Die 70. Filmfestspiele Berlin setzten in der Sektion Berlinale Classics einen Schwerpunkt auf die filmische Darstellung des Holocaust. Zu diesem Anlass wirft unsere Autorin Rebecca Wegmann einen Blick auf die Darstellungsdebatte und fasst einige wichtige Höhepunkte zusammen.
Eine zentrale Herausforderung in der Auseinandersetzung mit der Shoah ist die Frage ihrer Darstellbarkeit. Wissenschaftler*innen stehen bis heute vor der Fragestellung, wie das Unvorstellbare zu verstehen, vermitteln und damit weitertragen werden kann. Sich mit der Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten, sei es auf künstlerisch-ästhetischer oder wissenschaftlicher Ebene auseinanderzusetzen, bedeutet immer wieder sich der Herausforderung der Unvorstellbarkeit und Undarstellbarkeit der Thematik zu stellen. Schon einer der frühen Holocaust-Historiographen wie Raul Hilberg setzte sich mit dieser Frage auseinander und suchte im Medium der Sprache ein Mittel der wissenschaftlichen Erfassung und Darstellung der Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten. Im Jahr 1951 schrieb Theodor Adorno den bis heute als wichtigste Sentenz einer Kulturkritik nach Auschwitz diskutierten Satz:
„Kulturkritik findet sich der letzten Stufe der Dialektik von Kultur und Barbarei gegenüber: nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frisst auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben.“[1]
Auch wenn Wissenschaftler*innen, die sich mit dem Thema Shoah auseinandersetzen, sich der Unmöglichkeit stellen müssen, die Schreckensereignisse (sprachlich) adäquat darzustellen, gibt es einige Forschungsbegriffe, die sich in den Jahren der Holocaustforschung für dessen Beschreibung herausgebildet haben: Vernichtung, Massenmord, Völkermord bzw. Genozid u.v.m. Während in der Forschung bis heute vor allem über Begriffe und deren semantische Ausdeutung diskutiert wird, ist die Frage nach der Repräsentation und Darstellung der Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten eine Kunst, Kultur, Film und Wissenschaft übergreifende.
In den 75 Jahren, die seit der Befreiung der Konzentrationslager vergangen sind, waren mehrere Generationen mit Darstellbarkeit des Schreckens konfrontiert. Die zentrale Frage lautete: Mit welchen Mitteln kann das Verbrechen Auschwitz in der Kunst, der Literatur, der Wissenschaft dargestellt bzw. vergegenwärtigt werden? Dabei umspannt die Darstellungsdebatte die Begriffe: Unbegreiflichkeit, Angemessenheit, Authentizität und Trivialisierung.
Zwischen Zeugenschaft und Fiktionalisierung
Auf der Suche nach „angemessenen“ oder „authentischen“ Formen der Repräsentation finden sich unterschiedliche Lösungsansätze. Ästhetisch-intellektuelle Maßstäbe für die Repräsentation des Völkermords setzt bis heute Claude Lanzmanns Film Shoah (1985), ein bewegendes, filmisches Denkmal für die ermordeten Juden Europas, das bis heute ein Meilenstein der Filmgeschichte ist.[2] Der französische Journalist Claude Lanzmann begann die Arbeit am Film Shoah dreißig Jahre nach dem Ende des Genozids. Ziel seines Filmprojektes war es, den Holocaust-Überlebenden als Primärzeug*innen, die aus eigener Erfahrung berichten können, was Verfolgung, Krieg und Massenmord bedeutet hatte, eine Stimme zu geben und diese festzuhalten. Im Gegensatz zu anderen vorher entstandenen Filmen, die sich mit dem Genozid befassen, wie zum Beispiel Nuit et brouillard (1955) von Alain Resnais oder Le chagrin et la pitié (1969) von Marcel Ophüls, verwendet Lanzmann keine einzige Archivaufnahme. Zusätzlich zur filmischen Darstellung der Orte des Schreckens in Polen, setzte Lanzmann auf das gesprochene Wort, indem er mit Zeitzeug*innen Interviews führte. Der Regisseur sprach mit mehr als zwanzig Opfern, mit sechs Tätern und führte sieben Interviews mit sogenannten bystandern, beobachtende Zuschauer*innen. Seine Befragungen zielen auf die individuelle Erfahrung der Person während des Holocaust. Der Historiker Martin Sabrow macht den Zeitzeugen[3] in seiner Begriffsdefinition zum wandernden Vermittler zwischen der Welt der Vergangenheit und der Gegenwart:
„[D]er Zeitzeuge [stellt] nicht nur die Brücke zwischen Heute und Damals her, sondern passt auch die Vergangenheit in die Gegenwart ein und dient als Mittler zwischen beiden. Um als Wanderer zwischen diesen Welten dienen zu können, übernimmt er von der Vergangenheit die Erinnerung, von der Gegenwart aber die Wertemaßstäbe, das kulturelle Rahmenformat, in dem er das Vergangene memoriert und zugleich aktualisiert.“[4]
Dabei autorisiert die bezeugende Person als Träger*in von Erfahrungen Lanzmanns Darstellung der Vergangenheit. Claude Lanzmann beginnt seinen Film mit der Rückkehr von Simon Srebnik, einem KZ-Überlebenden, nach Chełmno.
In einer späteren Sequenz, einem Walking-Interview Lanzmanns mit dem Überlebenden über das karge Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers, fasst Srebnik nach Worten ringend zusammen:
„Das... das... das kann man nicht erzählen. Niemand kann das nicht bringen zum Besinnen, was da hier war. Unmöglich. Keiner kann das nicht verstehen. Und jetzt glaube ich auch, ich kann das auch schon nicht verstehen.“[5]
Für Lanzmann bedeutet die Zeugenschaft die einzig legitime Darstellungsform der Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten. Mit dieser Einstellung wandt sich der französische Regisseur explizit gegen die Trivialisierung und Fiktionalisierung der Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten, zum Beispiel in der US-amerikanischen Fernsehserie „Holocaust“ von 1979. In den 1990er Jahren fand die Debatte um die Undarstellbarkeit mit dem Erfolg von Steven Spielbergs Hollywood-Spielfilm „Schindlers Liste“ – der Film erhielt sieben Oscars und drei Golden Globes – einen Höhepunkt. Eine Filmbiographie des deutschen Geschäftsmannes Oskar Schindler (1908–1974), basierend auf historischen Fakten sowie dem 1982 erschienenen Bestsellerroman „Schindler's Ark“ von Thomas Keneally.
Schindler rettete im Zweiten Weltkrieg über tausend Juden aus den besetzten Ländern Polen und Tschechoslowakei vor dem Tod im Vernichtungslager Auschwitz, indem er sie in seinen Rüstungsbetrieben beschäftigte. Nicht ohne Grund wird der Spielfilm heute im deutschen Geschichtsunterricht den Schüler*innen als Standardwerk zum Holocaust gezeigt wird und steht z.T. sogar auf dem Lehrplan. Der Film polarisiert und wirft die Frage auf, inwieweit die Fiktionalisierung und die Trivialisierung der Shoah in der Unterhaltungsindustrie moralisch vertretbar und angemessen sind? Der Film wirkte zudem wie ein Katalysator für die sich zu diesem Zeitpunkt weltweit etablierende Holocaustforschung.[6]
Bilder der Vernichtung bis 1945 – Täter und Befreier
Lange vor dem »Bildverbot« und der Frage der Trivialisierung entstanden bereits filmische Quellen in den Lagern: Zu der Zeit, in der sie noch betrieben wurden. Filme, die von den nationalsozialistischen Tätern selbst produziert wurden. Die Täter nutzten Fotografie und Film, um ihre Taten zu eigenen Zwecken zu dokumentieren. Ein Beispiel ist der bekannte und viel diskutierte Propagandafilm Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet (1944), der in den Sommermonaten des Jahres 1944 im Konzentrationslager Theresienstadt[7] im damals tschechoslowakischen Terezin unter der ihm aufgezwungenen Leitung des inhaftierten jüdischen Regisseurs Kurt Gerron gedreht wurde. Gerron wurde wenig später nach Auschwitz deportiert und ermordet. Als NS-Propaganda zeigt der Film, der unter dem Arbeitstitel „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ entstand, eine mehr als beschönigende Darstellung des Lagerlebens, um die Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten zu verschleiern. Dieser Film zeigt die Täterperspektive, Bilder der Täter auf ihre Opfer, und sollten als solche in die Täterforschung eingebettet werden.
Mit der Befreiung der Konzentrationslager im Frühjahr 1945 und dem Ende des Zweiten Weltkrieges filmten auch die Alliierten in den von ihnen befreiten Konzentrations- und Vernichtungslager. Nicht ohne Motivation hielten viele Frontfotografen und Soldaten fest, was sie vorfanden. Ihre (audiovisuellen) Bilder, als Beweissicherung inszeniert, gingen um die Welt und zeigten ausgemergelte Überlebende und sich türmende Leichenberge.[8] Der amerikanische Film mit dokumentarischem Charakter Death Mills (1945) von Hanuš Burger und Billy Wilder, der im Rahmen der Re-Education der nationalsozialistischen deutschen Nachkriegsgesellschaft durch die Zusammenarbeit des Office of War Information (OWI) und der Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force's Psychological Warfare Division (SHAEF PWD) produziert wurde, ist ein früher Versuch, aus Sicht der amerikanischen Befreier die Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten filmisch zu dokumentieren.[9] Anhand unterschiedlicher Filmaufnahmen und -sequenzen, die kurz zuvor in den befreiten Konzentrations- und Arbeitslagern in Dachau, Auschwitz, Majdanek, Bergen-Belsen, Buchenwald und anderen aufgenommen wurden, zeigt der Film den Blick der Befreienden auf die Überlebenden und die unmittelbaren Spuren des Genozids. Die Befreienden versuchen, das was in den Lagern vorgefallen ist, den unerträglichen Schrecken, der sich vor ihren Augen ausbreitet, zu begreifen.
Drängende Bilder der Überlebenden
Erst ihr Überleben machte den ehemaligen KZ-Häftlingen die Darstellung ihrer Erfahrung als Opfer des nationalsozialistischen Terrors möglich. Kurz nach der Befreiung griffen vor allem osteuropäische Filmemacher*innen zur Kamera, um unmittelbar nach dem Genozid die Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten filmisch festzuhalten. Zu nennen sind u.a. Filme des polnischen Regisseurs Aleksander Ford Majdanek – cmentarzysko (Majdanek – Friedhof) von 1945 und Ulica Graniczna (Die Grenzstraße) von 1948, oder auch frühe DEFA-Filme wie zum Beispiel Die Mörder sind unter uns (Wolfgang Staudte, 1946) und Ehe im Schatten (Kurt Maetzig, 1947). Diesen Filmen stellen einige der überlebenden Filmemacher*innen die Fiktionalisierung ihrer eigenen Lebensgeschichte und Erfahrungen im Konzentrationslager entgegen. Für die polnische Regisseurin Wanda Jakubowska war mit ihrer Ankunft in Auschwitz und dem Gang durch das Lagertor klar, dass sie, falls sie überleben sollte, ihre Lagererfahrungen verfilmen wird. Nach ihrer Befreiung verfolgte Jakubowska daher mit großer Dringlichkeit das Ziel, ihren Film, in dem sie ihre Lagererfahrungen darstellen wollte, verwirklichen zu können.[10] 1948 drehte die Auschwitz-Überlebende dann mit Ostatni Etap (Die letzte Etappe) den ersten Spielfilm über das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz.
Daleká cesta - Filmlegende der Shoah in der Tschechosklowakei
Die Dringlichkeit, unmittelbar nach Kriegsende einen Film über seine Erfahrungen im Konzentrationslager zu drehen, verspürte auch der tschechoslowakische Regisseur Alfréd Radok. Radok, der vor dem Krieg als Prager Theaterregisseur arbeitete war Kind eines jüdischen Vaters und einer nicht-jüdischen Mutter. Während der nationalsozialistischen Besatzung wurde Alfréd Radok verhaftet und ins Zwangsarbeitslager Klettendorf bei Breslau gebracht. Seine eigene Inhaftierung, aber auch der Verlust seines Vaters, Großvaters und anderer enger Verwandte, die in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten ermordet wurden, spiegeln sich in der fiktionalen Handlungen seines Films wider. Daleká cesta ist weder Dokumentar- noch Spielfilm, sondern – mit den Worten des Regisseurs - ein „künstlerischer Bericht“ von der nationalsozialistischen Verfolgung und Vernichtung, eine Mischung aus Melodrama, expressionistischen Themen und historischem Filmmaterial wie Wochenschauen oder Fragmenten aus Leni Riefenstahls Triumph des Willens.[11]
Der Film verfolgt den weiten Weg der jüdischen Familie Kaufmann, von ihrem Leben in Prag vor der Besatzung über die Anfänge der Besatzungszeit und die Deportation bis hin zum Tod im Vernichtungslager. Die fiktive Geschichte der Familie Kaufmann wird „stetig unterbrochen von dokumentarischem Filmmaterial, das die Einzelschicksale mit der Zeitgeschichte verknüpft, [so] verdichten sich die Spielszenen zu einem albtraumhaften, expressionistischen ‚Totentanz‘.“[12] Genau das Archivmaterial, gegen dessen Verwendung sich Claude Lanzmann dreißig Jahre später entschied, untermauert hier die zeitliche Einbettung der Filmbilder in die frühe Nachkriegszeit. Gleichzeitig zeigt der Film über den picture-in-picture effect Archivaufnahmen der Wochenschau, wie zum Beispiel den Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Prag und Paris, historische Filmaufnahmen von öffentlichen Reden nationalsozialistischer Eliten wie Goebbels, Himmler und sogar Hitler, sowie Szenen aus Leni Riefenstahls Triumph des Willens (1935) neben der fiktionalen Rahmenhandlung der Liebesgeschichte.
Protagonistin ist die junge Augenärztin Dr. Hanna Kaufmannová (Blanka Waleská), der kurz nach der Okkupation von ihrem nicht-jüdischen Kollegen Dr. Antonín Bureš (Otomar Krejča) ein Heiratsantrag gemacht wird. Sie willigt ein, doch die Eheschließung kann zunächst nur ihre eigene Deportation verzögern. Ihre Eltern Oskar Kaufmann (Viktor Očásek) und Hedvika Kaufmannová (Zdeňka Baldová) werden gemeinsam mit Hanas kleinem Bruder Honzík Kaufmann (Jiří Spirit) in das Konzentrationslager Theresienstadt gebracht. Als ihr nicht-jüdischer Ehemann Antonín sich heimlich in das Lager einschleicht, muss er nicht nur die entwürdigenden Lebensbedingungen zur Kenntnis nehmen, sondern auch die Nachricht, dass die Schwiegereltern und der kleine Schwager bereits in den Osten transportiert worden sind – nach Auschwitz, Majdanek oder Sobibór. Die Aufzählung der Ortsnamen der Vernichtungslager wird an zwei Filmstellen rhythmisch als „Totengesang der Häftlinge“ wiederholt und lässt der Zuschauerin einen kalten Schauer den Rücken herunterlaufen.
Mit dem anhaltenden Krieg und den sich verschärfenden Repressionen gegen jüdische Ehepartner*innen von Nicht-Juden wird auch Hana in der zweiten Hälfte des Spielfilms in das KZ Theresienstadt deportiert, wo sie auf der Krankenstation arbeitet. Sowohl Hana in Theresienstadt, als auch ihr Ehemann Antonín, der zwischenzeitlich ebenfalls in einem Arbeitslager inhaftiert war, überleben bis zur Befreiung der Lager durch die Rote Armee.
Mit humanistischer Botschaft zeigt die letzte Filmsequenz erst nur die Schatten der beiden Protagonisten die auf einen Davidstern falle, dann lösen sich die Schatten der KZ-Überlebenden Hana und Antonín und sie gehen über ein Gräberfeld mit Kreuzen, während eine Off-Stimme unter Glockenläuten die Ortsnamen der Vernichtungs- und Arbeitslager, die Orte des nationalsozialistischen Verbrechens, aufzählt: Auschwitz – Majdanek – Sobibór – Treblinka – Ravensbrück – Oranienburg – Bergen-Belsen – Buchenwald – Lodz – Theresienstadt – Groß-Rosen – Mauthausen.
Obwohl der Spielfilm international gespielt wurde und positive Kritiken im Ausland bekam, verschwand Daleká cesta 1949 nach wenigen Vorstellungen aus den tschechischen Kinos.[13] Der experimentelle, z.T. expressionistische Charakter des Films passte vor allem aufgrund seiner Ästhetik weniger in das aufkommende Konzept des sozialistischen Realismus und dessen ästhetische Normen. International legte Daleká cesta den Grundstein für spätere filmische Auseinandersetzungen mit dem Holocaust, so zum Beispiel als cineastischer Referenzpunkt für Alain Resnais Nuit et Brouillard (Nacht und Nebel) aus dem Jahr 1956, einen der ersten französischen Dokumentarfilme über die Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten. Erst 1991, nach der Samtenen Revolution, die den Systemwechsel hin zur Demokratisierung einläutete, durfte Radoks Holocaust-Spielfilm wieder in Tschechien gezeigt werden, sogar in einer Fernsehausstrahlung.
In Daleka cesta (Der lange Weg) erzählt Radok die fiktionalisierte Geschichte der Prager Juden, die über das Vorzeigelager Theresienstadt in die Vernichtungslager weiter im Osten deportiert und dort ermordet wurden. Ein früher Versuch, die Erfahrungen aus den Konzentrationslagern in einem Spielfilm einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Lange vor dem Diskurs über Darstellbarkeit des Unvorstellbaren und dem ausgesprochenen »Bildverbot«, zeigt dieser experimentelle Film eine unmittelbar nach dem Schrecken produzierte Sicht auf die Vernichtung der Prager Juden durch die Nationalsozialisten. In der Darstellung seiner Erfahrungen aus dem Lager im Film vereint Radok Fiktionalisierung und Zeugenschaft unter sich.
Bilder von heute? Bilder von Morgen?
Was von der Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten filmisch darstellbar ist, hängt von den geschichtspolitischen und gesellschaftlichen Normen der jeweiligen Gegenwart ab.
Für die Gegenwart kommt hinzu: Der Verlust einer unmittelbaren Zeugenschaft, das Aussterben der Zeitzeug*innen der nationalsozialistischen Verfolgung, macht die Mittelbarkeit ihrer Erfahrungen unabdingbar. Diese Herausforderung müssen Wissenschaftler*innen wie Filmschaffende und Künstler*innen in Zukunft meistern.
Mehr zum Thema Filmbilder des Holocaust. Material zur Darstellung des Holocaust in Film und Fernsehen, in: Zeitgeschichte-online, Februar 2020.
Programm und Veranstaltungen:
Sonntag, 23.02., 18:00 Uhr, Deutsche Kinemathek - 4. OG: Berlinale Classic Event: Das Undarstellbare zeigen - mit Michal Bregant, Monika Talarczyk, Ralph Eue
Daleká cesta | Distant Journey | Der weite Weg von Alfréd Radok, Tschechoslowakei 1949 (Digital restaurierte Fassung 2019)
- Sonntag, 23.02.2020, 14:30 Uhr, CinemaxX 8 mit Michal Bregant
- Freitag, 28.02.2020, 14:30 Uhr, CinemaxX 8
Ostatni Etap | The Last Stage | Die letzte Etappe von Wanda Jakubowska, Polen 1948 (Digital restaurierte Fassung 2019)
- Samstag, 22.02.2020, 19:30 Uhr, CinemaxX 8 mit Dariusz Wieromiejczyk, Monika Talarczyk
- Sonntag, 01.03.,12:00 Uhr, CinemaxX 8
[1] Theodor W. Adorno: Kulturkritik und Gesellschaft. In: Gesammelte Schriften, Band 10.1: Kulturkritik und Gesellschaft I, „Prismen. Ohne Leitbild“. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1977, S. 30.
[2] Vgl. Ute Janssen: Shoah. In: Lexikon der Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945. Hrsg. Torben Fischer und Matthias N. Lorenz. Bielefeld zweite. Auflage 2009. S. 244.
[3] Bei seiner Begriffsvorstellung bezeichnet Sabrow den Begriff ohne zu gendern. Da ich mich auf seine Begriffsanwendung berufe, habe ich an dieser Stelle bewusst das von Sabrow verwendete generische Maskulinum übernommen.
[4]Martin Sabrow: Der Zeitzeuge als Wanderer zwischen zwei Welten. In: Die Geburt des Zeitzeugen nach 1945. Hrsg. von Norbert Frei und Martin Sabrow Göttingen 2012. S. 27.
[5] Shoah. Ein Film von Claude Lanzmann. absolut MEDIEN GmbH 2017 (Original Claude Lanzman: Shoah. Les Films Aleph 1985) [CD 1 00:08:47-00:09:06].
[6] Vgl. René Schlott und Viktor-Emanuel zu Sachsen, Go see it!. Ein Vierteljahrhundert nach seiner Kinopremiere kommt „Schindlers Liste“ in technischer Überarbeitung ins Kino, in: Zeitgeschichte-online, Januar 2019.
[7] Klaas Anders, „Stadt der Veränderung“?. Theresienstadt: Ghetto und Konzentrationslager und..?, in: Zeitgeschichte-online, Juli 2019.
[8] Über die Re-Inszenierung der nationalsozialistischen Gräueltaten für die Bilder der Befreier siehe Sandra Starke: »... davon kann man sich kein Bild machen.« Entstehung, Funktion und Bedeutung der Baumhängen-Fotos. In: Fotografien aus den Lagern des NS-Regimes. Beweissicherung und ästhetische Praxis. S. 49-66.
[9] Zur Funktionalisierung des Films in der Nachkriegszeit siehe Brewster S. Chamberlin: Todesmühlen. Ein früher Versuch zur Massen-„Umerziehung" im besetzten Deutschland 1945-1946. In: Viertelsjahreshefte für Zeitgeschichte, Jahrgang 1981 Heft 3.
[10] Über die Mutter des Holocaust-Spielfilms siehe Magdalena Saryusz-Wolska, Der erste Auschwitz-Spielfilm. „Die letzte Etappe“ der polnischen Regisseurin Wanda Jakubowska aus dem Jahr 1948 (Reprint), in: Zeitgeschichte-online, Februar 2020.
[11] Vgl. Frank van Vree: Auschwitz liegt in Polen – Krieg, Verfolgung und Vernichtung im polnischen Film. In: Geschichte im Film. Hrsg. von Waltraud Wende. Weimar/ Stuttgart 2002. S. 47.
[12] Presseblatt der Deutschen Kinemathek.
[13] Zur Rezeptionsgeschichte der tschechischen Holocaust-Films Daleká cesta siehe Tatjana Lichtenstein (2016) ‘It Is Not My Fault That You Are Jewish!’: Jews, Czechs, and the Memory of the Holocaust in Film, 1949–2009, Dapim: Studies on the Holocaust, 30:2. S. 117-141. Außerdem Jan Lánícˇek und Stuart Liebman: A Closer Look at Alfred Radok’s Film Distant Journey. In: Holocaust and Genocide Studies 30, no. 1 (Spring 2016). S. 53–80.