von Magdalena Saryusz-Wolska

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1. Juli 2016

Veröffentlicht am 19. Juli 2016

Geschichtspolitik manifestiert sich nicht nur in Worten und Taten, sondern auch in den dazugehörigen Bildern. Die öffentliche Ikonosphäre, um den treffenden Begriff des polnischen Kunsthistorikers Mieczysław Porębski zu nutzen,[1] ist ein interessantes Analyseobjekt, in dem aktuelle Tendenzen der polnischen Geschichtspolitik beobachtet werden können. Obwohl die allermeisten Texte, die derzeit in den Medien erscheinen, illustriert werden, finden Bilder wenig Beachtung in der diskursanalytischen Forschung. Dabei sind es oft erst Fotografien, Zeichnungen oder Collagen, die unsere Aufmerksamkeit auf die schriftlichen Äußerungen lenken. „Ein ausdrucksstarkes Titelbild erhöht den Verkauf um zwanzig- bis dreißigtausend Exemplare“, schätzt Rafał Kalukin, ein Publizist der linksliberalen, polnischen Ausgabe der Wochenzeitschrift „Newsweek“.[2]

Mit welchen Motiven bebildern die Anhänger der im Oktober 2015 gewählten PiS-Regierung (pl. Prawo i Sprawiedliwość, dt. Recht und Gerechtigkeit) ihre Thesen? Welche historischen Figuren und Ereignisse werden dargestellt und mit welchen Intentionen geschieht dies? Was sagen uns die Bilder über den derzeit dominierenden nationalpopulistischen Geschichtsdiskurs in Polen? Um diese Fragen zu beantworten, werden im Folgenden ausgewählte Titelbilder aus den rechtskonservativen illustrierten Zeitschriften, die derzeit in Polen verlegt werden, präsentiert und kurz erläutert. Selbstverständlich sind nicht weniger interessante Bilder in den Innenteilen der Zeitschriften sowie den digitalen Medien zu finden. Es sind jedoch die Titelseiten, die den Inhalt der Presse in komprimierter Form visualisieren sollen. Deswegen werden sie hier als ein Ausdruck für das Geschichtsverständnis der regierungstreuen Medien in Polen betrachtet.

Die konservativen Illustrierten

Die wöchentlich erscheinenden rechtskonservativen Illustrierten „W sieci“, „Do rzeczy“ und „Wprost” sowie die Monatszeitschrift „Uważam Rze“ prägen den gegenwärtigen polnischen Geschichtsdiskurs und erreichen hohe Auflagen.[3] Die Publizisten dieser Zeitschriften enthalten ihren Lesern nicht vor, dass sie Befürworter der PiS-Politik sind. Als Gegenleistung geben die Regierenden diesen Medien gerne Interviews und offenbaren ihnen, im Gegensatz zur linksliberalen Presse, ihre Pläne. Zu Regierungszeiten der PO (pl. Platforma Obywatelska, dt. Bürgerplattform) inszenierten sich diese Zeitschriften als „unbeugsam“ bzw. „störrisch“ (pl. niepokorny), inzwischen sind sie fester Bestandteil des dominierenden politischen Diskurses.

Mit Ausnahme von „Wprost“, die bereits ab 1982 zunächst als lokale und seit 1989 als überregionale Zeitschrift erschien, sind die genannten Titel relativ neu in der polnischen Presselandschaft. „Uważam Rze” wird seit 2011 monatlich in Zusammenarbeit mit der liberalkonservativen Tageszeitung „Rzeczpospolita“ herausgegeben, „W sieci” seit 2012 und „Do rzeczy” seit 2013. Paweł Lisicki, Herausgeber von „Do rzeczy”, war bis 2012 für die „Rzeczpospolita“ und „Uważam Rze” zuständig. Wie Jacek Karnowski („W sieci“) hat er sich in den letzten Jahren als radikaler Kritiker der PO-Regierung einen Namen gemacht und ließ mit viel Enthusiasmus über die Agenda der PiS berichten.

Hinzu kommen die monatlich erscheinenden historischen Beilagen von „W sieci“, „Do rzeczy“ und „Uważam Rze”, deren Format mit „DER SPIEGEL. Geschichte“ oder „GeoEpoche“ vergleichbar ist. Beilagen mit historischen Schwerpunkten sind allerdings kein Merkmal der rechtskonservativen Presse in Polen: Auch linksliberale Redaktionen wie die Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ oder die Wochenzeitschriften „Polityka“ und „Newsweek“ lassen regelmäßig Sonderhefte zu historischen Themen drucken. Zwischen beiden publizistischen Lagern finden oft ideologische Kämpfe statt, die die Geschichte Polens zum Ausgangspunkt nehmen.

Bereits auf den ersten Blick ist erkennbar, dass sich insbesondere die rechtskonservativen Illustrierten einer äußerst aggressiven Rhetorik bedienen. Dies ist jedoch keine Neuigkeit in der polnischen Presselandschaft. Bereits in den frühen 1990er Jahren waren provozierende Fotocollagen eine Spezialität der „Wprost“. Während sich die Mehrheit der Bilder in den 1990er Jahren auf die gegenwärtige Situation Polens bezog, etablierten sich mit der Zeit auch Motive, die auf historisch verankerte Feindbilder verweisen. Diese Praxis kulminierte in zwei Titelbildern aus den Jahren 2002 bzw. 2003: Auf der „Wprost“-Ausgabe 2002 Nr. 21 war Andrzej Lepper, der damalige Parlamentsabgeordnete und Anführer der Bauernproteste, als Adolf Hitler zu sehen.[4] Die Nummer 38 im folgenden Jahr zeigte Erika Steinbach in SS-Uniform auf dem Rücken des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder sitzend.[5] Die Überschrift lautete: „Die Deutschen sind den Polen eine Billion Dollar für den Zweiten Weltkrieg schuldig“. Zehn Jahre später kehrt diese Rhetorik nun zurück: 2013 wurde Tomasz Lis, der Chefredakteur der polnischen Ausgabe von „Newsweek“, auf dem Titelbild der rechtskonservativen „W sieci“ als SS-Mann, mit Blut an den Händen, in denen er einen Rosenkranz hält, dargestellt („W sieci“ 2013 Nr. 41).[6] Anlass für diese Präsentation waren kirchenkritische Äußerungen von Lis. Der Journalist klagte erfolgreich gegen „W sieci“, dennoch ist die Fotocollage immer noch im Internet verfügbar.

Feindbilder: Deutschland und Europa

Seit dem Wahlsieg der PiS ist eine weitere Radikalisierung der rechtskonservativen Bilderwelten zu beobachten. Die gezielte Verwendung historischer Motive ist zum bestimmenden Merkmal der gegenwärtigen, polnischen Ikonosphäre geworden. Eine besondere Rolle spielen dabei Vergleiche mit dem Zweiten Weltkrieg und Anspielungen auf den Kommunismus – insbesondere Beschuldigungen der Kollaboration mit dem Regime. Als Feinde werden „die Russen“ und neuerdings vor allem „die Deutschen“ präsentiert.

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Abb. 1. Angela Merkel, Martin Schulz u.a. als Besatzer Polens. r. „Wprost“ 2016 Nr. 2, l. „W sieci“ 2016 Nr. 2. Mit freundlicher Genehmigung von Magdalena Saryusz-Wolska. 

Abb. 1: Angela Merkel, Martin Schulz u.a. als Besatzer Polens. (r.) „Wprost“ 2016 Nr. 2, (l.) „W sieci“ 2016 Nr. 2.

 

Mit freundlicher Genehmigung von Magdalena Saryusz-Wolska

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Europaweit für Schlagzeilen sorgte das Titelbild der „Wprost“ 2016 Nr. 2 (Abb. 1), auf dem Gesichter von Angela Merkel, Martin Schulz, Guy Verhofstadt, Günter Oettinger und Jean-Claude Juncker zu sehen waren, die in eine Fotografie von Adolf Hitler, Benito Mussolini, Feldmarschall Wilhelm Keitel und General Alfred Jodl montiert wurden. Die Gestalten analysieren eine Landkarte, im Hintergrund hängt die Europaflagge. Die Überschrift lautet: „Wieder wollen sie Polen unter Aufsicht stellen“. In derselben Woche publizierte „W sieci“ 2016 Nr. 2 (Abb. 1) ein Heft mit Friedrich II. und Katharina II. auf dem Titelbild, die Polen (symbolisiert ebenfalls durch eine Landkarte) unter sich aufteilen. Neben ihnen stehen Angela Merkel und Martin Schulz, und darunter sind die Worte „Verschwörung gegen Polen“ zu lesen. Freilich war dies keine Anspielung auf den Zweiten Weltkrieg, sondern auf die Teilungen Polens am Ende des 18. Jahrhunderts. Die Feindbilder, auf die verwiesen wurde, waren jedoch dieselben. Als Anlass diente diesmal eine Äußerung von Martin Schulz, in dem dieser die Politik der neuen polnischen Regierung scharf kritisiert hatte. Hierbei handelte es sich zwar um eine kurze, aus dem Kontext gerissene Aussage aus einem Radiointerview, in dem es vor allem um die Situation nach den Regionalwahlen in Frankreich ging.[7] Die rechtskonservative Presse deutete seine Nebenbemerkung zum Staatsstreich-Charakter der Ereignisse in Polen - gemeint war die Absage der Regierung, ein Urteil des Verfassungstribunals zu veröffentlichen -, die besorgniserregend seien, jedoch als unangemessene Einmischung in innenpolitische Angelegenheiten und inszenierte ihn prompt als deutschen Besatzer.

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Abb. 2. Adolf Hitler und nationalsozialistische Embleme auf den Titelbildern von „Uważam Rze historia”,  l. 2015 Nr. 3, m. 2015 Nr. 11, r. 2016 Nr. 2. Mit freundlicher Genehmigung von Magdalena Saryusz-Wolska 

Abb. 2: Adolf Hitler und nationalsozialistische Embleme auf den Titelbildern von „Uważam Rze historia”: (l.) 2015 Nr. 3, (m.) 2015 Nr. 11, (r.) 2016 Nr. 2.

 

Mit freundlicher Genehmigung von Magdalena Saryusz-Wolska

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Vergleiche mit dem Zweiten Weltkrieg scheinen vor allem eine Spezialität der historischen Beilage von „Uważam Rze” zu sein. Im Laufe des letzten Jahres war auf ihren Titelbildern zwei Mal das Gesicht von Adolf Hitler zu sehen (2015 Nr. 3, 2016 Nr. 2, siehe Abb. 2). Dazwischen erschienen eine schwarz-weiße Fotocollage, die Angela Merkel unter dem KZ-Schild „Arbeit macht frei“ und mit einem Sack voller Gold (2015 Nr. 9) zeigte (Abb. 6), ein Bild des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko, der Totenköpfe und nationalsozialistische Embleme unter den Teppich kehrt (2015 Nr. 5)[8] sowie eine Europaflagge, auf der statt der goldenen Sterne kleine gelbe Hackenkreuze abgebildet waren (2015 Nr. 11, siehe Abb. 3). Die Überschrift zum letztgenannten Bild lautete: „Wie Hitlerdeutschland die Europäische Union erfunden hat“. Hier zeigt sich, wie Deutschland im rechtskonservativen Diskurs pars pro toto die EU präsentiert und wie diese wiederum als Gefahr für die Souveränität Polens betrachtet wird. Dass die Gründungsgeschichte der EU genau das Gegenteil der Behauptung von „Uważam Rze” war, spielt keine Rolle. Das Konzept vom vereinigten Europa als Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg taucht in der rechtskonservativen Presse kaum auf. 

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 Abb. 3 Europa als Feind und Gefahr, o.l. „Do rzeczy“ 2016 Nr. 3, o.r. „W sieci“ 2016 Nr. 7, u.l. „Uważam Rze historia“ 2015 Nr. 11, u.r. „Do rzeczy” 2016 Nr. 7. Mit freundlicher Genehmigung von Magdalena Saryusz-Wolska.

Abb. 3: Europa als Feind und Gefahr, (o.l.) „Do rzeczy“ 2016 Nr. 3, (o.r.) „W sieci“ 2016 Nr. 7, (u.l.) „Uważam Rze historia“ 2015 Nr. 11, (u.r.) „Do rzeczy” 2016 Nr. 7.

 

Mit freundlicher Genehmigung von Magdalena Saryusz-Wolska

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Das besagte Titelbild der „Uważam Rze” ist ein gutes Beispiel, wie Gegen-Geschichte konstruiert und visualisiert wird, im Sinne der Negation historischer Tatsachen und nicht eines emanzipatorischen, von Foucault formulierten, Modells. Das Ersetzen der goldenen Sterne auf der Flagge durch die Hakenkreuze ist ein offenes Bekenntnis gegen die EU. Auf diese Art signalisieren die Herausgeber von „Uważam Rze historia” ihre Deutung von Europa als einem totalitären, verbrecherischen und Polen unterdrückenden System. Als weiteres Beispiel für diese Interpretation kann ein Heft von „Do rzeczy“ 2016 Nr. 3 (Abb. 3) angeführt werden, auf dem das polnische Wappen (weißer Adler auf rotem Hintergrund) zu sehen ist, das von einem „europäischen“ Schuh (blau mit goldenen Sternen) zertreten wird. Im dazugehörigen Text ist die Rede von „den Aufsehern aus Brüssel“. Natürlich handelt es sich in beiden Fällen um eine Zuspitzung, die in erster Linie Aufmerksamkeit erregen soll. Aufgrund der großzügigen, finanziellen Unterstützung Polens durch die EU formulieren PiS-Politiker ihre Ansichten durchaus vorsichtiger. Dennoch trägt die Anwesenheit radikal antieuropäischer Bilder zweifellos zur Polarisierung der polnischen Gesellschaft bei. Am 7. Mai 2016 versammelten sich in Warschau mehrere zehntausend Bürger, die gegen die Politik der PiS und für ein starkes Polen innerhalb Europas demonstrierten. Die Konsequenzen des radikal antieuropäischen Diskurses und der Instrumentalisierung historischer Bilder reichen also über die Diskurssphäre hinaus und erstrecken sich auf greifbare, gesellschaftliche Handlungen. 

Mit der gewählten Symbolik inszenieren die Titelbilder der regierungstreuen Zeitschriften die PiS-Partei als mutige Kämpferin gegen die EU. Auf der Ausgabe von „Do rzeczy“ 2016 Nr. 7  (Abb. 3) ist Jarosław Kaczyński, der Vorsitzende der PiS, als ein gegen europäische Symbole kämpfender Superman abgebildet. Die „europäischen Linken zittern vor Angst vor unserer [polnischen] konservativen Revolution“, heißt es auf der Titelseite. Aus den Leitartikeln, die mit diesem Bild angekündigt werden, geht hervor, dass der Vergleich mit Superman keineswegs ironisch gemeint war. In ernstem Ton argumentiert der Publizist Rafał Ziemkiewicz dort, wie der PiS-Vorsitzende Polen vor der zunehmenden Aufsicht der EU bewahren kann.[9]

Der rechtskonservative Diskurs setzt in jüngster Zeit die Europäisierung und die europäische Integration mit Islamisierung und Fremdbestimmung gleich. Insbesondere nach den Terroranschlägen von Paris und Brüssel werden Flüchtlinge ausschließlich als Sicherheitsproblem und Gefährdung der christlichen Gesellschaftsordnung betrachtet. Die Vorgängerregierung hatte angeboten 7.000 Flüchtlinge aufzunehmen, die aktuelle Ministerpräsidentin, Beata Szydło (PiS) äußerte sich im März 2016 jedoch eindeutig dagegen: „Ich sage es ganz klar: Ich sehe keine Möglichkeit, dass im Moment Migranten nach Polen kommen.“[10] Auch diese Rhetorik wird durch historische Vergleiche unterstützt, wie die Darstellungen Hitlers oder Friedrich II. verdeutlichen. Der Widerstand gegen Europa, personifiziert durch Angela Merkel und führende EU-Politiker wie Martin Schulz, wird zugleich als Konfrontation mit Deutschland und als Kampf um die nationalen, katholischen Werte inszeniert, die angeblich bedroht sind. Die regierungstreue Presse suggeriert also, die Bundeskanzlerin sei für Polen eine ebenso große Gefahr wie einst Friedrich II. oder Hitler.

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Abb. 4. Der Islam als Gefahr, o.l. „Wprost“ 2016 Nr. 10, o.r. „W sieci“ 2015 Nr. 38, u.l. „Do rzeczy“ 2015 Nr. 38, u.r. „W sieci“ 2015 Nr. 37. Mit freundlicher Genehmigung von Magdalena Saryusz-Wolska.

Abb. 4: Der Islam als Gefahr, (o.l.) „Wprost“ 2016 Nr. 10, (o.r.) „W sieci“ 2015 Nr. 38, (u.l.) „Do rzeczy“ 2015 Nr. 38, (u.r.) „W sieci“ 2015 Nr. 37.

 

Mit freundlicher Genehmigung von Magdalena Saryusz-Wolska

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Eine solch falsche Identifizierung Deutschlands mit dem islamistischen Terrorismus erfolgt ebenfalls auf den Titelbildern der rechtskonservativen Presse. So präsentierte „W sieci“ während der Wahlkampagne für die Parlamentswahlen im Herbst 2015 eine Reihe von Collagen, die genau diese Assoziationen erwecken sollten. Die Vertreter der damals regierenden PO-Partei wurden beschuldigt, deutsche und europäische Interessen der polnischen raison d´etat vorzuziehen. In „W sieci“ 2015 Nr. 37 (Abb. 4) wurden auf dem Titel drei Männer dargestellt, die sich an eine weiß-rote Schranke anlehnen. Ihre Kleidung lässt vermuten, dass es sich um Migranten aus dem Nahen Osten handeln soll. Einer von ihnen hält das polnische Wappen in der Hand. Dieses Bild ist eine Anspielung auf eine bekannte, nationalsozialistische Propagandafotografie von 1939, auf der Wehrmachtsoldaten zu sehen waren, die die polnische Grenze überschritten.[11] Da es sich hier um eine der September-Ausgaben von „W sieci“ handelt, zu einem Zeitpunkt also, zu dem jährlich zahlreiche Gedenkfeierlichkeiten an den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erinnern, ist davon auszugehen, dass die Titelabbildung gezielt auf die besagte Propagandafotografie verweisen sollte. Damit werden muslimische Flüchtlinge mit den Angreifern des nationalsozialistischen Deutschlands gleichgesetzt. Diese Assoziation weckt auch das Titelbild der „Do rzeczy“ in derselben Woche. Die Fotografie einer Menschenmasse wurde mit der Überschrift „Das sind Angreifer, keine Flüchtlinge“ versehen („Do rzeczy“ 2015 Nr. 38). In der Woche darauf, also knapp einen Monat vor den Wahlen, zeigte „W sieci“ 2015 Nr. 38 (Abb. 4) die damalige Premierministerin Ewa Kopacz (PO) verschleiert und mit einem Sprenggürtel. Der dazugehörige Text lautete: „Ewa Kopacz richtet uns eine Hölle ein, auf Berlins Befehl“.

Die nächste Ausgabe von „W sieci“ 2015 Nr. 39 machte erneut klar, wer die positiven Helden der europäischen Politik sind: Vor dem Hintergrund der Hussaria, einer polnischen Reitereiformation aus dem 16. und 17. Jahrhundert, stehen Victor Orbán und Jarosław Kaczyński. In der Unterschrift lesen wir: „Sie verteidigen Europa vor dem Wahn der Linken und den Islamisten“. Kurz nach der Publikation des Heftes im Oktober 2015 warnte Kaczyński wie folgt vor den Flüchtlingen: „Cholera auf den griechischen Inseln, Ruhr in Wien, alle Arten von Parasiten und Bakterien, die in den Organismen dieser Menschen harmlos sind, können hier gefährlich werden.“[12] Es war nicht seine erste, allerdings die wohl am eindeutigsten rassistische Aussage im Wahlkampf, was die rechtspopulistische Presse jedoch nicht daran hinderte, diese Rhetorik stets zu wiederholen. In seinem ersten Interview für die BBC bestätigte der damals neue polnische Außenminister, Witold Waszczykowski, Kaczyńskis Argumente: „We accept this language, because this is not a language of hate, this is a language of warning.”[13] Er unterstützte somit das Bild von Kaczyński als Retter Europas, der die Gefahren der Flüchtlingskrise erkennt und zum Schutz der Bevölkerung öffentlich seine Bedenken äußert. Waszczykowski legitimierte aber dadurch zugleich die Hass-Symbolik und gab an die Medien das Signal, dass radikale und aggressive Aussagen vom Staat akzeptiert werden.

Nach den Wahlen verschwand das Thema der Islamisierung für einige Wochen von den Titelbildern der Illustrierten. Erst die Ereignisse der Silvesternacht in Köln wurden zum Auslöser einer weiteren Fotocollage, die allerdings mit sechswöchiger Verspätung publiziert wurde. Auf der dritten Februar-Ausgabe der „W sieci“ 2016 Nr. 7 erschien eine weiße Frau, eingehüllt in eine Europaflagge, die von mehreren Männern angegriffen wird, von denen wir lediglich die Arme sehen (Abb. 3). Deren dunkle Behaarung aber auch eine goldene Kette und eine auffallende Uhr dienen offensichtlich als Indizien für deren südliche Herkunft, worauf auch der Text hindeutet: „Die islamische Vergewaltigung Europas“.  

Angesichts solcher Rhetorik, in der stets die ehemaligen Regierungsvertreter aus der PO-Partei mit Deutschen und Islamisten gleichgesetzt und die PiS-Kandidaten als heldenhafte Retter Polens gezeigt wurden, kann das Wahlergebnis von Oktober 2015 nicht verwundern. Die Strategie, eine „Gefahr aus Deutschland“ heraufzubeschwören, hatte sich bereits früher als erfolgreich erwiesen. So hatte die PiS 2005, während der Wahlkampagne der Präsidentschaftswahlen, den damaligen Kandidaten der PO, Donald Tusk, beschuldigt, sein Großvater hätte in der Wehrmacht gedient. Da Tusk aus einer kaschubischen Familie stammt, wurden seine Vorfahren in der Tat eingezogen. Dieser Vorwurf, der Tusks Identifizierung mit „polnischen Werten“ in Zweifel ziehen sollte und seine Integrität in Frage stellte, trug letztendlich dazu bei, dass der PiS-Kandidat, Lech Kaczyński, der 2010 tragisch verstorbene Zwillingsbruder von Jarosław Kaczyński, in den letzten Tagen der Wahlkampagne seinen Rückstand aufholte und siegte.

„Die Kommunisten sind unter uns“

Eines der wichtigsten Schlagworte der PiS-Regierung ist der sogenannte Postkommunismus. Dieser Begriff bezieht sich in der Sprache der gegenwärtigen polnischen Regierung auf die mutmaßliche kommunistische Provenienz aller bisherigen Eliten. Als wichtigstes Feindbild dieses Diskurses fungiert Lech Wałęsa, der der Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit der Volksrepublik Polen beschuldigt wird. Diese Vorwürfe sind zwar seit mehreren Jahren bekannt, Ende Februar 2016 sind jedoch neue Beweise für Wałęsas Tätigkeit als IM in den frühen 1970er Jahren im Privatarchiv des ehemaligen Innenministers, Czesław Kiszczak, gefunden worden. Aus diesen Dokumenten geht allerdings auch hervor, dass Wałęsa seit Mitte der 1970er Jahre jegliche Zusammenarbeit mit dem Regime ablehnte. Die PiS-Anhänger argumentieren jedoch, die gesamte Tätigkeit des Friedensnobelpreisträgers sei bis in die Gegenwart von den kommunistischen und russischen Geheimdiensten gesteuert worden. Demnach sei auch die Republik Polen in Wałęsas Amtszeit als Präsident kein souveräner Staat gewesen. Die späteren Regierungen, also alle bis 2015, mit Ausnahme der PiS-Regierung 2005 bis 2007, sollen ebenfalls von den ausländischen Geheimdiensten abhängig gewesen sein.[14]

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Abb. 5.  Das kommunistische Erbe, o. l. „Do rzeczy“ 2016 Nr. 8, o.m.„W sieci“ 2016 Nr. 8, o.r. „Uważam Rze historia“ 2015 Nr. 2, u.l. „W sieci historii” 2015 Nr. 12, u.m. „W sieci” 2015 Nr. 52, u.r. „Do rzeczy” 2016 Nr. 9. Mit freundlicher Genehmigung von Magdalena Saryusz-Wolska.

Abb. 5:  Das kommunistische Erbe, (o. l.) „Do rzeczy“ 2016 Nr. 8, (o.m.) „W sieci“ 2016 Nr. 8, (o.r.) „Uważam Rze historia“ 2015 Nr. 2, (u.l.) „W sieci historii” 2015 Nr. 12, (u.m.) „W sieci” 2015 Nr. 52, (u.r.) „Do rzeczy” 2016 Nr. 9.

 

Mit freundlicher Genehmigung von Magdalena Saryusz-Wolska

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In den internen Konflikten der „Solidarność” war der ehemalige polnische Präsident seit über dreißig Jahren der prominenteste Widersacher von Jarosław Kaczyński und seinem verstorbenen Bruder Lech. Aus diesem Grunde verwundert es nicht, dass die neuen Dokumente, die Wałęsa belasten, schnell von den rechtskonservativen Illustrierten (Abb. 5) aufgegriffen wurden, um ihn zu diffamieren. Unter anderem wurden Fotografien von ihm mit jenen von Kiszczak zusammenmontiert: „W sieci” etwa zeigte Wałęsa, der in Kiszczaks Anwesenheit seine Akte vernichtet (2016 Nr. 8), und „Do rzeczy“ präsentierte ihn als kleinen Mann, dem großen, herabschauenden Innenminister (2016 Nr. 8) untergeordnet. Die historische Beilage zu „Uważam Rze” präsentierte den zum Wort „Schwindel“ abgewandelten Solidarność-Schriftzug, um die gesamte Bewegung zu diskreditieren. Der „Schwindel“, so suggerieren die Herausgeber, bestehe darin, dass die Gewerkschaftsbewegung der Solidarność unter Wałęsas Führung gar nicht zum Ende des Kommunismus geführt habe. Die Gesellschaft sei betrogen und das Land weiterhin durch (verdeckte) Kommunisten regiert worden.

Als vermeintliche Kommunisten werden nicht nur Politiker, sondern auch Journalisten „entlarvt“. Der TV-Sprecher Piotr Kraśko wurde zum Beispiel von „W sieci“ (2015 Nr. 52, siehe Abb. 5) in einer Generalsuniform aus den Zeiten der Volksrepublik Polen dargestellt. Dieses Bild spielt auf den Fernsehauftritt von General Wojciech Jaruzelski an, in dem er am 13. Dezember 1981 den Kriegszustand erklärt hatte. Die PiS verwendet diese Rhetorik auch generationenübergreifend. Im Jahr 2013 wurde das Buch „Die Resort-Kinder“ (pl. „Resortowe dzieci“) der PiS-befürwortenden Autoren Dariusz Kania und Jerzy Targalski publiziert, in dem sie die Biographien der Eltern von bekannten links-liberalen Journalisten (darunter auch Kraśko) durchleuchteten. Kania und Targalski wollten so beweisen, dass die Karrieren vieler heutiger Journalisten – von denen viele zu jung sind, um in den Kommunismus persönlich verstrickt gewesen zu sein – allein auf die hohen Posten ihrer Eltern zurückgehen.

Das Märchen von den guten Polen und den bösen Deutschen

Der visuelle Diskurs der rechtskonservativen Presse popularisiert und multipliziert die Vergangenheitsvorstellungen, die in schriftlicher oder mündlicher Form erläutert werden. Durch die Verwendung kontroverser Bilder, die etwa Assoziationen aus dem Zweiten Weltkrieg hervorrufen, werden starke Emotionen erweckt, darunter Angst und Stolz. Es handelt sich um auffallende und eindeutige eye-catcher, die rechtspopulistische Interpretationen der Geschichte auf den Punkt bringen. Die aktuellen politischen Gegner werden entweder als Nazis oder Kommunisten dargestellt – egal ob es sich um ausländische Politiker, wie Angela Merkel und Jean-Claude Junker, oder um links-liberale Journalisten, wie Tomasz Lis und Piotr Kraśko, handelt. Jemanden mit Hitler oder Goebbels zu vergleichen, ist selbstverständlich eine grenzwertige Beleidigung, besonders in Polen, wo an den Terror der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg immer noch intensiv erinnert wird. Der symbolischen Gewalt, die von der rechtskonservativen Presse verübt wird, folgen neuerdings auch Taten: Im November 2015 wurde in Wrocław eine „Juden-Puppe“ öffentlich verbrannt, im April 2016 folgte dort die Verbrennung einer Fotografie von Angela Merkel – um nur zwei von vielen ähnlichen Ereignissen zu nennen.

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Abb. 6. Die deutschen Feinde, o.l. „W sieci“ 2016 Nr. 2, o.r. „Uważam Rze historia“ 2015 Nr. 9, u.l. „W sieci historii“ 2015 Nr. 9, u.r. „W sieci” 2015 Nr. 37. Mit freundlicher Genehmigung von Magdalena Saryusz-Wolska.

Abb. 6: Die deutschen Feinde, (o.l.) „W sieci“ 2016 Nr. 2, (o.r.) „Uważam Rze historia“ 2015 Nr. 9, (u.l.) „W sieci historii“ 2015 Nr. 9, (u.r.) „W sieci” 2015 Nr. 37.

 

Mit freundlicher Genehmigung von Magdalena Saryusz-Wolska

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Die hier präsentierten Bilder sind mittlerweile ein fester und vom Staat größtenteils akzeptierter Bestandteil der polnischen Ikonosphäre. Sie sind sichtbar in den Schaufenstern der Zeitungskioske und werden im Internet multipliziert. Die Motive ergänzen und beziehen sich aufeinander. Zu bestimmten Jahreszeiten tauchen wiederholt Themen auf, wie etwa der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und die deutsch-polnischen Konflikte jeweils im September oder das Erbe des Kommunismus und die Verbrechen, die im Rahmen des Kriegszustandes begangen wurden, jeweils im Dezember. Der vorhersehbare Charakter der Bilder sowie die Verwendung einer vergleichbar geringen Anzahl an Motiven dienen der Vereinfachung der Botschaften. Auf diese Weise wird die Komplexität der Geschichte auf wenige Schemata reduziert und die einzelnen historischen Ereignisse auf die gegenwärtige politische Situation übertragen. Historische Bezüge verwandeln sich in ein simples Repertoire von Feindfiguren, Selbstbildern und Stereotypen, auf die jederzeit zurückgegriffen werden kann. Die Presseartikel, die diese Bilder illustrieren, müssen gar nicht gelesen werden, damit die radikalen Botschaften an die Öffentlichkeit gelangen. Die Welt, die vom visuellen Diskurs der „W sieci“, „Do rzeczy“ oder „Uważam Rze” geschaffen wird, besteht aus heldenhaften polnischen Patrioten einerseits und Nazis, Kommunisten und Terroristen andererseits, die sowohl als innere und äußere Feinde in Erscheinung treten. Es ist, als ob die Bilder der nationalkonservativen Presse das alte Märchen vom Kampf des Guten gegen das Böse illustrieren sollen.

 

 

[1] Mieczysław Porębski, Der Begriff der Ikonosphäre, übersetzt von Wojciech Sztaba/Jakob Birken, Herrenberg 2006.
[2] Kto jest w Polsce radykałem? (Za kulisami tygodników). P. Gursztyn, R. Kalukin i B. Łoziński w rozmowie z K. Wigurą [dt. Wer ist ein Radikaler in Polen? (Hinter den Kulissen der Wochenzeitschriften). P. Gursztyn, R. Kalukin und B. Łoziński im Gespräch mit K. Wigura]
[3] Die Wochenzeitschriften „W sieci“ und „Do rzeczy“ erreichten im I. Quartal 2016 durchschnittliche Auflagen von 155.000 Exemplaren („W sieci“) und 113.000 Exemplaren („Do rzeczy“), was in beiden Fällen eine Steigerung um ca. 11 Prozent im Vergleich zum Vorjahr bedeutete. „Wprost“ erreichte eine Auflage von 95.000 Exemplaren – deutlich weniger als im Jahr zuvor (134.000). Unter den 10 größten gesellschaftspolitischen Wochenzeitschriften in Polen, bilden „W sieci“, „Do rzeczy“ und „Wprost“ zusammen knapp 20 Prozent der Gesamtauflage. Vgl. der Bericht: „Newsweek“ znów przed „Polityką“ [„Newsweek“ schon wieder vor „Polityka“] vom 20.04.2016,
[4] Titelbild „Wprost“ 2002, Nr. 1.
[5] Titelbild „Wprost“ 2003, Nr. 38.
[6] Titelbild „W sieci“ 2013, Nr. 41.
[7] Radiointerview mit Martin Schulz im Deutschlandfunk: Regionalwahlen in Frankreich. Frau Le Pen ist wahlpolitisch ein Scheinriese, vom 14.12.2015.
[8] Anlass war ein Artikel über das Massaker an den Polen in der ukrainischen Provinz Wolhynien 1943 bis 1944.
[9] Rafał A. Ziemkiewicz, Polski wirus wolności [Der polnische Freiheitsvirus], in: „Do rzeczy” 2016 Nr. 7, S. 16-18; Oliver Bault, Czego się boi europejska lewica? [Wovor die europäische Linke fürchtet?], in: „Do rzeczy” 2016 Nr. 7, S. 19-21.
[10] Aussage von Beata Szydło vom 23. März 2016, nach den Anschlägen in Brüssel: Nach Terror in Belgien: Polen will gar keine Flüchtlinge mehr aufnehmen, in: „Die Zeit", vom 23.03.2016.
[11] Die Fotografie kann u.a. hier gesehen werden.
[12] Zitiert nach: Konrad Schuller, Sprache des Hasses, in: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 15.10.2015.
[13] BBC, Newsday-Interview mit Witold Waszczykowski vom 13.11.2015: Why Poland can´t take more immigrants.
[14] Mehr zur aktuellen Diskussion über Wałęsas Tätigkeit als IM in dem Text von Karol Franczak und Magdalena Nowicka auf Zeitgeschichte-online.