von René Schlott, Viktor-Emanuel zu Sachsen

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25. Januar 2019

Am 27. Januar 2019, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, kommt der Film „Schindlers Liste“ von Regisseur Steven Spielberg 25 Jahre nach seinem erstmaligen Erscheinen erneut in die deutschen Kinos.

Damals warb der amtierende US-Präsident Clinton mit drei schlichten Worten für den Film, die noch immer oder gerade wieder gelten:

„Go see it!“

Die Handlung des Films erzählt, basierend auf historischen Fakten sowie dem 1982 erschienenen Bestsellerroman „Schindler's Ark“ von Thomas Keneally, vom deutschen Geschäftsmann Oskar Schindler.
Zwar nutzte Schindler die durch den deutschen Einmarsch in Polen möglichen Geschäftsmöglichkeiten zunächst aus und profitierte dabei vor allem finanziell im Verlauf der Gründung einer Emaillefabrik von der Entrechtung, Enteignung und Ghettoisierung der polnischen Juden. Mit der Zeit jedoch, registriert er das unmenschliche Agieren von SS und Wehrmacht und setzt seine Fabrik zunehmend und gezielt dazu ein, Juden vor der Deportation in die Vernichtungslager zu bewahren. Oskar Schindler rettete dadurch mehr als 1.000 Juden das Leben.

 

Film still: 25 Jahre Schindlers Liste. © 2019 Universal Pictures Germany.

 

Am kommenden Sonntag 27. Januar 2019 ist die technisch überarbeitete Version eines der meistausgezeichneten Werke der Filmgeschichte in den deutschen Kinos zu sehen.
Trotz der sieben Oscars und den drei Golden Globes, mit denen der Film ausgezeichnet wurde, polarisierte der Film nach seiner Premiere im Jahr 1993. Dabei rief er sowohl begeisterte Zustimmung, als auch scharfe Kritik hervor - was seinem Erfolg jedoch nicht schadete. Allein in Deutschland strömten sechs Millionen Menschen in die Kinos. Der Film wirkte zudem wie ein Katalysator für die sich gerade zu diesem Zeitpunkt weltweit etablierende Holocaustforschung.
„Schindlers Liste“ wurde zum Ausgangspunkt eines damals weltweit einzigartigen Projektes: Im Jahr 1994 begann eine von Regisseur Steven Spielberg begründete Stiftung mit der Aufzeichnung von Interviews mit Überlebenden und Zeitzeugen der Shoah.

Als eines der vieldiskutierten Themen galt in den 1990er Jahren die Frage danach, ob es überhaupt moralisch vertretbar sei, einen Film zum Thema Holocaust mit der Produktionsweise Hollywoods und jenem dazugehörigen Unterhaltungsanspruch zu drehen? Eine Frage übrigens, die noch heute HistorikerInnen beschäftigt.
Interessant angesichts der Wiederaufführung einer neu bearbeiteten Fassung von „Schindlers Liste“ sind die Fragen, die wir uns heute stellen, und was empfinden wir vor der „Kulisse“ der Gegenwart beim Wieder-Sehen des Films?

Für Zeitgeschichte-online haben sich zwei Historiker unterschiedlicher Generation zur Pressevorführung im Kino getroffen, um ihre Eindrücke zu schildern. 

 

Über Modernität und Aktualität eines 25 Jahre alten Filmes (René Schlott)

Da war es wieder, dieses Gefühl von Benommenheit, wenn man das Kino verlässt und in den Alltag der abendlichen Stadt eintaucht. Es erinnerte mich an den März 1994, als ich als 16-Jähriger „Schindlers Liste“ kurz nach dem deutschen Kinostart zwei Mal gesehen hatte und seitdem nie wieder. 25 Jahre später ist da erneut diese Stimmung nach einem Film, der einen nicht loslässt, innerlich aufwühlt und weiter beschäftigt. Ich kenne die Einwände gegen den Film, und der Historiker in mir schlägt ob der subjektiven Darstellung Alarm, und doch kann ich mich der Wirkung der filmischen Erzählung nicht entziehen. Man kennt den Ausgang der Geschichte, wartet auf bestimmte Szenen, die noch flüchtig in Erinnerung sind, und bemerkt kaum, wie in mehr als drei Stunden sechs Jahre Holocaust-Geschichte auf der Leinwand vorüberziehen.

Beim dritten Sehen von „Schindlers Liste“ wird mir vor allem klar, warum dieser Film als Klassiker gilt: Er ist ein cineastisches Kunstwerk.
Kameraführung, Schnitt und Nahaufnahmen, vor allem aber die Lichteffekte schaffen Bilder, die Gemälden gleichen. Selbstverständlich gehorcht auch „Schindlers Liste“ den ökonomischen Eigenlogiken eines US-amerikanischen Blockbusters mit romantischen Liebesgeschichten und dem kitschigen Pathos, die jeder Darstellung einer Heldenfigur innewohnt. Und natürlich ist die Rettungsgeschichte nicht repräsentativ für den Holocaust. Aber kein Film und kein Buch können das von sich behaupten - auch nicht der Film „Shoah“ des damaligen Spielberg-Großkritikers Claude Lanzmann, der in seinem Schnitt doch eher ein Zeugnis für die Virulenz des Antisemitismus in der polnischen Provinz am Ende der 1970er Jahre ist als für den Judenmord gut vier Jahrzehnte zuvor. Lanzmann schrieb damals in „Le Monde“, den Holocaust umgebe ein nicht zu überschreitender „Flammenkreis“, weil bestimmte Gräuel nicht in Bilder übersetzbar seien. Spielberg habe dieses Darstellungsverbot verletzt und ein „kitschiges Melodram“ geschaffen. Nach der Premiere seines Filmes 1985 entwickelte der streitbare Franzose bis zu seinem Tod im letzten Jahr quasi einen zweifelhaften und stets öffentlich geäußerten „Alleinvertretungsanspruch“ für die filmische Dokumentation des Judenmordes. Dabei muss jede Holocaust-Darstellung zwangsläufig ausschnitthaft bleiben. Aber Steven Spielberg hat einen guten Ausschnitt gewählt, weil er so vieles beinhaltet: Ghettoisierung, Willkür, Vernichtung, Vertuschung, Korruption, Deportation, Bürokratie. Die Liste ließe sich fortsetzen.

 

Film still: 25 Jahre Schindlers Liste. © 2019 Universal Pictures Germany.

 

Letztlich aber ist „Schindlers Liste“ mit dem Abstand von 25 Jahren vor allem eine Detailstudie über das Phänomen des „Bystanders“, das Anfang/Mitte der 1990er Jahre mit dem Buch „Perpetrators Victims Bystanders“ von Raul Hilberg verstärkt von Holocaustforscherinnen und Holocaustforschern in den Blick genommen wurde. Schindler ist dabei ein „Bystander“ par excellence, der gleich mehrere Typen dieser Personengruppe verkörpert: vom gleichgültigen Profiteur der Judenverfolgung beim Aufbau seiner Fabrik im besetzten Krakau über den passiven Zuschauer bei der Räumung des Ghettos im März 1943 zum aktiven Retter. Andere „Bystander“-Charaktere im Film werden in zwei Fällen interessanterweise von Kindern repräsentiert: Einmal ist es ein Mädchen, das bei der Vertreibung der Krakauer Juden aus ihren Wohnungen vom Straßenrand aus die Menschen beschimpft und mit Dreck bewirft, und zum anderen ist es ein Junge auf dem Feld, der den Insassen eines vorbeifahrenden Deportationszuges mit der Geste des Halsabschneidens ihr tödliches Schicksal andeutet.

Hilberg warf Spielberg in einem Brief vor, diese Szene aus Lanzmanns „Shoah“ kopiert zu haben. Es war die Antwort auf eine Anfrage des „Journal of Modern History“, ob er bereit sei, eine Besprechung des Films zu verfassen. Hilberg lehnte ab: Spielberg sei zwar ernst zu nehmen, weil er mit „Schindlers Liste“ das Geschichtsbild vieler Menschen prägen werde - auch wenn die Duschszene geschmacklos („tasteless“) sei und die ZuschauerInnen in der Schlusssequenz an Schindlers Grab in Jerusalem eher über den toten Retter als über die ermordeten Juden weinten. Dennoch sei ihm Schindlers Motivation (Politisch? Human? Kapitalistisch?) noch immer ein Rätsel („the basic enigma“), das er nicht lösen und deshalb nicht über den Film schreiben könne.

Der Filmkritiker Georg Seeßlen erklärte seinerzeit alle gegen Spielberg und seinen Film vorgebrachten Argumente für zweit- oder drittrangig „angesichts der schieren Notwendigkeit eines solchen Films in der Zeit der schmutzigen Renaissance des Faschismus in den Straßen.“[1]

 

Filmstill: 25 Jahre Schindlers Liste. © 2019 Universal Pictures Germany.

 

Empathie und Erlebnis (Viktor-Emanuel zu Sachsen)

Das erste Mal sah ich Schindlers Liste als „Ferienfilm“ in der Woche vor den Sommerferien 2012 in der 10. Schulklasse auf einem kleinen Röhrenfernseher, mit 16 Jahren, ohne dezidiert historische Einführung und ohne weitere (film-)historische Einordnung – und zu allem Überfluss nicht einmal bis zum Ende. Denn das Klingeln der Schulglocke unterbrach den Film nach gut zwei Stunden Laufzeit. Kurzum: Die suboptimalen Umstände von damals hatten dazu geführt, dass ich den Film negativ im Kopf behielt, die zahlreichen Preise erschienen mir nur schwer nachvollziehbar. Natürlich wusste ich, dass ein Urteil nach gerade einmal zwei Dritteln des Films nicht möglich war, und nahm mir vor, den Film irgendwann einmal erneut in Ruhe zu schauen.
Die Umstände in der Schule hatten es wohl verhindert, dass ich mich auf den Spielberg-Film richtig einlassen konnte, denn ansonsten hätte ich vermutlich schnell erkannt, um welch ein Meisterwerk es sich eigentlich handelt. Nach dem jetzigen Kinoerlebnis bin ich überzeugt davon, dass „Schindlers Liste“ erst auf der Großleinwand richtig zur Geltung kommt und zudem die technische Überarbeitung des Films außerordentlich interessant ist. Der Film wirkt noch dazu wie gemacht für das Kino der Gegenwart, obschon er bereits ein Vierteljahrhundert alt ist.

Die Kameraführungstechniken und die Perspektiven nehmen die ZuschauerInnen in jeder Filmsekunde mit. Zum einen geschieht dies durch das Spiel des Regisseurs mit ständigen Perspektivwechseln zwischen Opfern und Tätern. Zum anderen aber auch durch die Drastik, mit der einzelne Situationen gezeigt werden, beispielsweise die „Aktion 1005“, das massenweise Exhumieren und Verbrennen tausender Leichname von getöteten Juden, das in einer Sequenz relativ ausführlich gezeigt wird. Die Bilder wirken wie eine gezielte Konfrontationstherapie. Wie nah Barbarei und heile Welt beieinander liegen, zeigt sich in der sehr einprägsamen Szene vom „Schneefall“ an einem schönen Sommertag – nur handelt es sich nicht um Schneeflocken, sondern um die Asche aus der Massenverbrennung.
Sehr spannend finde ich, wie es Spielberg durch eine sehr spezielle Form subtiler Situationskomik schafft, trotz der eigentlichen Dramatik des Themas immer wieder auch eine Leichtigkeit einzubauen. So war bei der von mir besuchten Vorstellung im Publikum ab und an zaghaftes Lachen zu vernehmen, womit ich bei einem Holocaustfilm im Vorfeld nie gerechnet hätte. Dadurch wird der Film jedoch keinesfalls zu leichter Kost. Im Gegenteil, alles wirkt viel realer und näher, wodurch der Film sehr nachdenklich stimmt.

 

Filmstill: 25 Jahre Schindlers Liste. © 2019 Universal Pictures Germany.

Auch der Sound trägt dazu bei, dass der Besuch dieses Films, besonders nach der Überarbeitung, zu einem intensiven und sehr eindrücklichen Erlebnis werden kann, wenn man sich darauf einlässt. An vielen Stellen wird er geradezu körperlich spürbar. Es fällt schwer, in der Rolle des objektiven Zuschauenden zu bleiben (was ich mir bewusst im Vorfeld vorgenommen hatte), wenn stampfende Soldatenstiefel Raum und Stühle erbeben lassen.
Diese Gestaltungselemente tragen dazu bei, dass ZuschauerInnen unweigerlich nicht nur Mit-Erleben, sondern vor allem auch Mit-Fühlen. Diese starke Ansprache der menschlichen Empathie geschieht nicht oberflächlich, sondern erwacht geradezu im Zuschauenden selbst. Dies ist meiner Ansicht nach das Großartige an „Schindlers Liste“ und der Grund, weshalb die Botschaft des Films generationenübergreifend und zu allen Zeiten verstanden werden kann.

Der große Wert des Films liegt vielleicht darin, dass er in der breiten Öffentlichkeit verstanden und empfunden werden kann, die historische Realität jedoch nicht grob verfälscht. Er bietet die Chance, Menschen für das Thema Holocaust zu sensibilisieren, was mit dem Verschwinden der letzten ZeitzeugInnen zukünftig noch wichtiger werden wird, als es gegenwärtig ohnehin ist. Der Besuch des Films kommt einer existenziellen Erfahrung nahe. Er klärt uns darüber auf, wozu Menschen fähig sind. Im Guten, wie im Schlechten.

 

Schindlers Liste (USA)
(Erstaufführung in Deutschland 3. März 1993), Kinostart der technisch überarbeiteten Version: 27. Januar 2019
Regie: Steven Spielberg
Filmverleih: Universal Pictures International, UPI

In Berlin unter anderen im Delphi und Kino International

 


[1] Zitiert nach: Jörn Glasenapp, Schindlers Liste, in: Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945, hg. von Torben Fischer und Matthias N. Lorenz, Bielefeld 3. Aufl. 2015, S. 281-282, hier S. 281.

 

Zum Weiterlesen finden Sie hier ein Auswahl von Texten aus dem Archiv der Jahre 2011 bis 2018:

 

Marcel Reich-Ranicki, Zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Die Rede Marcel Reich-Ranickis vor dem deutschen Bundestag im Jahr 2012 , in: Zeitgeschichte-online, Januar 2018.

Elena Demke, Der Ort des Verbrechens – eine Beobachtung . Sergei Loznitsas Dokumentarfilm „Austerlitz“, in: Zeitgeschichte-online, Januar 2017.

Gerd Kühling und Hans-Christian Jasch, „Wer hier weint, hört nicht mehr auf“. Zum Umgang mit der Wannsee-Konferenz und ihrem historischen Ort, in: Zeitgeschichte-online, Januar 2017.

Michael Wildt, Die ersten 100 Tage der Regierung Hitlers, in: Zeitgeschichte-online, Juli 2017.

Stefan Kühl, Die Holocaustforschung beforscht sich selbst. Soziologische Perspektiven auf die Probleme der Zeitgeschichtsforschung, in: Zeitgeschichte-online, November 2017.

Jakob Mühle und Maren Francke und René Schlott, Wie klingt Auschwitz? Drei Perspektiven auf "Son of Saul", in: Zeitgeschichte-online, April 2016. 

Bert Hoppe und René Schlott, Ein Schriftdenkmal für zwei Millionen Tote. Zum Erscheinen von Band 8 der Quellenedition „Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden“ , in: Zeitgeschichte-online, März 2016.

Rolf Sachsse, Römische Gespräche oder: Der Dinosaurus auf der Autobahn. Claude Lanzmanns „Der Letzte der Ungerechten“, in: Zeitgeschichte-online, Juli 2015.

Stefanie Steinbach, Die Vernichtung wurde akribisch vorbereitet. Die Rolle des Sicherheitsdienstes der SS beim deutschen Überfall auf Polen 1939, in: Zeitgeschichte-online, August 2014.

Jürgen Danyel (Hg.), Die deutsche Gesellschaft im Nationalsozialismus. Schlaglichter einer Debatte, in: Zeitgeschichte-online, Oktober 2013.

Michael Wildt, Neue Perspektiven in der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts. Timothy Snyder erhält den Hannah-Arendt-Preis, in: Zeitgeschichte-online, Dezember 2013.

Andrea Löw und Frank Bajohr, „Holocaust-Forschung in Deutschland – eine Geschichte ohne Zukunft“?  Das neue Zentrum für Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte München, in: Zeitgeschichte-online, November 2013.

Elisabeth Gallas, Hannah Arendt und der Eichmann-Prozess. Eine doppelte Überschreibung, in: Zeitgeschichte-online, November 2011.