von Frank Trentmann

  |  

4. Februar 2022

Dieser Text ist eine Verschriftlichung des Eingangsstatement von Frank Trentmann bei der Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen".  Die von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin) initiierte Veranstaltung fand im Wintersemester 2021/22 im online-Format statt. Zeitgeschichte|online veröffentlicht die Eingangsstatements der Veranstaltung in einem Dossier. Die Vorträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von der Audioaufnahme transkribiert und überarbeitet, dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.


 

Geschichtliche Grundfragen
Teil I:

Nach welchen Kriterien bestimmen wir die Relevanz historischer Forschung? Kann man Erkenntnisinteressen hierarchisieren?
Diskussion am 29. November 2021 (online)

Eingangsstatement von Frank Trentmann (London/Helsinki)

Ich möchte über die britischen Debatten reflektieren, die sich mit Relevanz auseinandersetzen. Wie alle wissen, ist die Insel eine sehr eigenartige Konstellation. Aber wie viele der Historiker*innen auch wissen, ist es häufig der Wind, der über die Nordsee kommt und dann irgendwann auch deutsche Gefilde erreicht. Ich hoffe somit, dass einige der Reflexionen von Interesse sind. Ich werde das Problem anders angehen, nämlich durch die Pipeline von der anderen Seite aus schauen, geleitet von der Frage „Was für einen Unterschied macht die historische Forschung?“.

Diese Frage setzt sich mit dem Konzept „Impact“ auseinander. „Impact“ ist das Keyword in Grossbritannien. Gemeint ist Wirkung und Effekt wissenschaftlicher Forschung. Das betrifft nicht nur die Geschichtsforschung, aber ich werde vor allem über die historisch-disziplinären Entwicklungen sprechen.
Kurz zum Kontext: Wir haben in Großbritannien etwas, das nennt sich „Research Excellence Framework“ (REF), das alle sechs Jahre alle Abteilungen und fast alle Wissenschaftler*innen begutachtet und dann, je nach Bewertung, Gelder verteilt. Wie viele wissen sind die britischen Universitäten private Institutionen, aber ein großer Teil der Gelder kommt trotzdem von staatlichen Stellen. Ein Vielfaches der staatlichen Forschungsgelder wird mittels dieses „Research Excellence Framework“ über einen Schlüssel verteilt. Nach diesem Schlüssel werden 25 Prozent für die Bewertung von „Impact“ Studien vergeben. Jede Abteilung muss eine bestimmte Anzahl „Impact“ Studien einreichen, abhängig von ihrer Größe. Zudem gibt es 15 Prozent für das sogenannte „Environment-Statement“ einer Abteilung. Und da spielt „Impact“ ebenfalls eine große Rolle. Das heißt 40 Prozent der Gelder sind abhängig vom jeweiligen „Impact“. Nicht so viel wie beim „Output“,  bei dem die wissenschaftliche Qualität von ausgewählten  Publikationen bewertet wird. Aber 40 Prozent sind ein großer Teil der zu vergebenden Forschungsgelder.

Ich möchte kurz über die positiven Seiten sprechen und werde dann leider etwas pessimistischer in den zehn Minuten, die mir hier zustehen.
Als Erstes möchte ich betonen, dass von Beginn der Erarbeitung eines Forschungsdesigns und einer Forschungsfrage, Wissenschaftler*innen wirklich ermuntert werden, danach zu fragen: „Für wen ist das eigentlich gut, was ich mache?“. Was könnte der Nutzen meiner Ergebnisse sein. Da es sich um öffentliche Steuergelder handelt, ist das keine dumme Frage in einer Demokratie. Die Wissenschaftler*innen werden aufgefordert sich zu überlegen, wer die möglichen Zielgruppen sind: Zivilgesellschaft, Staat oder Wirtschaft, die möglicherweise Interesse an dem Thema haben. Das tun wir seit „Impact“ wesentlich häufiger als je zuvor.

Zweitens: Die Überlegung zum Thema „Impact“ für die eigene Forschungsfrage birgt die Möglichkeit in sich, zusätzliche Ansätze und „Stimuli“ einzubauen oder zu erarbeiten von jenen nicht-wissenschaftlichen „User*innen“, also Nutzer*innen der eigenen Arbeit, mit denen wir uns normalerweise nicht über historische Forschungsfragen auseinandersetzen.
Größere zivilgesellschaftliche Organisationen, Unternehmen sowieso, aber auch staatliche Institutionen haben ja selbst ihre internen Wissenschaftler*innen und betreiben mit großem Aufwand ihre eigenen sozialwissenschaftlichen Forschungen – auch wenn sie nicht in wissenschaftlichen Zeitschriften publizieren. 
Aus dem historischen Seminar herauszutreten und sich mit diesen verschiedenen Akteuren zu unterhalten kann durchaus sinnvoll sein, und das eigene Forschungsdesign schärfen. Und von diesem Austausch habe ich, das muss ich ganz ehrlich sagen, auch sehr viel gelernt.

Wir reden immer davon, dass die Menschen aus der Geschichte lernen müssten. Aber wie und was lernt man eigentlich „von der Geschichte“? Und da gibt es natürlich Möglichkeiten über „Impact“ zu versuchen, gezielt historisches Wissen an jene Gruppen zu kommunizieren, für die es von Bedeutung ist. Ein typisches Beispiel dafür kann etwa das Thema Energiewende sein. Alle reden immer von Energiewende aber vieles, von dem was diskutiert wird, basiert auf einer relativ naiven Idee davon, wie der Bereich der Energiegewinnung sich im Laufe der Geschichte und innerhalb der Gesellschaft entwickelt hat. Es kann also durchaus sinnvoll und interessant für beide Seiten sein – Historiker*innen und gesellschaftlich-wirtschaftliche Akteure – am selben Tisch zu sitzen und mittels neuerer Forschungsergebnisse zu diskutieren, wie man vielleicht anders über das Thema nachdenken kann.
Die Geschichte der Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Thema im Zeitalter der Klimakrise und es wäre prätentiös, wenn Historiker*innen einfach sagten, nein ich sitze in meinem Büro und mache so weiter wie zuvor.
Ich möchte aus meiner eigenen Abteilung ein paar Beispiele von „Impact Studies“ geben, die jeweils konkret nachweisen müssen, wie ein Forschungsergebnis oder ein Argument oder eine Forschungsfrage spür- und dokumentierbare Veränderungen hervorgerufen hat. „Impact“ ist mehr als „Engagement“. Es ist nicht möglich zu sagen: Einhundert Zuhörer*innen sind zu meiner Veranstaltung gekommen, soviele Bücher habe ich verkauft! Das interessiert bei „Impact“ niemanden. „Impact“ muss wie bei jede*r gute*n  Historiker*in mit Nachweisen dokumentiert werden. Und das kann auf unterschiedliche Arten geschehen. Zum Beispiel: Studien zur Entwicklung in der Psychologie und Psychiatrie in der Mitte des 20. Jahrhunderts, die dann an Psychiater*innen, die sich dafür interessieren, weitergegeben werden. Da können z.B. Forschungsergebnisse über die Ursprünge von bestimmten Konzepten aufgegriffen werden und zu realen Veränderungen führen, etwa wie professionelle Psychiater*innen heute schreiben, denken und arbeiten.
Oder Wissenschaftler*innen, die mit Gay- und Lesbian-Communities in einer Geschichtswerkstatt zusammenarbeiten und darlegen können, wie diese Zusammenarbeit das wissenschaftliche Arbeiten und die historische Erinnerung in bestimmten Gemeinschaften verändert hat. Das wären etwa zwei konkrete Beispiele. Schulen und Museen sind ebenfalls klassische Beispiele, bei denen man nachweisen kann, wie unterschiedliche Darstellungen von Geschichte und die Nutzung verschiedener Materialien den Unterricht verändern. Wichtig ist jedoch vor allem der konkrete Nachweis über diese Formen der Veränderungen, der Einflussnahme o.ä.. Es ist also nicht möglich, einfach zu sagen, ich stelle große, wichtige Geschichten dar. Der zentrale Punkt ist: was wird davon von wem aufgenommen und wofür genutzt?

Jetzt ein paar Worte zu den negativen Seiten dieses Verfahrens. Das Grundproblem bei Verfahren, wie dem „Impact“ ist die Forderung nach messbaren Ergebnissen, nicht unbedingt in quantitativer Hinsicht. Es ist nicht so, dass eine „Impact“ Studie jeweils mehr Punkte bekommt, weil sie mehr Menschen erreicht, sondern „the proof is in the pudding“. Das heißt es muss gezeigt werden, was sich konkret verändert hat durch unsere Forschungsergebnisse. Und wenn das nur eine kleine Gruppe von Textilfirmen in Dundee ist, die durch bestimmte Forschungsarbeiten über die Geschichte der Juteindustrie etwas anders macht, dann ist das auch gut. Wir müssen also nicht das Problem der Klimakrise lösen. Gleichzeitig heißt diese Konkretisierung aber, dass zivilgesellschaftliches Engagement unterschätzt wird. Man bekommt keine Punkte dafür, dass man sagt, ich habe auf bestimmte Fragen hingewiesen und über diese Radio- oder Fernsehsendung haben viele zugehört. Das ist schön, aber es müsste nachgewiesen werden, dass die Zuhörer*innen danach anders leben oder anders nachdenken. Es wird erwartet, dass es spezifische Handlungen, beweisbare Handlungsresultate in Folge unserer wissenschaftlichen Arbeit gibt. Der zweite große Nachteil ist die Tatsache, dass das Forschungsdesign nun genau in eine andere Richtung geht, als wir es gewohnt sind. Das heißt, es gibt mittlerweile eine Art von vorprogrammierter „Impact“ Studienförderung. So sind etwa weder die Resultate für REF 2021 noch die Kriterien für REF 2027 veröffentlicht, aber jede Universität hat in jedem Department sogenannte „Impact Officers“, die jetzt schon strategisch planen, was für Projekte sie als „Impact“-Studien in sechs Jahren erarbeiten und einreichen wollen. Das heißt, „Impact“ bestimmt jetzt von vornherein das Forschungsdesign, weil man weiß, Ergebnisse müssen konkret dargestellt und registriert werden. Und das heißt, es wird eine Form der retrospektive Forschungsfrage produziert.

Hinzu kommt das Problem, dass viele Kolleg*innen eben nicht an Studien arbeiten, die konkrete Resultate im Sinne von „Impact“ haben. Langfristig gesehen muss man sich die durchaus politische Frage stellen, werden hier nicht bestimmte Themen gefördert oder vielmehr: wird hier eine bestimmte Art von Geschichtsforschung privilegiert, die diese Konkretisierungsdokumentation leisten kann?
Das große Problem ist, dass der Horizont der Forscherinnen auf diese Weise wirklich eingeengt wird. Also Probleme, die potenziell „Impact“ haben, sind Probleme, die wir heute erkennen und von denen wir annehmen, dass sie auch noch in drei, vier Jahren existieren also dann, wenn wir „die Impact-Studie“ abliefern sollen. Offene Forschungsfragen, die nicht unmitellbar so verknüpfbar sind, werden dagegen von Anfang an begrenzt. Letzten Endes bedeutet dies, dass die Zukunft – wir schreiben natürlich über die Vergangenheit – aber, dass die Zukunft, die wir uns vorstellen, eine Verlängerung der Gegenwart wird. Und das ist meiner Ansicht nach, ein ganz großer Fehler.

Zum Schluss: Diese „Impact“-Studien stellen die große Frage danach für wen die Geschichts- und andere Wissenschaften gut sind. Für wen ist historisches Denken wichtig in einer Gesellschaft? Unsere Forschungen werden durch diese Fragen auf die Gegenwart, auf das Gegenwartsinteresse zugespitzt. Und da fiel mir dann doch noch mal ein Satz ein, den vor langer Zeit ein Kollege formuliert hat, nämlich, dass jede Epoche unmittelbar zu Gott ist. Und ihr Wert beruht gar nicht darauf was aus ihr hervorgeht, sondern in ihrer Existenz selbst. Und ich würde schon hoffen, dass der Geschichtswissenschaft gut daran täte, diesen Punkt so stark wie möglich zu erinnern und zu vertreten.