Als im Herbst 2021 der neue Film von Wojciech Smarzowski „Die Hochzeit“ in die polnischen Kinos kam, veröffentlichte die PiS-nahe Gazeta Polska eine Rezension mit dem Titel „Smarzowski stachelt zum Hass“ auf. Sein Film, so einer der Vorwürfe, würde „Antisemitismus, Rassismus und Mord“ gleichsetzten mit dem Engagement für den „Schutz des Lebens“. Eine solche „plumpe Propaganda“ habe es bisher im polnischen Kino noch nicht gegeben. Der Verfasser der Rezension war sich dabei nicht zu schade, den Film in eine Reihe zu stellen mit den antisemitischen Filmen der Nationalsozialisten. [1] Positiver fielen die Reaktionen des liberalen Polens aus. Paweł Mossakowski lobte Smarzowskis Werk als einen „wichtigen, mutigen und hervorragend realisierten Film“, der einmal mehr zeige, dass dieser Regisseur ein Gespür besitze für die Befindlichkeiten der polnischen Gesellschaft.[2] Smarzowski hat sich in seinem Film einem Thema angenommen, das immer noch eine hohe Brisanz hat: die Frage nach polnischer Mittäterschaft in der Schoah. Die Debatte darüber hat in der letzten Zeit wieder Aufwind gehalten. Ausgelöst wurde dies einmal mehr durch neue Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft. Jan Grabowski und Babara Engelkind haben in mühevoller Kleinarbeit zusammen mit anderen Wissenschaftler:innen in ihrem 2018 veröffentlichten Buch „Danach ist nur Nacht. Das Schicksal der Juden in ausgewählten Landkreisen des besetzten Polens“ (Dalej jest noc. Losy Żydów w wybranych powiatach okupowanej Polski) gezeigt, wie viele Jüdinnen und Juden im deutsch besetzten Polen von ihren polnischen Nachbar:innen verraten wurden. Eine der Nachfahren der Beschuldigten hatte gegen die Grabowski und Engelkind geklagt und in erster Instanz Recht bekommen, im August 2021 wurde das Urteil aufgehoben. Für viele Menschen in Polen ist es nach wie vor schwer zu akzeptieren, dass es polnische Erfahrungen im Krieg gab, die sich nicht in das Selbstbild einer Nation der Opfer und Held:innen einfügen lässt.
Genau diesen wunden Punkt in Geschichte und Gegenwart stellt Smarzowski in den Mittelpunkt seines Films. Mit der Wahl des Titels – „Die Hochzeit“ – stellt er sich aber noch in eine ältere intellektuelle und künstlerische Tradition, verweist er doch damit zugleich auf das einflussreiche polnische Theaterstück mit demselben Titel, verfasst von Stefan Wyspiański und 1901 in Krakau uraufgeführt. In Wyspiańskis Stück sind es die Geister, die Fehler der Vergangenheit, die Polen nicht loslassen und ihm die Zukunft als unabhängigen Staat verbauen. In Smarzwoskis Film sind es die Geister der Vergangenheit, die sich unter anderen Vorzeichen bis heute Bahn brechen. Wir befinden uns in Łomza im Osten Polens und es ist der Hochzeitstag von Katarzyna Wilka, Tochter des Schweinezüchters und Unternehmers Ryszard Wilk. Die Ortswahl ist dabei sicherlich kein Zufall, befindet sich doch Łomza ganz in der Nähe von Jedwabne – jenes Städtchen über das der polnisch-amerikanische Jan Tomasz Gross Anfang der 2000er Jahre sein Buch „Nachbarn“ veröffentlichte.[3] Hier hatten polnische Täter:innen an ihren jüdischen Nachbar:innen im Sommer 1941 unter der Ägide der Deutschen ein grausames Pogrom verübt. Die Publikation von Gross‘ Buch löste in Polen eine hitzige Debatte aus, seine Ergebnisse wurden von weiten Teilen der Bevölkerung zurückgewiesen. Dabei steht inzwischen zweifelsfrei fest, dass nicht nur in Jedwabne, sondern auch in den umliegenden Orten ähnliche Ereignisse stattfanden, die Abwehrreaktionen gegen diese historische Tatsache sind aber nicht zuletzt durch die nationalistische PiS-Partei nach wie vor heftig, die in einem so genannten „Lex Gross“ – immerhin erfolglos – versucht hatte, die Erforschung der polnischen Mittäterschaft zu kriminalisieren.
Die Hochzeit wird bei Smarzowski im Verlauf des Films zu einem Kristallisationspunkt, an dem der Hass der Vergangenheit auf den Hass der Gegenwart trifft. Zuerst findet das Ineinandergreifen von damals und heute in der Imagination von Katarzynas Großvater Antonin statt. Als er in der Kirche den Worten des Pastors lauscht – der es sich auch auf einer Hochzeit nicht nehmen lässt, gegen Homosexualität und Abreibung zu predigen – fühlt sich Antonin zurückversetzt in das Polen seiner Jugend als von der Kirchenkanzlei gegen die jüdische Gemeinde gewettert und sie zum Feind der polnischen Nation stilisiert wurde. Antonin ist zu diesem Zeitpunkt schon in Lea verliebt, eine junge Jüdin aus der Nachbarschaft. Im Verlauf des Films wird Antonin sie und eine kleine Gruppe ihrer Leidensgenoss:innen vor dem Pogrom durch ihre polnischen Nachbar:innen retten. Smarzowski erzählt davon, dass der Antisemitismus kein reines Importprodukt der Deutschen war. Schon vor Ausbruch des Kriegs organisieren polnische Nationalisten Boykotte jüdischer Geschäfte und versuchen die polnisch-jüdischen Beziehungen zu vergiften und zerstörten so die nur scheinbare Idylle eines jahrhundertelangen Zusammenlebens. Denn romantisierend ist Smarzowskis Film nicht. Die Liebe zwischen Lea und Antonin ist von den Familien nicht gern gesehen, Lea muss in der patriarchischen jüdischen Gemeinschaft gefangen stattdessen einen Mann heiraten, der offenbar für sie ausgesucht wurde. Aber zum Massenmord kommt es erst durch den Krieg. Nach dem Einmarsch der Sowjetunion ist es dann die Assoziierung des Judentums mit dem Bolschewismus, die den Hass radikalisiert. Zwar gibt es einige jüdische Bewohner und Bewohnerinnen des Ortes, die die Sowjets willkommen heißen, aber nach dem Ende der sowjetischen Herrschaft werden kollektiv alle Jüdinnen und Juden des Verrats an Polen beschuldigt – nachdem Nationalisten vor dem Krieg versucht hatten, sie aus dieser Wir-Gemeinschaft auszuschließen. Die Jüdinnen und Juden des Ortes werden verantwortlich gemacht für die stalinistischen Verbrechen, die Deportation polnischer Familien nach Sibirien. Auch Antonin beteiligt sich nach der Machtübernahme durch die Deutschen zunächst an der Denunziation von Juden und Jüdinnen, erst als die Gewalt zu eskalieren beginnt, entschließt er sich zur Rettung der Frau, die er liebt. Das Pogrom, bewusst angefacht von den Deutschen, die sich dann aber in die Rolle der Beobachter zurückziehen, vollzieht sich an mehreren Tagen als öffentliches Spektakel. Was Smarzowski hier zeigt ist eine präzise künstlerische Verarbeitung des heutigen Forschungsstandes zu diesen Pogromen im Zuge des Herrschaftswechsels zwischen Deutschen und Sowjets, die sich in ähnlicher Weise auch in anderen Regionen des östlichen Polens bzw. der westlichen Ukraine vollzogen. Es beginnt mit der Selbstbereicherung des Ortes am jüdischen Besitz und setzt sich fort mit der Demütigung von Juden auf dem Marktplatz, der Vergewaltigung von Jüdinnen und findet schließlich seinen grauenhaften Höhepunkt als die Opfer zu einer Scheune getrieben, eingesperrt und bei lebendigem Leib verbrannt werden. Dass Smarzowski sich auf die Inszenierung von Gewalt versteht, hat er bereits in früheren Filmen gezeigt und in dieser Hinsicht ist auch „Die Hochzeit“ keine Ausnahme. Die Szenen sind in ihrer Drastik teilweise schwer zu ertragen, auch wenn hier weniger manchmal mehr gewesen wäre. In den Szenen des Pogroms wechselt der Film zwischen farbigen und schwarz-weißen Bildern und verleiht den Ereignissen so die Atmosphäre historischer Authenzität. Die Zuschauer:innen gewinnen den Eindruck, dass sie Archivaufnahmen sehen. In diesen Szenen hätte Smarzowski gut daran getan, auf die Untermalung mit dramatischer Musik zu verzichten. Diese Effekthascherei mildert eher den Eindruck der grauenhaften Bilder, die für sich hätten stehen können. Auch die Verbindung zwischen der Hetze damals und heute wird teilweise arg plakativ in Szene gesetzt, im Verlauf des Films springen die Figuren von der Gegenwart in die Vergangenheit und zurück. Das nimmt bisweilen absurde Züge an, etwa als die Pogromisten des Jahres 1941 plötzlich die Handy-Aufnahmen der heutigen gewaltsamen Jagd auf ukrainische Arbeiter betrachten.
Die Geister der Vergangenheit zeigen sich im gegenwärtigen Polen lediglich in neuen Formen und dabei lässt Smarzowski kaum ein Thema aus: Hass auf Homosexuelle, Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, Misogynie, ein nach wie vor virulenter Antisemitismus, eine korrumpierte Kirche. In einer im Alkoholrausch immer enthemmter agierenden Hochzeitsgesellschaft werden diese Aggressionen nebst sexuellen Eskapaden ausgelebt. Dabei erscheint Rassismus und Neo-Nazismus als selbstverständlicher Teil des polnischen Alltags, etwa als einer der Gäste bei einem albernen Hochzeitsspiel seinen mit Hakenkreuzen übersäten Oberkörper entblößt, ohne dass irgendeiner der Umstehenden daran Anstoß nehmen würde oder der Bräutigam mit seinen Kumpels grölend das „weiße Polen“ feiert. Auch eine Prise Kapitalismuskritik fehlt nicht, indem die Ausbeutung von Menschen aus der Ukraine und dem globalen Süden in der Fleischindustrie ebenso thematisiert wird wie die Bedingungen unter denen die Tiere gehalten und getötet werden. Dass sich herausstellt, dass Ryszards Schweinefabrik sich genau dort befindet, wo einst die Jüdinnen und Juden des Ortes ermordet worden, könnte man als Hinweis lesen, dass der der polnische Besitz zu erheblichen Teilen auf der Aneignung jüdischen Besitzes gründete. Für die Verdrängung der Mittäterschaft an der Vernichtung der jüdischen Gemeinde Polens steht symbolhaft der beschmierte Gedenkstein des Ortes, in dem die Verantwortung für die Ermordung der lokalen jüdischen Gemeinde allein den deutschen Faschisten in Verantwortung gestellt wird.
Subtil ist dieser Film also nicht und an Grautönen ist er in seiner Abrechnung mit der polnischen Gegenwart nicht interessiert. Über weite Strecken gerät er zu einer Groteske, einem extremen Zerrbild einer Gesellschaft, in der es außer Abgründe wenig zu geben scheint. Dies betrifft auch den kleinsten Nukleus der Gesellschaft. Im Kern des Geschehens steht nämlich nicht zuletzt eine zerrüttete Familie. Das Familienoberhaupt Ryszard geht selbstverständlich fremd und ist kriminell, die Mutter ist Alkoholikerin und zutiefst unglücklich, die Tochter verachtet ihren Vater, der Sohn tut es ebenfalls. Und dass auch die neue Generation belastet ist, daran lässt der Film wenig Zweifel, betrügt doch Kasias Bräutigam seine hochschwangere Frau noch während des Hochzeitsfestes mit einer der Brautjungfern. Auf die Nachricht, dass dem Großvater der Titel eines „Gerechten unter den Völkern“ verliehen wird, reagiert die Familie zu Beginn der Feierlichkeiten seltsam desinteressiert. Man könnte denken, dass dies ein Film ohne Hoffnung ist, aber das stimmt nicht. Und die Hoffnung beginnt da, wo sich die Figuren der Gegenwart der Vergangenheit stellen. Eine der wenigen Szenen, in der echte zwischenmenschliche Nähe entsteht ist jene am Ende des Films, in der Kasia nach ihrer missglückten Hochzeit ihren Großvater beim Sichten alter Fotos offenbar zum ersten Mal Fragen nach seiner Vergangenheit und der des Ortes stellt: Wo stand die Synagoge? Hast du Lea geliebt, hat sie dich geliebt? Wie ist dein Bruder gestorben? Wer sich den Geistern der Geschichte stellt, der darf Hoffnung haben auf eine bessere Zukunft, auf ein besseres Polen.
„Die Hochzeit“, Polen 2021, Regie: Wojciech Smarzowski.
Der Film ist unter dem Titel ,Wesele' als DVD und Blu-ray erhältlich, allerdings nur auf Polnisch mit englischem Untertitel.
[1] Smarzowski nawołuje do nienawiści, in: Gazeta Polska, 13.10.2021.
[2] Paweł Mossakowski, Inne wesele, ten sam kac. Recenzja filmu w reżyserii Wojciecha Smarzowskiego, in: Kultura Liberalna, 12.10.2021.
[3] Jan T. Gross, Nachbarn. Der Mord an den Juden von Jedwabne, München 2001. Siehe auch Anna Bikont, Wir aus Jedwabne. Polen und Juden während der Shoa, Berlin 2020.