von Karen Hagemann

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8. März 2019

Als Studentinnen an der Universität Hamburg  für das erste Seminar zu einem frauengeschichtlichen Thema stritten, das dann 1976 als zweisemestrige Übung zum Thema „Frauen im Nationalsozialismus“ stattfand, gab es fast keine historischen Darstellungen und Quelleneditionen zum Thema. Die Dozentin, die sie für das Vorhaben gewinnen konnten, war Hochschulassistentin in Mittelalterlicher Geschichte, dennoch waren der Enthusiasmus und die Hoffnungen groß, trotz des massiven Widerstands von Seiten männlicher Professoren. Zu diesem Zeitpunkt gab es am Historischen Seminar der Universität erst eine Professorin.[1] Die Studentinnen – zu denen auch ich gehörte – hofften, dass der verschwindend niedrige Frauenanteil an den C2, C3 und C4 Professuren schnell ansteigen und sich damit auch die Inhalte von Forschung und Lehre im Fach Geschichte grundlegend ändern würden. Im Jahr 1982 gab es bundesweit erst dreizehn C4- und sieben C3- Professorinnen, der Frauenanteil lag bei 4 % und entsprach damit dem Frauenanteil unter den Habilitierten. Unter den Studierenden lag der Frauenanteil hingegen bereits bei 45 %, und unter den Promovierten erreichte er immerhin 29 %.[2] Die „Leaky Pipeline“ zwischen den verschiedenen Qualifikationsstufen war damit noch eklatant.

Vierzig Jahre später sind solche Geschichten und Zahlen Vergangenheit. Heute – so ist immer wieder zu hören – seien wir auf einem guten Weg zur Gleichberechtigung von Frauen in der Geschichtswissenschaft, und auch die Frauen- und Geschlechtergeschichte sei doch allgemein anerkannt. Dafür würde schon die Gender-Mainstream-Politik mit Maßnahmen wie dem Mentoring-Programm für Nachwuchswissenschaftlerinnen und dem Professorinnen-Förderprogramm des Bundesforschungsministeriums sorgen. Diese Annahme trifft nur bedingt zu, wie der jüngste Report zum „Personal an Hochschulen“ des Statistischen Bundesamtes zeigt. Zahl und Anteil der Frauen an den Studierenden, Promovierenden, Habilitierenden  und Professuren sind zwar deutlich höher als 1982, aber mit dem bisherigen Fortschritt in Prozentschritten beim Professorinnenanteil wird es im Fach Geschichte noch lange dauern, bis Frauen wirklich gleiche Chancen und Möglichkeiten haben.[3]

 

Frauen in der Geschichtswissenschaft heute

Gemäß dem letzten Report des Statistischen Bundesamtes lag die Zahl des „hauptberuflichen wissenschaftlichen Personals“ im Fach Geschichte 2017 an deutschen Hochschulen bei 3.312, davon waren 42 % Frauen. Generell gilt, je niedriger die Position und damit Einfluss und Gehalt, desto höher der Frauenanteil. Dies zeigt sich auch in der Geschichtswissenschaft. Hier lag der Frauenanteil 2017 bei den 746 Professuren bei 34 %, bei den 61 Dozent*innen und Assistent*innen im Fach lag er bei 51 %, bei den 2.379 wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen bei 45 % und bei den 126 Lehrkräften für besondere Aufgaben bei 45 %.  Mit diesen Zahlen gehört die Geschichtswissenschaft zu den Disziplinen, die einen relativ hohen durchschnittlichen Frauenanteil auf allen Rangstufen haben. Dies zeigt besonders deutlich der Blick auf den Professorinnenanteil, der im Durchschnitt aller Fächer 2017 nur bei 24 % lag. Die Differenzen zwischen den einzelnen Fachgebieten sind nach wie vor sehr groß, in der Mathematik und den Naturwissenschaften lag der Frauenanteil an den Professuren nur bei 18 %, in den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften bei 29 %, den Geisteswissenschaften hingegen bei 37 %. Das Fach Geschichte erreicht damit zwar nicht die Spitzenwerte geisteswissenschaftlicher Fächer wie der Germanistik mit einem Frauenanteil an den Professuren von 49 % oder der Anglistik mit 50 %, lag aber deutlich über dem Fächerdurchschnitt.[4]

Die Integration von Frauen in die Geschichtswissenschaft hat seit dem Millennium deutliche Fortschritte gemacht. Der Frauenanteil an allen hauptberuflich Lehrenden im Fach Geschichte lag 2002 noch bei 28 %, bis 2012 stieg er auf 39 %. Bei den Professuren auf Dauerstellen stieg er von 13 % im Jahr 2002 auf 27 % im Jahr 2012. Allerdings sind weiterhin deutlich mehr Professorinnen auf den niedrigeren Besoldungsstufen zu finden. Leider berichtet das Statistische Bundesamt seit der Reform der Besoldung für Hochschullehrer im Jahr 2002 für die einzelnen Fächer keine nach Besoldungsstufen differenzierten Zahlen mehr. Der allgemeine Trend dürfte sich jedoch auch im Fach Geschichte zeigen: Der Frauenanteil an allen 24.520 Professuren an deutschen Universitäten lag 2017 im Durchschnitt bei 24 %, bei den alten C4 Professuren hingegen nur bei 10 %, bei den neuen W3 Professuren bei 22 %, bei den alten C3 Professuren 19 % und bei den neuen W2 Professuren 32 %. Zudem zeigen sich beim Frauenanteil an den Professuren erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen Bundesländern und Hochschulen, das alte Nord-Südgefälle ist noch nicht überwunden. Allgemein ist die FU Berlin Spitzenreiter mit einem durchschnittlichen Professorinnenanteil von 38 %.[5] Gleichberechtigt sind Frauen in der deutschen Geschichtswissenschaft wie im Universitätssystem insgesamt angesichts dieser Zahlen nach wie vor nicht.



Der Platz der Frauen- und Geschlechtergeschichte

Da die Frauen- und Geschlechtergeschichte weiterhin überwiegend von Frauen betrieben wird, nimmt sie nach wie vor einen Randplatz ein – und das obgleich die Forschung selbst höchst lebendig und innovativ ist, wie schon ein Blick in die 1990 gegründete Zeitschrift L’Homme. Europäische Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft zeigt, die einzige dieses Fachgebiets im deutschsprachigen Raum. Der Anteil der geschlechtergeschichtlichen Beiträge in den führenden deutschen Fachzeitschriften  der Geschichtswissenschaft ist nach wie vor bemerkenswert gering, vor allem im Vergleich zu den USA und Großbritannien.[6] Im Jahr 2017 publizierte Geschichte und Gesellschaft beispielsweise vier Ausgaben mit 19 regulären Beiträgen, davon thematisieren ganze drei (16 %) explizit Geschlechterfragen. In den sechs Heften der Historischen Zeitschrift des gleichen Jahrgangs findet sich unter den 30 regulären Beiträgen nicht mehr als einer, der Geschlechterdifferenzen anspricht (3 %). Das Programm des 52. Historikertages 2018 präsentiert ein ähnliches Bild. Lediglich sechs von 102 Sektionen waren explizit Themen der Frauen- und Geschlechtergeschichte gewidmet; sechs weitere Sektionen schlossen einzelne Präsentationen zu frauen- und geschlechtergeschichtlichen Themen ein.



Jüngste Trends und notwendige Schritte

Eine deutliche Reaktion des sogenannten „Nachwuchses“ auf die anhaltend schlechte berufliche Zukunft im Fach Geschichte und die weiter zu beobachtende Benachteiligung von Frauen ist der stark gebremste Anstieg bei den Promovierten und der Rückgang bei den Habilitierten. Die Zahl der Promovierten stieg von 433 im Jahr 2010 auf 481 im Jahr 2017, der Frauenanteil im gleichen Zeitraum von 41 % auf 45 %.[7] Die Zahl der Habilitierten ging hingegen zwischen 2010 und 2017 deutlich zurück, sie fiel von 63 auf 41. Bei den weiblichen Habilitierten war der Rückgang besonders ausgeprägt; ihre Zahl sank von 25 auf 13 und ihr Anteil von 40 % auf 32 %.[8] Die weiterhin ausgeprägte Differenz zwischen dem Anteil  der promovierenden und habilitierenden Frauen und der Negativtrend beim Frauenanteil an den Habilitierten sind Indikatoren dafür, dass der Glaube an eine schnelle Besserung der Situation und damit gleiche Berufschancen im Fach Geschichte beim „Nachwuchs“ nicht sehr groß zu sein scheint.



Die Widerstände gegen die Gleichstellung von Frauen in der Wissenschaft werden von vielen Betroffenen offenbar nach wie vor als zu stark wahrgenommen. Ihre Hoffnungen auf eine langfristige Karriere in der Geschichtswissenschaft scheinen gering zu sein.  Allerdings ist es nicht vorrangig die von Politik und Medien immer wieder beschworene Unvereinbarkeit von Familie und akademischer Karriere, die einer gleichberechtigten Integration von Frauen im Wege steht. Die neuere Forschung zu Wissenschaft und Geschlecht verweist vielmehr darauf, dass es primär die akademische Kultur in einem Fach und einem nationalen Universitätssystem ist, die eine gleichberechtigte Integration behindert, worauf sowohl die massiven Differenzen zwischen einzelnen Fächern und Fächergruppen beim Professorinnenanteil als auch die hier ganz erheblichen nationalen Unterschiede verweisen.[9] Vielleicht ist es an der Zeit, dem Vorstand des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands vorzuschlagen, eine Erhebung zur Situation von Frauen in der Geschichtswissenschaft durchzuführen, um mehr über die Gründe zu erfahren und eine verstärkte Diskussion anzuregen?

 

 


[1] Sigrid Matzen-Stöckert: Ein Experiment am Historischen Seminar der Universität Hamburg: Frauen im Nationalsozialismus (zweisemestrige Übung). In: Kristina von Soden und Gabi Zipfel (Hg.), 70 Jahre Frauenstudium: Frauen in der Wissenschaft. Köln 1979, S. 81-108.

[2] Karen Hagemann: Gleichberechtigt? Frauen in der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft. In: Zeithistorische Forschungen, 13, Nr. 1 (2016), S. 108-135, insb. Tabellen 1 und 2.

[3] Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Chancengleichheit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Berlin 2007, S. 10.

[4] Statistisches Bundesamt: Bildung und Kultur: Personal an den Hochschulen, 2017. Bonn und Berlin 2018, S. 36-38 und 110-12.

[5] Siehe für die Zeit vor 2002: Hagemann: Gleichberechtigt, Tabelle 2.; sowie Friederike Milbradt, Deutschland: Professorinnen, ZEIT Magazin Nr. 51/2018.

[6] Vgl. Karen Hagemann und Donna Harsch: Gendering Central European History: Changing Representations of Women and Gender in Comparison, 1968–2017. In: Special Issue for the 50th anniversary, Central European History 51, Nr. 1 (2018), S. 114-127; sowie Karen Hagemann und Sarah Summers: Gender and Academic Culture: Women in the Historical Profession of Germany and the United States since 1945. In: Michael Meng and Adam R. Seipp (Hg.), Modern Germany in Transatlantic Perspective. New York and Oxford: 2017, S. 95-125.

[7] Hagemann: Gleichberechtigt; Statistische Bundesamt: Bildung und Kultur: Prüfungen an Hochschulen, 2010, S. 15-17; ebd. 2017, S. 16-18.

[8] Statistische Bundesamt: Bildung und Kultur: Personal and den Hochschulen, 2017, S. 31-33.

[9] Vgl. Hagemann: Gleichberechtigt (2017).