Erstveröffentlichung des Dossiers: 27. Juni 2022
Die Diskussionsreihe "Geschichtliche Grundfragen" fand im Wintersemester 2021/22 im online-Format statt und wurde initiiert von Rüdiger Graf (ZZF), Matthias Pohlig (HUB) und Ulrike Schaper (FU Berlin).
Mit den sozial-, geschlechter-, kultur- und globalgeschichtlichen Erweiterungen der Geschichtswissenschaft vor allem seit den 1970er Jahren sind ihre Themen vielfältiger, die theoretischen Ansätze und Methoden pluraler und Forschungsdesigns multiperspektivischer geworden. Dementsprechend hat die Komplexität des Fachs zugenommen, das heute in seiner Vielgestaltigkeit gerade auch über die Epochengrenzen hinweg kaum noch zu überblicken ist. Angesichts dieser Pluralisierung scheinen die Konturen der Geschichtswissenschaft zu verschwimmen, was von den einen als „anything goes“ beklagt und von anderen als notwendige Diversitätssteigerung begrüßt wird. Unserer Ansicht nach stellen sich aber auch angesichts der Vervielfältigung von Perspektiven, Zugängen und Quellenkorpora auf einer ganz basalen Ebene des historischen Arbeitens noch immer gleiche oder zumindest ähnliche Grundfragen: Was ist eine gute historische Frage? Gibt es eine Einheit der Geschichte oder nur partiale Geschichten? Wie politisch kann, darf und muss Geschichte sein? Ist historische Erkenntnis objektiv? Wie sollen die räumlichen und zeitlichen Bezüge unserer Forschungen gestaltet sein?
Zwar haben sich auch die historiographischen Theoriediskussionen seit den 1970er Jahren ausdifferenziert und mit Anleihen aus den systematischen Nachbarwissenschaften zu diesen Fragen Stellung genommen, geklärt sind sie aber bei Weitem nicht. Weil sie sich vielmehr in der alltäglichen historiographischen Praxis immer wieder aufs Neue stellen, möchten wir, Historiker*innen der HU und der FU Berlin sowie des ZZF Potsdam, sie mit interessierten Kolleg*innen in loser Folge systematisch diskutieren und dabei vor allem den Brückenschlag zwischen abstrakter Theoriereflexion und konkreter historiographischer Arbeitspraxis suchen.
Rüdiger Graf, Matthias Pohlig, Ulrike Schaper
(4. Februar 2022)
zeitgeschichte|online veröffentlicht an dieser Stelle die Eingangsstatements, die jeweils in den verschiedenen Themendiskussionen gehalten wurden. Die Statements wurden entweder von der Audioaufnahme transkribiert oder von den Autor*innen schriftlich eingereicht und redaktionell überarbeitet. Dabei wurde Wert darauf gelegt, die rein sprachliche Form der Statements beizubehalten.
Sämtliche Texte wurden von den Autor*innen autorisiert.
(Transkripte: Alina Casanova, Valerie Müller-Huschke, Antoine Bouchez)
Teil I:
Nach welchen Kriterien bestimmen wir die Relevanz historischer Forschung? Kann man Erkenntnisinteressen hierarchisieren?
Eingangsstatements von Barbara Stollberg-Rilinger, Frank Trentmann und Habbo Knoch
Teil II:
Was ist eigentlich die historische Methode? Was bedeutet Vetorecht der Quellen?
Eingangsstatements von: Carolin Arni, Jürgen Kocka und Kim Christian Priemel
Teil III:
Wie politisch kann, soll und muss Geschichtsschreibung sein?
Eingangsstatements von: Frank Bösch, Christina Brauner und Ute Daniel
Teil IV:
Gibt es angesichts der Pluralisierung der Geschichtswissenschaften (noch) eine Geschichte im Singular und (wie) kann man sie darstellen?
Eingangsstatements von: Sebastian Conrad, Maren Möhring und Frank Rexroth
Teil V:
Wie findet und formuliert man eine gute historische Frage?
Eingangsstatements von: Ute Frevert, David Kuchenbuch und Tim Neu
Teil VI:
Wie bestimmt die Distanz zum Untersuchungsgegenstand den Forschungsprozess?
Eingangsstatements von: Benno Gammerl, Christoph Kalter und Lyndal Roper
Teil VII:
Wozu brauchen Historiker*innen Theorie?
Eingangsstatements von: Birgit Emich, Thomas Mergel und Nina Verheyen
Teil VIII:
Kann man aus der Geschichte lernen?
Eingangsstatements von: Herfried Münkler, Christiane Reinecke, Martin Lücke
Teil IX:
Beschreiben, erzählen, argumentieren oder analysieren Historiker*innen?
Eingangsstatements von: Daniela Hacke, Ewald Fried, Bettina Hitzer