein Kuss ist still“) ab, das er neben der Abbildung der dichtenden Maschine, genüsslich als „Originalgedicht von ZUSE, in der Handschrift des Dichters“ vorstellte.[15]
In Lutz' Leben blieben die lyrischen Experimente eine Episode. Gleich nach seinem Studium ging der Mathematiker in die Industrie, arbeitete bei SEL und dann über zwei Jahrzehnte lang bei IBM. Dennoch blieb er der schreibenden, und auch der künstlerischen Praxis verbunden. Neben zahlreichen Beiträgen zur betriebsinternen Wissensvermittlung publizierte er einige Fach- und Sachbücher wie Was denkt sich ein Elektronengehirn? (1963), die Programmierfibel (1965) und das Taschenlexikon der Kybernetik (1972).[16]
Ab der Mitte der 1960er Jahre kam es zu einem regelrechten Boom der Computer-Lyrik. Unter den kreativen Geistern, die Lutz' Beispiel inspirierte, war auch der Philologe Gerhard Stickel, der eigens einen IBM-7090-Rechner einsetzte, um seine so genannten „Autopoeme“ zu erzeugen. Der Datensatz der Rechner war inzwischen angewachsen: So nutzte Stickels Programm bereits ein Lexikon von 1200 Wörtern, während die Syntax aus 280 Satzmustern bestand. Aus diesem Material erzeugte der Rechner binnen 0,25 Sekunden zehn bis zwanzig Zeilen einer zufälligen Lyrik, die Stickel in Anlehnung an das gleichnamige stochastische Modell „Monte-Carlo-Texte“ nannte.[17] Stickels Poesie wurde im Deutschen Rechenzentrum in Darmstadt ausgestellt, und vom TV-Magazin Panorama zum Jahreswechsel 1966/67 bundesweit verbreitet.[18] Autopoem No. 1 thematisierte übrigens – einmal mehr – das Fest der Liebe, brachte dazu allerdings weihnachtliche Motive und Versatzstücke aus Märchen zusammen.[19]
Je populärer die Computer-Lyrik wurde, desto mehr erregte sie die (kultur-)kritischen Gemüter. Der Mathematiker und Computerkünstler, Frieder Nake, sah die wachsende Kritik derweil ausgangs der 1960er Jahre darin begründet, dass „Kunst“ in aller Regel als „ein letzter Schlupfwinkel der Seele, der Irrationalität“ verstanden werde: „Konsumenten und Produzenten [...] sehen Fundamente ihres Weltbildes erzittern, wenn sie hören, daß ‚Computer Kunst machen‘ [und] leiten daraus für sich eine – im geistigen Bereich liegende – existentielle Bedrohung ab.“[20] Als 1967 die Anthologie „Computer-Lyrik. Poesie aus dem Elektronenrechner“ erschien, glaubten sich die Programmierer, Manfred Krause und Götz Schaudt, im Spiegel gezwungen zu beteuern, dass es ihnen mit ihrer zusehends avancierten Lyrik, die die bestehenden Programme um Reimregeln und den Wortschatz von Goethe, Schiller, Grass und anderen Autoren erweiterte, weniger darum gehe, „die Ehrfurcht vor abendländischem Kulturgut“ zu „attackieren“, als „vielmehr den Gegen-Mythos, die Jahrhundert-Angst vor denkenden Maschinen“. Keineswegs stehe ihnen der Sinn nach „Blasphemie“ – wenngleich es ihnen gewiss sei, dass die Benutzung eines Computers zur Lyrik-Herstellung „von den meisten Dichtern als Missbrauch der Lyrik“ und von „nicht wenigen Technikern als Missbrauch des Computers“ gesehen werde.[21] Noch zehn Jahre später erinnerte ein kritischer Kommentator in der Computerwoche, wie zum Beweis, an die Geschichte „sinnloser Gedichte“ aus dem Rechner.[22]
Ars electronica – oder: codierte Künste. Musik, Literatur und Architektur im Zeitalter des Computers
Die neuen Künste aus dem Computer brachten rasch internationale Netzwerke hervor. So inszenierte die Avantgarde der digitalen Poesie in Europa und in den USA ab den 1950er Jahren ihre Grenzgänge im Geiste kybernetischer Phantasien in verschiedenen Ausstellungen und Happenings. Im Sommer 1968 machte die Vernissage der legendären „Cybernetic Serendipity“-Ausstellung[23] in London die Rede von den „Computer Arts“ dann populär. Hier verbanden sich Computer- und (Hoch-)Kultur. Als „mechanistische Muse“ war der Computer in diesen Jahren indes bereits zum Medienereignis geworden. So beschrieb der US-amerikanische Ingenieur J.R. Pierce im Juni 1965 den Computer als Typus des „neuen Künstlers“ im Playboy und erinnerte an die ersten Kompositionen eines Elektronenrechners, die ILLIAC-Suite 1957 (von L. A. Hiller Jr. und Leonard M. Isaacson), und die Schallplatte Music from Mathematics zu Beginn der 1960er Jahre, sowie die virtuellen Künste der Computer-Graphiken von A. Michael Noll, die er der abstrakten Malerei Mondrians zuordnete, und die computerlinguistischen Experimente am MIT.[24] Von besonderer Dynamik waren vor allem Experimente im Bereich der Musik. Der Pariser Musiker Iannis Xenakis inszenierte an der Seite von Le Corbusier und Edgard Varèse das Gesamtkunstwerk Poème Elèctronique im Philips-Pavillon der Weltausstellung 1958 in Brüssel und skizzierte später ganz unter diesem Eindruck seine Vorstellungen von stochastischer Musik in seinem Essay „Musiques formelles“ (1963).[25] In Deutschland avancierte der Physiker Wilhelm Fucks durch seine computergenerierte Komposition von Quatro Due 1963 zu einem Pionier der digitalen Musik.[26] Derweil begannen im Feld der Poesie neben Lutz in den 1960er und 1970er Jahren Künstler wie der Italiener Nanni Balestrini, computergenerierte Gedichte wie das „Tape Mark I“ zu publizieren; der südafrikanische Schriftsteller J. M. Coetzee, der nach seinem Studium für die Computerkonzerne IBM und International Computers Limited in England als Programmierer tätig war, arbeitete eingangs der Dekade sogar tagsüber am Design des Supercomputers Atlas und codierte nachts Lyrik.[27]
In einer Phase, in der der Computer die Muster kanonischer Dichtung zu erkennen und zu reproduzieren versprach, ging die konkrete Poesie den umgekehrten Weg, indem sie die Ästhetik computererzeugter Texte zu simulieren begann.[28] Zugleich wurden bis in die 1970er Jahre Textautomaten wie Konrad Bayers Dichtungsmaschine (1957), Jean Baudots La Machine a écrire (1964) oder Hans-Magnus Enzensbergers berühmter Poesieautomat entwickelt, die die neue maschinelle Lyrik ins Werk setzen sollten, wobei letzterer bis ins Jahr 2000 ein Gedankenspiel blieb.[29]
Die große internationale Blüte der Computer-Lyrik in den 1950er Jahren und 1960er Jahren war nur von kurzer Dauer. Im Gegensatz zur Computermusik und -graphik,[30] nutzte sich der Charme der Sprachexperimente rasch ab. Zwar erlebte digitale Poesie durch die Verbreitung der Heimrechner in den 1980er Jahren wieder einen (kurzen) Aufschwung. Bis zum neuerlichen Durchbruch – in der Ära des Internets und der Hypertexte des 21. Jahrhunderts – vergingen aber noch Jahrzehnte. Und doch spannen sich aus dieser Perspektive zahlreiche Entwicklungslinien zu gegenwärtigen Phänomenen wie der Netzliteratur, dem Computerspiel und Formen digitalen Storytellings.[31] Inzwischen beleben die Forschungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz, des Deep Learning und der Big Data-Analysen auch den Traum von der „kreativen“ Maschine neu.[32]
„Es scheint“, schrieb Theo Lutz 1960 über die poetischen Experimente, „als sei die Glaubwürdigkeit und der sprachliche Reiz automatisch erzeugter Texte um ein Vielfaches größer, wenn der Mensch nur indirekt ihr Autor ist.“[33] Dabei war das Zusammenspiel von Autor und algorithmischer Verarbeitung von Beginn an ein Faszinosum und Anlass kontroverser Auseinandersetzungen. In der eigensinnigen Aneignung des – zum Werkzeug akademischen Rechnens und der Rationalisierung alltäglicher Arbeitsprozesse domestizierten – Computers als „Spielgerät“ ästhetischer Experimente zeigte sich die vielgestaltige Nutzung der neuen Technik.[34] Die Episode des kurzen Frühlings der Computerpoesie um 1960 aus dem Geiste der „Weihnachtsgedichte“ erlaubte so zugleich Einblicke in die künstlerische Praxis der Mensch-Maschine-Interaktion im digitalen Zeitalter wie auch in die sich wandelnden Menschen- und Maschinenbilder, die diese grundierten.[35] Eine Geschichte digital codierter Künste mag aus dieser archäologischen Spurensuche lernen.
[1] electronus [Theo Lutz]: und kein engel ist schön, in: Ja und Nein. Unabhängige Zeitschrift der Jungen Generation 3,12 (1960), S. 3.
[2] [Theo Lutz]: und kein Engel ist schön, in: Ja und Nein. Unabhängige Zeitschrift der Jungen Generation 4,1 (1961), S. 3; Rul Gunzenhäuser: Zur Synthese von Texten mit Hilfe programm-gesteuerter Ziffernrechenanlagen, in: mtw – Mathematik, Technik, Wirtschaft. Zeitschrift für moderne Rechentechnik und Automation 10,1 (1963), S. 4-9, hier: S. 8; Karl Steinbuch: Automat und Mensch, Berlin 31965, S. 318; Rolf Lohberg/Theo Lutz: Was denkt sich ein Elektronengehirn?, Stuttgart 1965, S. 142-156, hier: S. 142f.
[3] Gunzenhäuser: Synthese, S. 8.
[4] Der Science-Fiction Autor und Computerkünstler Herbert W. Franke prognostizierte ein „goldenes Zeitalter“ der digitalen Literatur. Vgl. Herbert W. Franke: Kunst und Konstruktion. Physik und Mathematik als fotografisches Experiment, München 1957, S. 65f. Allerdings war die Idee, Poesie maschinell zu generieren, kein Kind des heranbrechenden digitalen Zeitalters. In Anlehnung an Versuche, logische Symbolsysteme und kombinatorische Prinzipien zu entwickeln, lebte der Traum wenigstens ab dem Ende des 17. Jahrhunderts, als Julius Caesar Scaliger seine kombinatorischen Verse vorlegte. Eine im Jahr 1777 erwähnte „poetische Handmühle“ versprach mechanische Oden zu dichten, lange bevor es die ersten elektrischen Computer gab. Vgl. Bernd Flessner: Wenn Algorithmen Dichter werden, in: Neue Zürcher Zeitung, 31.03.2016. [20.12. 2021]; Hannes Bajohr: Unermüdlich dichtet das Maschinchen, in: Neue Zürcher Zeitung, 27.02.2018. [20.12.2021]. Zum Diskurs der Roboter vgl. Rolf Strehl: Die Roboter sind unter uns, Oldenburg 1952, S. 247ff. Zu den Automationsängsten dieser Jahre vgl. überdies allg. Lucian Hölscher: Entdeckung der Zukunft, Göttingen 22016; Joachim Radkau: Geschichte der Zukunft. Prognosen, Visionen, Irrungen in Deutschland von 1945 bis heute, München 2017, S. 95-130.
[5] Vgl. Barbara Büscher/Hans-Christian von Herrmann/Christoph Hoffmann (Hrsg.): Ästhetik als Programm. Max Bense/Daten und Streuungen, Berlin 2004; Bettina Thiers: Max Bense, Dichter einer technisierten Welt? Über konkrete Poesie, computergenerierte Textexperimente und die „Programmierung des Schönen“, in: Andrea Albrecht et al (Hrsg.): Max Bense. Werk – Kontext – Wirkung, Berlin 2019, S. 257-272.
[6] Zu den Pionieren zählte hier Christopher Strachey, der nach seinem Studium der Mathematik am King’s College der University of Cambridge, inspiriert durch die Lektüre von Norbert Wieners Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine (1948) am National Physical Laboratory, einem der wichtigsten Computerzentren des Landes, über den Computer als „Thinking Machine“ nachdachte und so erste Experimente begann, den Computer (Ferranti Mark I) zum Damespiel zu programmieren. Daneben entwickelten Alan Turing und er einen Algorithmus, der den Rechner dazu brachte, „God save the Queen“ zu spielen. Vgl. Manchester Mark 1 Playing the First Recorded Computer Music. [20.12.2021]. Ab 1952 programmierte er kurze Love Letters, die er im Literaturmagazin Encounter veröffentlichte. Heinz Zemanek würdigte später den Witz und das kreatives Genie Stracheys. Vgl. dazu Toni Bernhart/Sandra Richter: Frühe digitale Poesie. Christopher Strachey und Theo Lutz, in: Informatik Spektrum 44,1 (2021), S. 11-18, hier: S. 13; Heinz Zemanek: Nachruf für Christopher Strachey, in: Information Technology 17,4 (1975), S. 159. [20.12.2021]. Zur Lyrik in den USA vgl. Samuel R. Levin: On Automatic Production of Poetic Sequences, in: The University of Texas Studies in Literature and Language 5,1 (1963), S. 138-147; vgl. auch Siegfried J. Schmidt: Der Kopf, die Welt, die Kunst. Konstruktivismus als Theorie und Praxis, Wien/Köln/Weimar 1992, S. 286-307; Miriam Stürner: Von künstlicher und digitaler Poesie. Formen computergenerierter Poesie seit den 1960er Jahren, Mag.-Arb. Stuttgart 2003. [20.12.2021]. Zu den Pionierinnen der elektronischen Musik erschien kürzlich die preisgekrönte Dokumentation "Sisters with Transistors" (Lisa Rovner, GB 2020).
[7] Vgl. Elke Uhl/Claus Zittel: Einleitung. Weltprogrammierung. Zur Aktualität Max Benses, in: dies. (Hrsg.): Max Bense. Weltprogrammierung, Stuttgart 2018, S. 1-8, hier: S. 1f.
[8] Im Jahr 1955 lud Bense den berühmten amerikanischen Kybernetiker Wiener zum Vortrag an die TH Stuttgart ein. Darüber hinaus zeitigten auch die Überlegungen des Mathematikers, Kybernetikers und Computer-Pioniers John von Neumann kurz nach dem Krieg in Literatur, Musik und Architektur ein großes Echo.
[9] Benses Schüler Georg Nees erprobte so zum Beispiel die Möglichkeiten „künstlicher Kunst“ und kuratierte 1965 eigens eine Ausstellung zur Computergraphik in den Räumen des Phil. Instituts der TH Stuttgart. Vgl. Bald krumme Linien, in: Der Spiegel, 27.04.1965, S. 151-152; Georg Nees: Visuelle Performanz. Einführung in den Neudruck des Buches Generative Computergraphik, in: ders.: Generative Computergraphik, hrsg. v. Hans-Christian von Herrmann/Christoph Hoffmann, Berlin 2006, S. XIII. Nees war als Mathematiker und Programmierer bei Siemens in Erlangen beschäftigt, und erstellte seine Kunstwerke mit der Rechenanlage des Forschungszentrums, einer Siemens 2002, und einem automatischen Zeichentisch – einem Zuse „Graphomat“. Die Titel der Kunstwerke wie „Gewebe“, „Schwarm“ oder „Anisotrope Textur“ spielen mit dem Verweis auf die ästhetische Form und die mathematisch-algorithmische Faktur. Vgl. dazu Hans-Christian von Herrmann: Geist der Abstraktion. Mathematik und Ästhetik bei Max Bense, in: Uhl/Zittel (Hrsg.): Max Bense. Weltprogrammierung, Stuttgart 2018, S. 83-94, hier: S. 90-93. Durch Benses Beispiel inspiriert, begann unter anderem auch der Mathematiker Frieder Nake im Bereich der Computerkünste zu wirken.
[10] Friedrich W. Block/Christiane Heibach/Karin Wenz: Ästhetik digitaler Poesie. Eine Einführung, in: dies. (Hrsg.): pOes1s. Ästhetik digitaler Poesie, Ostfildern-Ruit 2004, S. 11-35. Zu Bense vgl. Büscher/Herrmann/Hoffmann (Hrsg.): Ästhetik als Programm; Toni Bernhart: Rul Gunzenhäuser und die Stuttgarter Schule der mathematischen Geisteswissenschaften, in: Albrecht et al (Hrsg.): Max Bense, S. 323-335; Herrmann: Geist der Abstraktion. Vgl. überdies allg. Martin Warnke: Kunst aus der Maschine. Informationsästhetik, Virtualität und Interaktivität, Digital Communities, in: ders.: Kulturinformatik. Schriften 1997 bis 2007, Lüneburg 2009, S. 293-318. Saskia Reither: Computerpoesie: Studien zur Modifikation poetischer Texte durch den Computer, Bielefeld 2003, S. 118-162. Zu Max Benses Theorie einer künstlichen Poesie vgl. Max Bense: Über natürliche und künstliche Poesie, in ders.: Theorie der Texte, Köln 1962, S. 143-147, sowie allg. Klaus Peter Denker: Optische Poesie, Berlin/New York 2011, S. 177-267.
[11] So ermöglichte der Computer die Zergliederung und Neukombination kanonischer Literatur. Als Ausgangsmaterial ihrer ersten lyrischen Experimente diente Lutz und Gunzenhäuser Franz Kafkas „Schloss“. In den nächsten Jahren und Jahrzehnten erzeugte Lutz weiter maschinelle Stochastogramme, die allerdings nie mehr dasselbe Interesse erreichten.
[12] Theo Lutz: Über ein Programm zur Erzeugung stochastisch-logischer Texte. Abschließende Mitteilung, in Grundlagenstudien aus Kybernetik und Geisteswissenschaft 1,4 (1960), S. 11-16, hier: S. 12.
[13] Toni Bernhart/Sandra Richter: Maschinen können Gedichte schreiben, in: Süddeutsche Zeitung Nr. 244, 22.10.2019, S. 12. [20.12.2021]; Toni Bernhart: Beiwerk als Werk. „Stochastische Texte“ von Theo Lutz, in: Editio 34,1 (2020), S. 182-206; Bernhart/Richter: Frühe digitale Poesie; Beat Suter: Von Theo Lutz zur Netzliteratur. Die Entwicklung der deutschsprachigen elektronischen Literatur, in: Netzliteratur/Internetliteratur/Netzkunst. [20.12.2021].
[14] Zur Methode der „Zufallstexte“ und dem Einsatz von (Pseudo-)Zufallszahlengeneratoren vgl. Bernhart: Beiwerk als Werk, S. 185; Schmidt: Kopf, S. 288; Theo Lutz: Stochastische Texte, in: augenblick 4,1 (1959), S. 3-9, hier: S. 3f.; Gunzenhäuser: Synthese.
[15] [Theo Lutz]: und kein Engel ist schön, in: Ja und Nein. Unabhängige Zeitschrift der Jungen Generation 4,1 (1961), S. 3; Rolf Lohberg: Ehret eure deutschen Dichter, in: Ja und Nein 4,1 (1961), S. 2-3.
[16] Theo Lutz/Rolf Lohberg: Was denkt sich ein Elektronengehirn?, Stuttgart 1963; Theo Lutz/Volker Hauff: Programmierfibel, Stuttgart 1965; Theo Lutz: Taschenlexikon der Kybernetik, München 1972.
[17] Zum Ensemble der „Computerkünste“ dieser Jahre gehörte die Rechenanlage, ebenso wie das in ALGOL oder FORTRAN geschriebene Programm und die Lochkarten, in die man es stanzte. Vgl. Frieder Nake: Teamwork zwischen Künstler und Computer, in: Format. Zeitschrift für visuelle Kommunikation 3,11 (1967), S. 38-39. Nachdruck in: Büscher/Herrmann/Hoffmann (Hrsg.): Ästhetik als Programm, S. 220-227; ders.: Unvollendung. Eine Erinnerung an ein kybernetisches Modell des Kunstprozesses, in: Hans Esselborn (Hrsg.): Ordnung und Kontingenz: das kybernetische Modell in den Künsten, Würzburg 2009, S. 142-159. Gerhard Stickel, der spätere Direktor des Mannheimer Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache, war von Haus aus Philologe, hatte aber auch eine Zusatzausbildung als Programmierer. Zu Stickels Autopoemen: Schmidt: Kopf, S. 287f. und Frieder Nake: Erzeugung ästhetischer Objekte mit Rechenanlagen, in: Rul Gunzenhäuser (Hrsg.): Nicht-numerische Informationsverarbeitung, Wien 1968, S. 456-472, hier: S. 457; Gerhard Stickel: Automatische Textzerlegung und Registerherstellung, in: Programm-Information PI-11, Deutsches Rechenzentrum Darmstadt, Darmstadt 1964; ders.: Computerdichtung. Zur Erzeugung von Texten mit Hilfe von datenverarbeitenden Anlagen, in: Der Deutschunterricht 18,2 (1966), S. 120-125; ders.: Monte-Carlo-Texte. Automatische Manipulation von sprachlichen Einheiten, in: Exakte Ästhetik 5 (1967), S. 53-57.
[18] Weihnachten aus dem Computer, HNF-Blog, 07.12.2015. [20.12.2021]; Weihnachtliche Grüße vom Computer, Panorama, 26.09.1966. [20.12.2021].
[19] Auch in dem Autopoem (No. 203), das die Panorama-Sendung zeigte, verband der Autor das Thema Weihnachten und Märchen. Für einen Abdruck des Poems vgl. Schmidt: Kopf,
S. 288f.
[20] Nake: Erzeugung, S. 456.
[21] Goethe gelocht. Computer-Lyrik, in: Der Spiegel, 05.11.1967, S. 202; 204. „‚Zwischen der unbedingten Willkür der dichtenden Phantasie und der entsprechenden Willkür der verstehenden Phantasie kann der Sinngehalt eines Gedichtes nur erahnt werden.‘ Diese beiden Sätze können auf einen ‚elektronischen Dicher‘ freilich nicht bezogen werden. Die Frage ‚Was will er damit?‘ kann nicht, sondern muß dispensiert werden, denn den Wunsch nach einer bestimmten Aussage hat die Datenverarbeitungsanlage nicht.“ Computer-Lyrik. Programmiert und herausgegeben von Manfred Krause und Götz F. Schaudt, Düsseldorf 1967, S. 13.
[22] Herbert Bruderer: Sinnlose Gedichte aus dem Computer, in: Computerwoche, 22.07.1977. [20.12.2021].
[23] In London kamen Aussteller und Gäste – Computerspezialisten von Forschungszentren, Hochschulen und Universitäten aus ganz Europa, Nordamerika und Japan, aus der Industrie (IBM, ICT, Siemens), aber auch Künstler wie z.B. der Wiener Künstler Hermann J. Hendrich, der Graphiker Kurd Alsleben oder die Musiker und Komponisten John Cage aus New York, Karlheinz Stockhausen aus Köln und Iannis Xenakis aus Paris zusammen. Vgl. Jasia Reichardt (Hrsg.): Cybernetic Serendipity. The Computer and the Arts. A Studio International Special Issue, London/New York 1968, S. 5-7; Cybernetic Serendipity. [20.12.2021].
[24] Vgl. John R. Pierce: Portrait of the Machine as a Young Artist, in: Playboy 12 (Juni 1965), S. 124; 150; 182; 184.
[25] Bernhart/Richter: Maschinen. Zu Beginn wurde elektronische Musik, ähnlich visueller Computerkunst, durch analoge Generatoren erzeugt; später begann dann die Digitalisierung der Musikkomposition. Wegen langer Rechenzeiten und geringer Speicherkapazitäten setzte sich die voll digitalisierte Musikausgabe erst ab dem Ende der 1970er-Jahre mit einer schnelleren Computergeneration durch.
[26] Zu Fucks Komposition vgl. Cybernetic Serendipity Music. [20.12.2021]. Zu seiner statistischen Methode der Musik- und Literaturanalyse vgl. Wilhelm Fucks/Josef Lauter: Exaktwissenschaftliche Musikanalyse, Köln 1965; Wilhelm Fucks/Josef Lauter: Mathematische Analyse des literarischen Stils, in: Helmut Kreuzer/Rul Gunzenhäuser (Hrsg.): Mathematik und Dichtung. Versuche zur Frage einer exakten Literaturwissenschaft, München 1965, S. 107-122.
[27] Vgl. TAPE MARK 1 von Nanni Balestrini: Forschung und historische Rekonstruktion. [20.12.2021]; Colin Marshall: When J.M. Coetzee Secretly Programmed Computers to Write Poetry in the 1960s, 29.07.2017. [20.12.2021]; Mark Anderson: The Birth of Digital Poetry, in: IEEE Spectrum, 23.05.2018. [20.12.2021].
[28] So generierte der US-amerikanische Dichter Emmett Williams mit seinen Procedural Poems und seiner „IBM Poetry“ vermeintlich künstliche Texte, ganz ohne einen Computer zu benötigen, während der Brite Edwin Morgan die Form eines computererzeugten Gedichts simulierte, das er unter dem Titel „Computer‘s First Christmas Card“ 1965 publizierte. Vgl. Chris T. Funkhouser: Prehistoric Digital Poetry. An Archeology of Forms, 1959-1995, Tuscaloosa 2007, S. XX; ders.: IBM Poetry: Exploring Restriction in Computer Poems, in: Humanities 6(1),7 (2017). [20.12.2021]. Vgl. überdies. Matteo d’Ambrosio, The Early Computer Poetry and Concrete Poetry, in: Materialidades da Literatura 6,1 (2018), S. 52-72, hier: S. 60-65. Zu Morgans Ansatz vgl. Edwin Morgan: Note on Simulated Computer Poems, in: Reichardt (Hrsg.): Cybernetic Serendipity, S. 57 (sowie zur Computerpoesie i.A. S. 53-62). Der ästhetischen Funktion automatisch bzw. künstlich erzeugter Texte widmete sich überdies die 1960 in Frankreich gegründete Gruppe Oulipo (Ouvroir de Littérature Potentielle), aus der unter anderem Raymond Queneaus Cent mille milliards de poèmes hervorgingen. Zur Riege der Künstler, die den Computer als Werkzeug ihrer Permutationsdichtung einzusetzen ersannen, gehörte auch: Erwin Schäfer: Gedichte aus dem Computer, Neuwied/Berlin 1970.
[29] Zur Mitte der 1970er Jahre belebte Enzensberger die Idee der automatischen Poesiegenerierung neu. Seine Einladung zu einem Poesieautomaten (1974/1999) war zu Beginn vor allem ein Gedankenspiel gewesen. Im Rahmen des Landsberger Lyrikfestivals „Lyrik am Lech“ im Sommer 2000 kam der „Automat“ dann allerdings erstmals zum Einsatz, bevor er später als Dauerleihgabe seinen Platz im Literaturmuseum der Moderne im Deutschen Literaturarchiv Marbach einnahm.
[30] Während der Stern der Computerpoesie eingangs der 1970er Jahre zeitweilig sank, setzten Computermusik und -graphik ihren Siegeszug fort, wie zahlreiche Ausstellungen rund um den Globus demonstrieren. Eine Vernissage des Goethe-Instituts brachte die Computerkünste so in den 1970ern nach New Delhi. Vgl. Heike Piehler: Die Anfänge der Computerkunst, Frankfurt a.M. 2002; Ralf Bülow: Sinn ist fern. Wie die Computer dichten lernten, in: Wulf Herzogenrath/Barbara Nierhoff-Wielk (Hrsg.): Ex Machina. Frühe Computergrafik bis 1979: Die Sammlungen Franke und weitere Stiftungen in der Kunsthalle Bremen. Herbert W. Franke zum 80.Geburtstag, München 2007, S. 134-172. Zur Programmatik der Künste vgl. Herbert W. Franke: Ars electronica. Kunst und Computer, in: Werner Pieper (Hrsg.): Zukunftsperspektiven. Forschung, Szenarien, Bewusstsein. Morgen Kinder wird's was geben - Erwarte das Unerwartete!, Löhrbach im Odenwald 1984, S. 87-101; ders.: Computergraphik, Computerkunst, München 21985. Zur Geschichte der Computergraphik vgl. überdies allg. Christoph Klütsch: Computer Grafik. Ästhetische Experimente zwischen zwei Kulturen. Die Anfänge der Computerkunst in den 1960er Jahren, Wien/New York 2007; Herzogenrath/Nierhoff-Wielk (Hrsg.): Ex Machina; Paul Brown et al. (Hrsg.): White Heat Cold Logic. British Computer Art 1960-1980, Cambridge, MA/London 2008; Grant D. Taylor: When The Machine Made Art. The Troubled History of Computer Art, New York 2014; Boris Magrini: Confronting the Machine, Berlin/Boston 2017.
[31] Auch Enzensbergers berühmter „Poesieautomat“ wäre in der Tradition der digitalen Poesie zu verorten: Enzensberger kannte Max Bense und sein Interesse an maschineller Dichtung. Schon im März 1967 veröffentlichte er darüber ein ganzes Kursbuch mit dem Titel Neue Mathematik. Grundlagenforschung. Theorie der Automaten. Dies war ein entscheidender Impuls, der ihn Jahre später zu seinem Grundlagenwerk Einladung zu einem Poesie-Automaten veranlasste. Vgl. Bernhart/Richter: Frühe digitale Poesie, S. 17.
[32] Aktuell wird der Epochenwandel hin zur „Künstlichen Kreativität“ so einmal mehr besungen, in dem Computer die Künste erobern: „Sie malen wie Rembrandt, komponieren wie Bach, sie schreiben Romane und Gedichte.“ Zur Kritik an der These vom Algorithmus als „neuem Schöpfergott“ vgl. Hanno Rauterberg: Die Kunst der Zukunft. Über den Traum von der kreativen Maschine, Berlin 2021. Der Schriftsteller Daniel Kehlmann unternahm kürzlich nach einer Reise ins Silicon Valley den Versuch, gemeinsam mit einer Künstlichen Intelligenz eine Kurzgeschichte zu schreiben, „nicht als Kuriosität, sondern als echte Literatur“ – und berichtete von den Tücken der experimentellen „Zusammenarbeit“ mit dem Algorithmus. Vgl. Daniel Kehlmann: Mein Algorithmus und ich. Stuttgarter Zukunftsrede, Stuttgart 2021, S. 5f.
[33] Lutz: Programm, S. 11. Lutz selber sah sich vordergründig als Autor des Programms und die Maschine als Autor des Textes. Zur Frage der Autorschaft, des Copyrights und der Verhandlung von Wissen vgl. allg. Ulf Hashagen/Rudolf Seising (Hrsg.): Algorithmische Wissenskulturen. Der Einfluss des Computers auf die Wissenschaftsentwicklung, Wiesbaden 2022.
[34] Zu dieser Perspektive vgl. auch Reinhard Keil: Der Computer als Medium – Medien als Denkzeug des Geistes, in: Christian Kühne et al. (Hrsg.): Per Anhalter durch die Turing-Galaxis, Münster 2012, S. 147-152.
[35] Vgl. Martina Heßler: Die Ersetzung des Menschen? Die Debatte um das Mensch-Maschinen-Verhältnis im Automatisierungsdiskurs, in: Zeitschrift für Technikgeschichte 82,2 (2015), S. 109-136; dies.: Menschen – Maschinen – MenschMaschinen in Zeit und Raum. Perspektiven einer Historischen Technikanthropologie, in: dies./Heike Weber (Hrsg.): Provokationen der Technikgeschichte. Zum Reflexionszwang historischer Forschung, Paderborn 2019, S. 35-68.; dies.: Technikemotionen, Paderborn 2020.