Im Mai 2020 haben die Allianz der Gleichstellungsbeauftragten der außeruniversitären Forschungsorganisationen (AGbaF) und die Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (bukof) eine Umfrage unter den Frauen- und Gleichstellungsakteur*innen in außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Hochschulen durchgeführt. Anlässe hierfür waren die alarmierenden Befunde über die Verstärkung der strukturellen Benachteiligung von Wissenschaftlerinnen und weiterer Statusgruppen in den jeweiligen Organisationen seit Beginn der Corona-Pandemie sowie das Sammeln von Daten zur Impulssetzung im Rahmen eines gemeinsam geplanten Online-Meetings. Ziel der im Mai 2020 lancierten Umfrage war es, durch standardisierte Nachfragen und damit quantifizierbaren Rückmeldungen eine solide Datenbasis aus den jeweiligen Organisationen zur Gleichstellungssituation und eine Grundlage für gleich- stellungsorientierten Handlungsbedarf zu erhalten.
381 Frauen- und Gleichstellungsakteur*innen erhielten einen kurzen Fragebogen zu ihrer Einschätzung der Lage hinsichtlich der Verstärkung struktureller Nachteile für Frauen in wissenschaftlichen Kontexten in Zeiten von Corona und den sich daraus ergebenden Herausforderungen für die Gleichstellungsarbeit. Der Rücklauf lag mit 210 ausgefüllten Bögen bei 55%. Es beteiligten sich 18 Universitäten, 13 Fachhochschulen / (Fach-)Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, 6 Künstlerische Hochschulen und 173 Forschungsinstitute (Max-Planck-Gesellschaft, Fraunhofer Gesellschaft, Leibniz Gemeinschaft, Helmholtz Gemeinschaft).
Verstärkung der strukturellen Benachteiligung von Frauen in der Wissenschaft und im Wissenschaftsmanagement
Knapp die Hälfte (45%) der Frauen- und Gleichstellungsakteur*innen der Hochschulen und Forschungsorganisationen bejaten die Frage „Beobachtet ihr eine Verstärkung der strukturellen Benachteiligung der weiblichen wissenschaftlichen oder nichtwissenschaftlichen Beschäftigten in eurer Organisation?“. Dabei unterschieden sich die Antworten der Frauen- und Gleichstellungsakteur*innen der Hochschulen deutlich von denen der Gleichstellungsbeauftragten der Forschungsorganisationen.
Benachteiligungen und Diskriminierungen wurden in folgenden Bereichen diagnostiziert:
Gender und Care:
Mehrfachbelastung von Frauen aller Statusgruppen im Homeoffice durch Care Arbeit/Home Schooling Extreme Anforderungen an Alleinerziehende, Belastung vor allem mit kleinen Kindern und Schulkindern, keine hinreichende Notfallbetreuung, Privatisierung der Betreuungsproblematik, kaum partnerschaftliche Lösungen.
Gesundheit:
Steigerung der physischen und mentalen Belastung, „Burnout“ im Homeoffice, sehr unterschiedliche Anerkennung von Risikopatient*innenstatus, Fundamentale Ängste (Existenzängste, Infizierungsängste, finanzielle Sorgen).
Digitalisierung von Prozessen:
Frauen verfügen tendenziell über schlechtere Ausstattung / Zugänge, aber auch Benachteiligung anderer (Personen-)Gruppen wie Beschäftigte niedrigerer Tarifgruppen und Studierende.
Beeinträchtigung von Arbeitseffizienz, Karriereverlauf oder Studienerfolg:
Zeitaufwändige digitale Lehre, geänderte Prüfungsmodalitäten, erschwerter Informationszugang, weniger Zeit für Forschung und Veröffentlichungen, größere Wertschätzung gegenüber Präsenz als gegenüber Homeoffice, „Leistungsträger*in“ wird verknüpft mit Anwesenheit/Online-Präsenz, Entgrenzung von Privatraum und Arbeit / Studium.
Organisationale Prozesse:
Entscheidungen und Prozesse werden intransparenter, Verzögerung bei Bewilligungen von Drittmitteln in Frauenförderprogrammen, Antragsbedingungen für Notfallbetreuung, wenig Problembewusstsein in der Leitungsebene, wenige Pauschalmaßnahmen für die Förderung der Chancengleichheit – stattdessen individuelle Lösungen, die individuell verhandelt werden müssen, Ignorieren von Genderaspekten in der digitalen Lehre und anderen Prozessen, Marginalisierung von Gleichstellungsaspekten, keine Erwähnung in der Öffentlichkeitsarbeit der Hochschulen und Forschungsorganisationen, deutliches Engagement der Leitung gegenüber der Politik fehlt, Gleichstellung und Vereinbarkeit wird im Krisenstab nicht ausreichend berücksichtigt und in den Pandemieplänen verankert.
Gleichstellungspolitik in Zeiten von Corona
Angesichts solcher Befunde sollte auf jeden Fall sichergestellt sein, dass die Gleichstellungsstrukturen in den Einrichtungen im Rahmen der neuen Arbeitsformen und -prozesse funktionsfähig bleiben und ihre Wirkkraft nicht verlieren. Die überwiegende Mehrheit der Frauen- und Gleichstellungsakteur*innen sehen das gewährleistet: Die Frage „Sind eure Beteiligungsrechte an Verfahren und Gremien der verschiedenen Sitzungen und Prozesse zurzeit eingeschränkt?“ wurde von der überwiegenden Mehrheit (89%) der Befragten verneint. Von einigen wird dieser Befund im Freitext allerdings insofern relativiert, indem sie anmerken, dass sie sich zum Zeitpunkt der Befragung schon länger nicht mehr an ihrer Einrichtung aufgehalten hätten und im Home Office ohnehin komplett vom dortigen Geschehen abgeschnitten seien. Eine kleine Anzahl (11%) der Kolleg*innen bezeichnet ihre Einbindung explizit eingeschränkt.
Die Frauen- und Gleichstellungsakteur*innen fühlen sich in ihren Beteiligungsrechten mehrheitlich nicht beschnitten. Das steht in Widerspruch zu ihren Angaben über ihre (Nicht-)Teilnahme an den Sitzungen der Krisenstäbe ihrer Einrichtungen. In Zeiten von Corona ist der Krisenstab das relevante Gremium, in welchem alle wichtigen Akteur*innen versammelt sind. Vor dem Hintergrund, dass 82% der Teilnehmer*innen an der Umfrage nicht zum zentralen Krisenstab und 64% auch nicht zum erweiterten Krisenstab ihrer Einrichtung eingeladen sind, ließe sich nicht nur die erste Einschätzung noch einmal hinterfragen. Darüber hinaus liegt hier eine Einschränkung der Rechte der Kolleg*innen, konkret ihrer Weisungsfreiheit vor, die besagt, dass die Beauftragte entscheidet, welche Angelegenheiten gleichstellungsrelevant sind und welche sie dementsprechend begleitet. Wird sie in ein Gremium gar nicht erst eingeladen, wird ihr diese Zuständigkeit und damit das Beteiligungsrecht abgesprochen.