Sie nennen sich „Szon Patrol“, was in etwa so viel wie „Huren-Kontrolle“ bedeutet, belästigen und filmen als Mädchen und junge Frauen gelesene Personen, die aus ihrer Sicht zu freizügig gekleidet sind und stellen die Videos ins Netz. Dort werden die Betroffenen beleidigt, gemobbt und trauen sich in der Konsequenz oft nicht mehr aus dem Haus oder in die Schule. Die Täter sind meist minderjährige Jungen und Männer, die mit gelben Warnwesten bekleidet durch Einkaufzentren und Fußgängerzonen „patrouillieren“.
Die Bewertung dieses „Trends“ in den polnischen Medien ist meist eindeutig negativ, indes wird nur selten benannt, dass es sich hier um antifeministisch motivierte Gewalt gegen Frauen* handelt. Vielmehr wird das Thema vor allem unter den Stichworten „Kinderschutz“ bzw. „Schutz der Privatsphäre“ und „Mobbing“ verhandelt, wobei die strukturellen Aspekte dieser Taten außenvorbleiben. Dabei handelt es sich hier keineswegs nur um einen außer Kontrolle geratenen „Scherz“ von Jugendlichen, wie häufig suggeriert wird. Vielmehr sind viele der pseudomoralischen Sittenwächter Teil der sogenannten Manosphere, d. h. eines losen und vorwiegend antifeministischen Netzwerks im Internet, das verschiedene Internetforen und Blogs umfasst. Gemein ist der „Manosphere“ eine zutiefst misogyne Einstellung, die hegemoniale Männlichkeit und die Kontrolle weiblicher Sexualität propagiert. Sie ist global vernetzt und weist zudem enge Beziehungen zur Alt-Right- Bewegung, zum klassischen Rechtsextremismus und zu Incels auf.[1] Hier treffen sich also Neue Rechte und ein grundsätzlicher Antifeminismus, der weit über das rechte Lager hinausreicht und zudem global vernetzt ist. „Szon Patrol“ bewahrt, so die Selbstbeschreibung, den weiblichen „Körper der Nation“.
So ist es kein Zufall, dass auch die selbsternannten Bürgerwehren „Ruch Obrony Granic“ (Bewegung zum Schutz der Grenzen), die im Sommer 2025 auf eigene Initiative an verschiedenen Grenzübergängen, etwa in Frankfurt Oder/Słubice oder an der Promenade von Świnoujście, die polnische Grenze „verteidigten“, sehr ähnliche gelbe Westen trugen. Was die „Erwachsenen“, die sich im Netzwerk um den polnischen Rechtsradikalen Robert Bąkiewicz organisierten, an der Grenze vormachten, holen die „Kinder“ mit „Szon Patrol“ nun nach.
Der Matka Polka-Mythos
Beide Gruppen sind Teil eines rechten Diskurses in Polen, der das Land noch immer im Kampf ums Überleben gegen äußere Feinde und - mit antisemitischem Zungenschlag - globale Kräfte sieht. Dies hält sie indes nicht davon ab, selbst globale antifeministische Diskurse und Praktiken zu übernehmen. Hinzu kommen inneren Feinde, vor allem Linke, Liberale, Feminist*innen sowie LGBTIQ+ oder grundsätzlich jeder und jede, die nicht zum nationalkatholischen Phantasma des „Christus unter den Völkern“ passen, der polnischen Version des Messianismus. Zugleich ist die diskursive Verbindung von Nation(alismus), Katholizismus und Antifeminismus kein polnisches Phänomen, obgleich es einige Besonderheiten gibt. Zunächst, was das Frauenbild betrifft: Noch immer schwingt das romantische „Ideal“ einer „Matka Polka“ (Mutter Polin), die als aufopferungsvolle, moralisch reine, fürsorgliche Frau in der Nachfolge Marias imaginiert wird, zumindest inhärent mit. Das Ideal entstand während der Teilungen Polens, als Frauen als Bewahrerinnen von Sprache, Kultur und Katholizismus galten. Das mariologisch begründete Bild verlieh Frauen symbolische Gleichberechtigung, schloss sie jedoch von realer politischer Teilhabe aus. Bis heute spielen diese Vorstellungen noch eine große Rolle, zumal die Rechte Polen weiterhin im nationalen Abwehrkampf sieht und Frauen* deshalb weiterhin die Rolle einer „Matka Polka“ zuschreibt.
Zugleich führte insbesondere der Krieg Russlands gegen die Ukraine sowie die bereits vorher begonnene verstärkte Militarisierung der polnischen Gesellschaft zu einem Revival einer soldatisch konnotierten Männlichkeit. Gerade die (durchaus begründete) Sorge vor dem Ausgreifen des russischen Imperialismus führte dazu, dass eine solches Männlichkeitskonzept hegemonial werden konnte.
Schließlich hat auch die katholischen Kirche noch immer einen enormen Einfluss auf die geschlechterpolitische Agenda in Polen. Während der Amtszeit von Johannes Paul II. (1978-2005) entwickelte sie sich zu Beginn der 1990er Jahre zu einer Art Staat im Staate und nutzte ihre Macht seither aktiv aus. Beispielsweise drohte der damalige polnische Primas Kardial Glemp allen Politiker*innen, die nicht für ein völliges Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen stimmten, mit einem Ausschluss aus der Kirche und bezeichnete sie als „keine richtigen Polen“. Aber auch in den vergangenen Parlamentswahlen griffen zahlreiche Bischöfe und Priester aktiv in den Wahlkampf ein und warnten wahlweise vor Feminismus, Abtreibung, der EU oder allgemein den Versuchungen der Moderne und riefen meist zur Wahl der PiS auf. Dies ist im Übrigen einer der Gründe, warum es vor allem unter jüngeren Pol*innen zu einer Austrittswelle kommt und die katholische Kirche massiv an Zuspruch verliert.
Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen
Dies ändert indes nichts daran, dass die Frau* bzw. der weibliche Körper noch immer im Zentrum nationaler Symbolik und des politischen Diskurses steht. Dies zeigt sich vielleicht am deutlichsten an der genannten Debatte um die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen.[2] Dazu zunächst ein paar Daten und Fakten: 2023 gab es lediglich 425 legale Schwangerschaftsabbrüche in Polen; zwei davon aufgrund einer Vergewaltigung. Eine solche innerhalb der vorgegebenen Frist von 12 Wochen zu beweisen, ist enorm schwierig und scheitert oft an der verweigerten Mithilfe bzw. bewussten Verzögerung durch Staatsanwält*innen. Ein Jahr zuvor lag die Zahl der legalen Abbrüche mit 161 noch um zwei Drittel niedriger. Hintergrund des Anstiegs war, dass mindestens sechs Frauen zwischen 2020 und 2022 beispielsweise an einer Sepsis starben, weil sich Ärzt*innen trotz akuter Lebensgefahr weigerten, einen Abbruch durchzuführen; manche aus „Gewissensgründen“, andere aus Angst vor Verfolgung, da jede Unterstützung eines Abbruchs mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden kann. Die folgende Protestwelle unter dem Motto „Ani jednej więcej“ (Keine einzige mehr) brachte zehntausende auf die Straße und führte zumindest dazu, dass Ärzt*innen das Leben der Schwangeren nun höher gewichteten als zuvor.[3]
Ani jednej więcej 2023. Tomasz Molina, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons.
Dies ist aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts weiterer Todesfälle und zwischen 80.000 und 200.000 „illegalen“ Abbrüchen bzw. solcher im Ausland. Eine Liberalisierung des Rechts auf Schwangerschaftsabbrüche gab (und gibt) es auch unter der neuen Regierung von Donald Tusk - entgegen anderslautenden Versprechen im Wahlkampf - nicht. Indes war sich der Ministerpräsident trotzdem sicher: „Ich kann mit reinem Gewissen behaupten, dass ich alles in meiner Macht Stehende tue, um dieser Hölle der Frauen ein Ende zu bereiten.“[4] Ob er damit bei den Betroffenen Gehör findet, ist mehr als fraglich.
Polen als antifeministische Avantgarde in Europa
Die Verweigerung grundlegender medizinischer Behandlungen ist ebenso wie „Szon Patrol“ oder auch der Versuch der früheren PiS-Regierung sich aus der Istanbul-Konvention zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt zurückzuziehen, Ausdruck eines hegemonialen rechten Diskurses in Polen. In diesem verschwimmen Katholizismus, Nationalismus und Antikommunismus (als kommunistisch werden beispielsweise auch die EU oder Frauenrechte geframt) mit einer Mischung antifeministischer Überzeugungen. Tragischerweise lassen sich weite Teile des Linken und Liberalen Lagers auf diesen Diskurs ein, sichtbar etwa daran, dass auch diese meist nicht von Embryos, sondern von „nienarodzone życie“ (Ungeborenem Leben) sprechen. Leider scheint Polen bei diesem Thema eine Art Avantgarde in Europa zu sein, wie die Debatte um die Personalie Brosius-Gersdorf in Deutschland zeigte, wo sich ihre Unterstützer*innen ebenfalls auf den Diskurs ihrer Gegner*innen einließen.[5] Diese Art der orchestrierten Kampagne ist in Polen bereits seit längerem verbreitet und vor allem die fundamentalkatholische Organisation „Ordo Iuris“ hat es in diesem Feld zur Meisterschaft gebracht. Sie steckt maßgeblich hinter dem weitestgehenden Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen oder der Einführung der sogenannten LGBTQ-freien Zonen. Die Organisation ist zudem nicht nur in Polen, sondern auch in Europa sowie in Nord- und Südamerika bestens vernetzt und schult mittlerweile weltweit andere Gruppen darin, wie es gelingen kann, erfolgreich antifeministische Kampagnen zu fahren. Sie ist zudem ein wichtiges Bindeglied innerhalb der Internationalen Rechten, sichtbar etwa daran, dass sie 2024 zusammen mit der US-amerikanischen Heritage Foundation eine internationale Konferenz in Warschau veranstaltete, bei der Geldgeber mit antifeministischen Aktivist*innen zusammentrafen. Antifeminismus sowie der Kampf gegen „Genderismus“ etc. dienen dabei als Brücke zwischen verschiedensten Rechten Gruppen sowie zwischen nationalistischen und globalen Diskursen.
Die Hölle der Frauen dauert an
Die Bezeichnung „Hölle der Frauen“ oder auf Polnisch „Piekło kobiet“ geht im Übrigen auf die gesammelten Kolumnen von Tadeusz Boy-Żeleński zurück, die 1930 in einem Buch erschienen. Der für seine Texte und Übersetzungen bekannte „Boy“ kritisierte die Heuchelei derer, die unter Berufung auf das „Recht auf Leben des Fötus“ Frauen mit Gefängnisstrafen drohten, ohne sich um ihre Lebensbedingungen und die ihres zukünftigen Kindes zu kümmern.[6] Daran hat sich in fast 100 Jahren nur wenig geändert. Dieselben Personen, die jegliche Schwangerschaftsabbrüche (und fast immer auch Verhütung) verbieten wollen, bagatellisieren Gewalt gegen Frauen und Femizide; ignorieren die gesundheitlichen Folgen „illegaler“ Abtreibungen oder belästigen Frauen* als „Szon Patrol“. Allerdings wächst mittlerweile auch die Gegenwehr. So verweigern sich beispielsweise Aktivist*innen des „Abortion Dream Team“ dem herrschenden Paradigma zu Schwangerschaftsabbrüchen und betonen: „Aborcja jest okej“ (Abtreibung ist okay). Sie betreuen zudem Schwangere oder helfen ihnen dabei einen Abbruch durchzuführen - sei es in Polen oder im europäischen Ausland. Mittlerweile haben sie mit „AboTAK“ auch die erste stationäre Anlaufstelle für Schwangere in Warschau eröffnet, in der diese Abtreibungspillen einnehmen können und dabei begleitet werden. Sie konnten damit bereits zehntausenden Menschen helfen, obgleich die Praxis aber auch Aktivist*innen regelmäßig von Rechten angegriffen werden und einigen wegen „Beihilfe bei einer Abtreibung“ eine Gefängnisstrafe droht.
Schlussfolgerungen
Dass die strukturelle Dimension dieses Antifeminismus und seine funktionale Bedeutung für Rechte und autoritäre Gruppen auch von vielen progressiven Kräften scheinbar nicht erkannt wird, ist die eigentliche Tragik. Umso wichtiger ist es, immer wieder darauf hinzuweisen, dass die internationale Rechte bestens vernetzt ist, über viel Geld verfügt und beispielsweise den Kampf gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche oder gegen die Istanbul-Konvention mit Milliardenbeträgen finanziert. Viele Kampagnen in Polen aber auch in Deutschland (hier möchte ich erneut auf das Beispiel Brosius-Gersdorf verweisen) sind keine spontanen Ausbrüche aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft heraus, sondern gezielte Versuche mit viel Geld Diskurse und Gesetze zu verschieben.[7] Nicht selten spielen hier im übrigen Adelsnetzwerke - man denke nur an den großen Trump-Fan Gloria von Thurn und Taxis - eine bedeutende Rolle. Und genau hier, bei den Geldgeber*innen und Vordenker*innen antifeministischer Überzeugungen muss jeder Kampf gegen Gewalt an Frauen* ansetzen - sei es in Polen, Deutschland oder den USA.
[1] Vgl. dazu: Glossar Rechtsextremismus, hrsg. von der Bundeszentrale für Politische Bildung. Stichworte: Alt-Right und Incels. Online unter: Glossar Rechtsextremismus.
[2] Ein weitere Beispiel wäre der rechte Kampf gegen die Gender Studies in Polen aber auch weltweit. Vgl. dazu: Graff, Agnieszka/Korolczuk, Elżbieta: Anti-Gender Politics in the Populist Moment, London 2021.
[3] Deutsches Ärzteblatt (Hrsg.): 425 legale Schwangerschaftsabbrüche in Polen gezählt. Artikel vom 26. Juli 2024. Online unter: 425 legale Schwangerschaftsabbrüche in Polen gezählt.
[4] Deutsches Ärzteblatt (Hrsg.): Demonstration in Polen für Liberalisierung des Abtreibungsrechts. Artikel vom 24. Juni 2024. Online unter: Demonstration in Polen für Liberalisierung des Abtreibungsrechts. Eine empfehlenswerte Dokumentation zu diesem Thema findet sich auf Arte.
[5] Für eine Analyse der Hintergründe vgl.: Sälhoff, Philipp: Die Causa Brosius-Gersdorf. Artikel vom 5. August 2025. Online unter: Die Causa Brosius-Gersdorf.
[6] Boy-Żeleński, Tadeusz: Piekło kobiet, Warszawa 1930.
[7] In Polen ist Ordo Iuris, eine Organisation fundamentalkatholischer Jurist*innen die treibende Kraft hinter vielen antifeministischen Debatten und Gesetzen, insbesondere beim Thema Schwangerschaftsabbruch. Online unter: Bundeszentrale für politische Bildung.
Zitation
Johannes Kleinmann, Piekło kobiet trwa – Die Hölle der Frauen dauert an. Antifeminismus und die neue Rechte in Polen, in: Zeitgeschichte-online, , URL: https://zeitgeschichte-online.de/pieklo-kobiet-trwa-die-hoelle-der-frauen-dauert