von Janine Funke

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8. März 2021

Das Thema Vereinbarkeit von Mutterschaft und wissenschaftlicher Karriere wird seit einigen Jahren sehr intensiv diskutiert. Die Publikation von Sarah Czerney, Silke Martin und Lena Eckert geht einen neuen Weg, in dem nicht nur auf das Thema Elternschaft rekurriert, sondern auf ein allgemeines, in der Gesellschaft fest verankertes Bild der Frau als potenzielle Mutter. Es werden Erfahrungen von Wissenschaftler:innen aus verschiedenen Fachgebieten in unterschiedlichen Funktionen gesammelt um ein diverses Bild der Problematik zu zeichnen. Die Unvereinbarkeit sei, so die Herausgeber:innen, den „symbolischen, psychischen, historischen, ökonomischen und politischen Koordinaten geschuldet“.[1] In dieser thematischen Fokussierung wird nichts beschönigt, es werden keine Held:innengeschichten erzählt. Die Publikation ist vielmehr eine Bestandanalyse, die zu dem Schluss kommt: es braucht nicht nur eine Schärfung des Diskurses, sondern konsequente Veränderungen der wissenschaftlichen Praxis.

 

Janine Funke:  Ihre Publikation zielt darauf ab, jene Erfahrungen darzustellen, die Mütter im akademischen Betrieb machen. Dabei vertreten Sie die These, es seien nicht die Tätigkeiten an sich, die sich nicht vereinbaren lassen, sondern vielmehr ein idealisiertes Mutterbild, das mit Elternschaft noch immer einhergeht. Was genau meinen Sie damit?

In Deutschland gibt es noch immer einen sehr starken Muttermythos. Dieser besagt erstens, dass alle Frauen Mütter sein wollen (und können). Das bedeutet, dass es einen vermeintlichen Wesenskern aller als weiblich gelesener Personen gibt, der Mütterlichkeit heißt. Zweitens sagt der Muttermythos, dass es primär die Aufgabe der Mutter ist, sich um ihre Kinder zu kümmern. Drittens sagt er, dass Mütter dieses Kümmern besser, intuitiver und natürlicher können als andere. Dabei hat sie viertens nichts anderes als bedingungslose Liebe zu empfinden - all ihre eigenen Bedürfnisse, Wünsche - das, was sie als Mensch ausmacht - lässt sie aufopferungsbereit und klaglos außer Acht, denn sie hat ja das größtmögliche Geschenk im Leben einer Frau bekommen.

Mit diesem Mutterbild sehen sich nicht nur tatsächliche Mütter konfrontiert, sondern alle Personen, die als weiblich und im Alter zwischen 25 und 40 gelesen werden - in der Gesellschaft und auch in der Wissenschaft. Wenn wir uns dieses Bild vor Augen halten, das in unserer Gesellschaft mit Mutterschaft einhergeht, wird ziemlich schnell klar, dass es neben dem Dasein als Mutter wenig Freiräume für andere Tätigkeiten gibt - erst recht nicht für eine solch fordernde wie die der Wissenschaftler*in. Und hier prallt der Muttermythos auf einen anderen, konträren Mythos: dem des Wissenschaftlers. Denn auch wenn Frauen seit über einem Jahrhundert studieren dürfen und es seit Jahrzehnten Bemühungen für mehr Gleichberechtigung in der Wissenschaft gibt, so bleibt die Wissenschaft doch ein stark männlich geprägtes Feld. Damit meinen wir, dass die grundlegenden Parameter der wissenschaftlichen Arbeit noch immer männlich konnotiert sind und sich an männlichen Biographien orientieren, auch wenn Frauen mittlerweile vereinzelt im Wissenschaftssystem mitspielen dürfen. Das bedeutet, dass man seine ganze Zeit der Wissenschaft widmen muss, was darauf baut, dass es eine andere Person (eine Frau) gibt, die für die Care-Arbeit zuständig ist. Das zieht außerdem Einzelgängertum, Konkurrenz, Flexibilität und Unsicherheit nach sich, sowie prekäre Vertragslaufzeiten, die eher Risikobereitschaft als Qualität belohnen.
Es sind insofern nicht die Tätigkeiten an sich, die unvereinbar sind, sondern die idealisierten Bilder - der Muttermythos und der Wissenschaftlermythos, die nach wie vor existieren und ihre Kraft entfalten.

 

Janine Funke: Der Begriff "Mutterschaft" wird in Ihrer Publikation sehr weit gefasst. Es geht nicht nur um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf/Wissenschaft, sondern um die Verknüpfungen von Weiblichkeit. Die „Bilder“ von Weiblichkeit gehen, Ihrer Meinung nach einher, mit der Vorstellung von Mutterschaft und Mütterlichkeit, die alle Frauen mit einbezieht. Warum haben Sie diesen Ansatz gewählt? 

Wie oben gesagt, gilt Mütterlichkeit noch immer als Kern von Weiblichkeit. Alle Menschen, die als weiblich gelesen werden, sind ab einem bestimmten Punkt in ihrem Leben mit dem Muttermythos konfrontiert - ob sie Kinder haben, oder haben wollen oder eben nicht haben wollen oder können.
Wir wollten mit unserem Buch keine Aussage darüber treffen, wie es am besten funktioniert Mutter und gleichzeitig Wissenschaftlerin zu sein. Es ging uns darum, der großen Heterogenität der Erfahrungen von Frauen mit dem Mutter-Sein oder dem (noch) Nicht-Mutter-Sein einen Raum zu geben. Es geht uns  nicht um die Rolle als Mutter, sondern um das Bild, um die Idealisierung und die Ideologisierung, die mit Mutterschaft einhergeht. Es ist genau dieses Bild, das mit Wissenschaft als Tätigkeitsbereich clasht. Wie genau und wo genau das passiert, stand im Fokus unseres Interesses. Die Beiträge im Buch tun genau das: sie zeigen all die Ansprüche und identitären Zuschreibungen sowohl von Müttern, als auch von Wissenschaftler*innen sowie die dadurch entstehenden Reibungsverluste. 

 

Janine Funke: Können Sie einige, besonders eindrückliche Beispiele für die (Un)-Vereinbarkeit von Mutterschaft und Wissenschaft aus Ihrer Publikation kurz umreißen?

Ein Beispiel für diese Unvereinbarkeit ist die Bafög-Misere, die Louisa Kamrath beschreibt. Auch der Beitrag von Eva-Maria Obermann zeigt diese Unvereinbarkeit. Sie thematisiert ihre Karriere als Wissenschaftlerin mit 4 Kindern. Obwohl sie wissenschaftlich erfolgreich ist, hat sie bereits jetzt die Gewissheit, dass nach der Promotion Schluss ist. Sarah Czerney beschreibt darüber hinaus sehr eindrücklich, inwiefern die Körperlichkeit, Abhängigkeit und Bedürftigkeit, die mit Schwangerschaft, Geburt und der Pflege eines Neugeborenen einhergehen, als dem Wissenschaftshabitus vollkommen entgegen gesetzt gilt. Die Professorin und Dekanin Rose Marie Beck erzählt vom Pragmatismus, den man als Feministin aushalten muss, wenn man in den beiden "knallharten Welten" Mutterschaft und Wissenschaft unterwegs ist und die Rektorin Anne Lequy beschreibt die Praxis der scharfen Trennung zwischen Beruflichem und Privatem. Alle Beitragenden analysieren mit zum Teil schmerzhafter Präzision das Feld in dem sie sich bewegen. Christiane Lewe umreißt eindrucksvoll, wie Körperlichkeit, Sorgearbeit sowie Beziehungsmodelle jenseits der heterosexuellen Kleinfamilie generell in der Wissenschaft marginalisiert werden - sie plädiert für Solidarität nicht nur mit Eltern und für eine Verlangsamung des "Karrierezuges".

 

Janine Funke:  Der Titel Ihrer Publikation schließt die These ein, Mutterschaft und Wissenschaft seien unter bestimmten Voraussetzungen miteinander zu vereinbaren. Was muss sich im Wissenschaftsbetrieb verändern, um Frauen die gleichen Möglichkeiten auf beruflichen Erfolg zu ermöglichen, wie ihren männlichen Kollegen?

Was sich ändern muss, ist der Wissenschaftsbetrieb an sich. Es ist immer noch ein männlich dominierter und konnotierter Betrieb – die Idealisierungen und Ideologisierungen, die der wissenschaftlich tätigen Person anhaften – das Einzelkämpfertum, die ständige Arbeitswilligkeit und die damit einhergehende Überlastung, die Überidentifikation mit der Tätigkeit an sich, die Entgrenzung zeitlich, die Anforderung an räumliche Flexibilität und Mobilität, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, die fast ausschließlich befristeten Verträge, das feudale System der Lehrstühle und Professuren, all das sind Faktoren, die keine Voraussetzung für gute Wissenschaft sind. Es muss sich die gesamte wissenschaftliche Praxis ändern und zwar nicht nur, um Müttern, sondern allen Beteiligten ein besseres Leben zu ermöglichen. Deshalb richtet sich unser Buch auch nicht nur an Mütter, denn es wäre sehr wünschenswert, wenn diese Fragen nicht (wieder) nur unter Müttern debattiert werden.  

 

 

Kurzbiografien der Autor*innen:

 

Sarah Czerney ist promovierte Medienwissenschaftlerin und arbeitet derzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Büro für Chancengleichheit und Karriereentwicklung am Leibniz-Institut für Neurobiologie Magdeburg (Projekt FEM Power). Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Chancengleichheit in der Wissenschaft, feministische Wissenschaftskritik und feministische Mutterschaft.

 

Lena Eckert ist promovierte Genderwissenschaftlerin und lebt und arbeitet derzeit in Berlin und Halle (Projekt gender*bildet). Ihre Forschungsinteressen sind vergeschlechtlichte Macht- und Herrschaftstrukturen in Bildung, Wissenschaft und Medien. Sie arbeitet zudem als Weiterbildnerin und Dozentin im Bereich Gender und Diversität in Hochschullehre und Schreibprozessen sowie in queer-feministischen, akademisch-aktivistischen Kontexten.

 

Silke Martin ist derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Erfurt, promovierte Film- und Medienwissenschaftlerin und seit vielen Jahren als Beraterin in der Hochschuldidaktik sowie akademischen Schreib- und Karriereplanung tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Theorie, Ästhetik und Geschichte des Films, Gender/Ageing Studies sowie diversitätssensible Hochschulbildung und Schreibforschung.

 

Buchvorstellungen:

9. März 2021 19:30 Uni Erfurt (online),
Anmeldung unter: gleichstellungsbuero@uni-erfurt.de

11. März 2021 19:00 Uni Magdeburg (online)

18. März 2021 19:30 FH Potsdam (online)

 

Außerdem organisieren Stefanie Junges (Ruhr-Universität Bochum) und Janine Funke (ZZF Potsdam) eine informelle Lektürebesprechung mit anschließendem Austausch über die Themen Bildungsaufstieg, Wissenschaft und Mutterschaft

Termin: 26. März 2021, 16:00 Uhr (online)
Anmeldung per Mail an: stefanie.junges@rub.de

 

 


[1] Czerney, Sarah; Eckert, Lena; Martin, Silke (Hrg.): Mutterschaft und Wissenschaft. Die (Un-)Vereinbarkeit von traditionellem Mutterbild und wissenschaftlicher Tätigkeit, Wiesbaden 2020, S. 3.