von Franziska Davies, Svea Hammerle

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7. März 2023

Franziska Davies ist Osteuropa-Historikerin an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seit Beginn des russischen Kriegs positioniert sie sich auf Twitter und betreibt Aufklärungsarbeit über den Krieg. Viel Aufmerksamkeit erfuhr ihr Rechtsstreit mit der ehemaligen Moskau-Korrespondentin der ARD Gabriele Krone-Schmalz, der Davies unter anderem Putin-Nähe und unwissenschaftliches Arbeiten vorwirft. Krone-Schmalz ging mit einer Unterlassungsklage gegen diese Aussagen vor. Im Januar 2023 urteilte das Landgericht Köln, dass es sich bei ihnen um zulässige Meinungsäußerungen handele, diese Entscheidung wurde vom Oberlandgericht Köln bestätigt. Eine weitere Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf steht noch aus.

Im Interview mit Svea Hammerle berichtet Franziska Davies von ihrem noch andauernden Kampf für Wissenschaftsfreiheit sowie von ihren Erfahrungen als Historikerin auf Twitter.

 

Svea Hammerle: Sie sind Osteuropahistorikerin mit einem Schwerpunkt auf der Geschichte Russlands, der Ukraine und Polens. Wie hat sich Ihre Rolle als Historikerin und Osteuropa-Expertin seit dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine verändert?

Franziska Davies: Meine Rolle ist eine politischere geworden, weil wir zurzeit mitten in einer der wichtigsten Debatten sind. Das gilt für Forscher:innen, die sich mit osteuropäischer Geschichte beschäftigen, aber eigentlich bereits seit dem Angriff auf die Krim 2014. Das war auch für mich der Moment, in dem ich zum ersten Mal als Doktorandin dachte: „Jetzt muss ich doch etwas sagen zu diesen öffentlichen Debatten“. Aber damals hat das natürlich nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen. Insgesamt sind seit Februar 2022 die Wissenschaftler:innen, die sich mit osteuropäischer Geschichte, Sicherheitspolitik, Konflikt- und Friedensforschung beschäftigen, in einer viel politischeren Rolle, als sie es früher waren.

SH: In dieser politisch gewordenen Rolle können Wissenschaftler:innen auch Themen in der öffentlichen Debatte setzen. Welchen Themen wird Ihrer Einschätzung nach noch keine oder zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt?

FD: Ich persönlich, aber das sage ich eher als Staatsbürgerin denn als Historikerin, fände es wichtig, die Frage aufzuarbeiten, warum die Russlandpolitik schiefgelaufen ist. Also warum so viele Fehler im Umgang mit Russland und der Ukraine gemacht worden sind, letztlich von Vertreter:innen aller Parteien. Anschließend wäre es wichtig zu fragen, was man aus diesen Fehlern lernen kann. Russland ist nicht das einzige autoritäre Regime und auch nicht das einzige Regime, das systematisch Menschenrechtsverletzungen begeht. Man denke zum Beispiel an China als wichtigen Handelspartner. Ich bin zwar keine China-Expertin, aber ich sehe schon Parallelen in den Problemen und Herausforderungen: Wie geht man mit autoritären Regimen um, mit denen man wirtschaftlich verflochten ist? Mir ist auch klar, dass man nicht die letzten Jahrhunderte der Globalisierung und wirtschaftlichen Verflechtung rückgängig machen kann. Aber ich frage mich, wie die politisch Verantwortlichen mit diesem Schock umgehen und welche Lehren sie aus ihm ziehen. Darüber wird meiner Meinung nach zu wenig gesprochen. Ich glaube aber, diese Art der Aufarbeitung müsste aus der Gesellschaft kommen, da fast alle Parteien irgendwie an dieser Russlandpolitik beteiligt waren oder sie mitgetragen haben.

Was mich persönlich, aber auch als Wissenschaftlerin wirklich frustriert, ist, dass sich die Debatten meinem Eindruck nach im Kreis bewegen. Wir müssen immer wieder erklären, warum es nicht um die Frage geht, ob die Ukraine verhandelt oder Widerstand leistet, sondern darum, ob sie weiterhin als souveräner Staat existieren wird. Und ich bin sicherlich nicht die Einzige, die das Gefühl hat, dass man eigentlich seit einem Jahr immer wieder dasselbe sagt. Es ist aber offenbar immer noch nötig, das immer wieder zu sagen.

Generell würde ich mir, jetzt wieder als Staatsbürgerin, wünschen, dass die Kommunikation der Bundesregierung eine andere wäre, gerade bei einem Thema, das aus verständlichen Gründen auf viel Unbehagen stößt. Denn Kriege machen Angst und auch die Vorstellung, dass man Kriegspartei werden könnte, macht Angst. Hier wäre eine offensivere Kommunikationsstrategie nötig, die vermittelt, was gerade geschieht, welche politischen Entscheidungen getroffen werden und warum es auch im deutschen Interesse ist, dass die Ukraine gewinnt. Die öffentliche Kommunikation und die politische Handlungsmöglichkeit bedingen sich ja gegenseitig. Für manche politischen Projekte und Entscheidungen muss offensiv geworben und ihre Relevanz erklärt werden, anstatt einfach hinzunehmen, dass die Bevölkerung dagegen ist oder zumindest an ihnen zweifelt.

SH: Die öffentliche Meinung wird vor allem von den Medien beeinflusst. Sie haben bereits im Mai 2022 die Einladungspolitik von „Expert:innen“ in Talkshows kritisiert. Wie wirken sich diese Einladungspraktiken auf die öffentliche Aufmerksamkeitsökonomie und verbreiteten Narrative über den Krieg aus? Und haben Sie seit Ihrer öffentlichen Kritik einen Wandel bei den Einladungen wahrgenommen?

FD: Das Problem, dass Personen in den Medien sehr präsent waren, die in der Fachcommunity als Expert:innen keine Rolle spielen, existiert bereits seit 2014. Bei den öffentlich-rechtlichen Medien bin ich hierbei besonders kritisch, da sie einen Bildungsauftrag haben und auch ein sehr großes Publikum erreichen. Das hat auch dazu beigetragen, dass so viele Menschen im Februar 2022 so überrascht waren und ein falsches Bild davon hatten, was Konsens in der Fachcommunity sei. Wir konnten zwar den Krieg nicht vorhersehen, aber dass Russland immer autoritärer wurde und einen imperialen Anspruch auf die Ukraine erhob, das war in der Fachcommunity bekannt.  

Teile der Medien, gerade die publikumswirksamen Formate wie die Talkshows, haben eine wirklich desaströse Einladungspolitik betrieben und ich habe nicht den Eindruck, dass sich etwas geändert hat. Ich fand es aber auffällig, dass die leidenschaftlichsten Putin-Verteidiger:innen wie Hubert Seipel, Gabriele Krone-Schmalz oder Alexander Rahr, die alle bis zum 24. Februar 2022 in diesen Formaten sehr präsent waren, dann plötzlich gar nicht mehr eingeladen wurden. Das spricht für mich dafür, dass die Redaktionen wussten, was sie tun. Leider werden auch heute noch Menschen eingeladen, die keine explizite Ukraine-Expertise haben, und Menschen aus der Ukraine oder Oppositionelle aus Russland werden immer noch viel zu wenig gehört. Ich finde es sehr frustrierend, dass immer wieder der Bildungsauftrag eine kleinere Rolle spielt als die Hoffnung auf Krawall und Unterhaltungswert. Gleichzeitig haben aber viele Journalist:innen in den letzten Jahren hervorragende Arbeit in Bezug auf Russland, die Ukraine und Belarus geleistet und bezeichnenderweise genau diejenigen mit Ortskenntnissen. Sie haben sehr genau verstanden, was in Russland und in der Ukraine passiert, mussten sich aber vom hiesigen Publikum und teilweise auch von ihren Kolleg:innen den Vorwurf gefallen lassen, eine einseitige, angeblich zu russlandkritische Berichterstattung zu betreiben.

 

Ein Rechtsstreit mit Signalwirkung

SH: Die prominenteste vermeintliche Expertin, die Sie kritisiert hatten, ist die ehemalige Russlandkorrespondentin der ARD Gabriele Krone-Schmalz. Sie haben ihr zudem die Verbreitung von Falschinformationen und pro-russischen Narrativen vor allem auf Twitter vorgeworfen), woraufhin Frau Krone-Schmalz Sie verklagt hat. Sie haben Ihre Kritik daraufhin noch einmal in der Zeitschrift „Osteuropa“ ausführlich formuliert. Es gab allerdings auch andere öffentlichkeitswirksame Kritiker:innen. Warum denken Sie, hat sich ihre Klage nur gegen sie gewandt?

FD: Mir fallen dazu zwei Möglichkeiten ein: Erstens war ich schon besonders penetrant, das muss man schon sagen. Ich habe immer wieder Veranstalter:innen angeschrieben, die Frau Krone-Schmalz eingeladen hatten und darauf hingewiesen, dass sie keine Russland-Expertin ist. Ich glaube, dass das aufgrund der oben besprochenen Einladungspolitik einigen Veranstalter:innen wirklich nicht bewusst war. Denn wenn jemand immer wieder in seriösen Formaten als Expertin präsentiert wird, dann geht man irgendwann davon aus, dass das auch so ist.

Die zweite Möglichkeit hat damit zu tun, dass ich eine befristet angestellte Wissenschaftlerin bin. Patrick Bahners hat sie zum Beispiel in seinem FAZ-Artikel mit sehr deutlichen Worten kritisiert und ihre Bücher als „Putins Ramsch“ bezeichnet. Und auch Klaus Gestwa, Direktor des Instituts für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde an der Universität Tübingen, hat sich sehr kritisch über sie geäußert. Beide haben dafür keine Abmahnung von ihr bekommen. Darum denke ich schon, dass Frau Krone-Schmalz dachte, sie könne mich besser einschüchtern, weil ich befristet angestellt bin.

SH: Am 23. Januar 2023 urteilte das Landgericht Köln, dass ihre Kritik an Krone-Schmalz zulässig sei und stärkte mit dem Urteil die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit. Eine Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf steht jedoch noch aus. Erwarten Sie auch hier eine Entscheidung in Ihrem Sinne? Denken Sie die Gerichtsverfahren werden eine Signalwirkung für die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland haben?

FD: Ich hoffe natürlich, dass der Beschluss aus Köln in Düsseldorf bestätigt wird. Das ist auch wahrscheinlich, denn Frau Krone-Schmalz hat gegen die Entscheidung des Landgerichts Kölns, das ihr auch die Kosten für das Kölner Verfahren auferlegt hat, sofort Beschwerde eingelegt. Daraufhin hat das Oberlandgericht Köln die Entscheidung aber bestätigt. Das Oberlandgericht Köln wäre wiederum die nächste Instanz in dieser Sache von Düsseldorf. Meinem Empfinden nach, aber ich bin natürlich keine Juristin, war der gesamte Vorgang von vornherein absurd. Als ich die Abmahnung Mitte Oktober erhielt, war meine erste Reaktion: „Das ist ja sowas von lächerlich, das ignoriere ich einfach.“ Erst als ich einem guten Bekannten, der Jurist ist, davon erzählt habe, hat er gesagt: „Nein, da musst du leider sofort etwas machen. Du musst dir sofort einen Anwalt nehmen und zwar einen sehr guten.“ Da ist mir erst klargeworden, dass da etwas auf mich zukommen könnte. Aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass das wirklich justiziabel sein könnte.

Natürlich hoffe ich auch, dass davon eine Signalwirkung ausgehen wird, denn die ganze Situation zeigt größere systemische Probleme auf. Einerseits ist das die Debattenkultur, in der Personen denken, sie könnten andere Personen im Namen einer missverstandenen Meinungsfreiheit durch juristische Schikanen einschüchtern. Aber Meinungsfreiheit ist genau wie Wissenschaftsfreiheit nicht Widerspruchsfreiheit. Ein anderes Problem ist, dass viele Rechtsschutzversicherungen so etwas wie Abmahnungen nicht abdecken und selbst wenn man Recht hat, muss man in finanzielle Vorleistung gehen.

Ein grundsätzlicheres Problem ist, dass man als Privatperson, und in dieser Funktion twittere ich ja, in Konfliktsituationen auf sich allein gestellt ist. Mein Arbeitgeber, die LMU München, hat mir sehr deutlich kommuniziert, dass sie das als meine Privatsache ansieht und von Seiten der Universität keinerlei Unterstützung, auch nicht symbolischer Natur, zu erwarten ist. Diese Haltung der LMU hat mich eigentlich noch mehr enttäuscht, als das Vorgehen von Frau Krone-Schmalz, weil ich mir von einer Universität etwas anderes wünschen würde. Alle Universitäten schreiben sich auf die Fahne, dass sie Wissenschaftskommunikation machen und Expert:innen zu relevanten Themen haben. Aber wenn es ein Problem gibt, wird man komplett alleine gelassen und bekommt gesagt, dass Wissenschaftskommunikation nicht zu unseren Dienstaufgaben gehöre.

Und diese Probleme werden nur größer werden: Die Logiken der Öffentlichkeit haben sich durch die sozialen Medien total geändert und auch die Desinformationskampagnen sind teilweise geradezu professionell aufgezogen, zumindest von der pro-russischen Propaganda muss man das auf jeden Fall sagen. Gerade darum ist es ja eigentlich so wichtig, dass sich Wissenschaftler:innen am öffentlichen Diskurs beteiligen.

SH: Das sieht man auch an dem YouTube-Video von Krone-Schmalz‘ Vortrag in Reutlingen, an dem der Rechtsstreit entbrannte. Das Video hat mittlerweile 1,4 Millionen Views und wurde über 31.000 Mal kommentiert. In den Kommentaren wird der Vortrag überwiegend als „sachlich und faktenbezogen“ gelobt und Krone-Schmalz als „wahrheitsfindende und regierungskritische Journalistin“ gepriesen, vor allem im Gegensatz zu einer angeblich einseitigen Berichterstattung der Medien und der sogenannten „Cancel Culture“. Wie kann man dagegen ankommen? Können wissenschaftliche Analysen überhaupt noch zur Aufklärung beitragen, wenn sie selbst als Teil des Problems wahrgenommen werden?

FD: Die vielen Aufrufe und positiven Kommentare habe ich auch wahrgenommen. Ich sehe das als ein Beispiel dafür, wie bestimmte Menschen in der öffentlichen Kommunikation extrem geschickt agieren. Letztlich sind das Wiederholungen der putin‘schen Behauptungen, die sich durchaus erfolgreich als nüchterne Analyse verkaufen lassen. Und Frau Krone-Schmalz macht das sehr geschickt. Das ist gefährlich, denn bei anderen erkennt man sofort, dass ihre Standpunkte indiskutabel sind. Frau Krone-Schmalz hingegen spricht nicht nur das sogenannte Querdenker-Milieu an, sondern kann mit ihren pro-russischen Narrativen bis in die Mitte der Gesellschaft vordringen. Aber je mehr solche Narrative Teil der Debatte werden, desto weiter breiten sie sich auch aus.

Dagegen kommen wir nur schwer an. Man müsste die Wissenschaftskommunikation viel professioneller gestalten, aber dafür müssten sich die Strukturen der Universitäten ändern. Das ist auch eine Zeitfrage: Sowohl wir im Mittelbau mit befristeten Stellen als auch Professor:innen haben eine hohe Arbeitsbelastung und es ist schwer, Zeit für die Wissenschaftskommunikation zu finden. Und dazu kommt, dass wir Wissenschaftler:innen eigentlich keine Expertise in Wissenschaftskommunikation haben. Hier sehe ich Nachholbedarf. Außerdem müssten sich die Wissenschaftler:innen besser vernetzen, weil das Problem nicht nur einzelne Disziplinen, sondern die gesamten Wissenschaftsgemeinschaft betrifft. Das haben wir zum Beispiel bereits beim Thema Klimawandel oder in der Corona-Pandemie gesehen. Gleichzeitig ist dieser Krieg natürlich eine Extremsituation. Plötzlich ist Expertise zu Osteuropa gefragt wie nie zuvor. Sehr viele Kolleg:innen, die ich kenne, sind seit der Totalinvasion sehr engagiert, äußern sich, halten Vorträge in Schulen und Volkshochschulen oder helfen Kolleg:innen aus der Ukraine, aber auch aus Russland und Belarus.

Als grundsätzliches Problem sehe ich die weit verbreitete Vorstellung, dass, wenn man sich laut und in politischen Debatten positioniert, man die Position der Wissenschaft verlasse und zu Aktivist:innen werde. Ich will überhaupt nicht bestreiten, dass das aktivistisch ist, was ich jetzt mache, aber es ist ein Aktivismus, der aus meiner Expertise resultiert und auf meinen Erfahrungen der letzten Jahre basiert. Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass Wissenschaftler:innen sich in einem luftleeren Raum bewegen, und von einer falschen Vorstellung von Neutralität.

 

Wissenschaftskommunikation auf Twitter

SH: Sie nutzen vor allem Twitter, um Ihre Standpunkte zu publizieren. Warum ist das für Sie eine attraktive Plattform für die Wissenschaftskommunikation? Welche Erfahrungen machen Sie als Historikerin mit dem wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs und der Kommunikationskultur auf Twitter?

FD: Ich bin da so ein bisschen reingeraten. Der Grund, warum ich mich 2015 auf Twitter angemeldet hatte, war tatsächlich, dass ich meine Rezension des Buches „Russland verstehen“ von Gabriele Krone-Schmalz teilen wollte. Das war mein erster oder zweiter Tweet. Am Anfang war ich nicht besonders aktiv und hatte nur eine winzig kleine Followerschaft. Nach dem russischen Totalangriff hatte ich Schwierigkeiten, mich auf etwas anderes zu konzentrieren und mich von den neuesten Nachrichten zu lösen und habe darum entsprechend mehr getweetet. Ich hatte aber nicht erwartet, dass sich die Followerschaft so schnell vergrößern würde. Ich wusste auch nicht wirklich, worauf ich mich da einlasse. Auch als jemand, der sich eigentlich als analytischen Menschen versteht und der auch um die Gefahren der sozialen Medien weiß, macht man auf Twitter immer wieder Fehler. Manches würde ich heute anders machen. So ein Tweet ist schnell geschrieben und man denkt nicht so lange über ihn nach wie zum Beispiel über einen Aufsatz, den man mehrmals liest, bevor er veröffentlicht wird. Das ist eine ganz andere Kommunikationslogik.

Der Kommunikationsstil ist auf Twitter sicherlich aggressiver. Es gibt Beschimpfungen, sexistische Beleidigungen und immer wieder Angriffe auf die wissenschaftliche Ehre. Diese Hasskommentare und sexistischen Beschimpfungen treffen vor allem Frauen, aber auch sexuelle Minderheiten oder Politiker:innen. Als Wissenschaftlerin muss ich mir manchmal sehr unschöne Dinge sagen lassen. Ich weiß warum, aber das macht jetzt nicht so viel mit mir persönlich. Trotzdem darf man es aber nicht total unterschätzen. Irgendwann ist dann der eine Tweet oder die eine Mail doch zu viel und dann hat man erstmal keine Lust mehr, sich irgendwie zu äußern. Darum verstehe ich auch Menschen, die sich in dieser speziellen Twitter-Öffentlichkeit nicht äußern wollen.

SH: Die Erfahrung mit Hasskommentaren und Sexismus führt zu viel Solidarität zwischen Frauen. Wie können auch männliche Twitterer und Historiker in solchen Situationen besser als Allies agieren?

FD: Ich finde es sehr wichtig, wenn Männer bei Twitter als Allies auftreten. Nicht nur bei sexistischen Äußerungen, sondern auch bei anderen Hasskommentaren und Anfeindungen. Es gibt auch Leute, die das schon machen. Carlo Masala zum Beispiel stellt sich immer wieder offensiv vor Kolleginnen. Und das ist sehr wirksam, denn er hat einen der größten Accounts aus dem Bereich Wissenschaft. Was mich aber doch manchmal ärgert ist, dass sich die Professoren nicht so oft äußern. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass viele Professoren zwar einen Twitter-Account haben, aber ihn vielleicht nicht so viel nutzen. Darum sind es häufig die Nachwuchswissenschaftler:innen, die teilen, kommentieren und unterstützen. Eine Ausnahme ist Jürgen Zimmerer von der Universität Hamburg. Ihn würde ich anderen Professor:innen in seinem Kommunikationsverhalten als Vorbild empfehlen, weil er sich bei solchen Attacken immer mit den Jüngeren solidarisiert und sich öffentlich positioniert. Schweigen ist ja auch eine Aussage. Aber es gibt für Professor:innen natürlich auch die Möglichkeit, sich jenseits von Twitter zu äußern. Klaus Gestwa von der Universität Tübingen hat mir immer wieder Mut gemacht und mich bestärkt, obwohl wir uns bis letzten Herbst gar nicht persönlich kannten. Gerade für den Mittelbau ist diese Art der Unterstützung auch psychisch sehr wichtig.

SH: Sie haben selbst auch große Solidarität auf Twitter erfahren. Ihre Kolleginnen Anna-Veronika Wendland, Anna Hájková und Julia Herzberg starteten eine Spendenkampagne, mit der binnen zweier Tage über 20.000 Euro für Ihre Prozesskosten gesammelt werden konnten. Welche Potentiale sehen Sie darüber hinaus auf Twitter?

FD: Twitter ist ein wunderbares Tool für Vernetzung und Community-Building. Ich habe darüber Kolleg:innen kennengelernt, die ich bisher nur als Autor:innen kannte und mit denen man sich jetzt wirklich austauscht und auch gegenseitig unterstützt. Twitter ist also eine Vernetzungsmöglichkeit jenseits der klassischen Konferenzteilnahme.

Die Plattform hat mir mehrfach auch ganz konkret geholfen: Wie oben erwähnt hat mir ein Jurist sehr schnell geholfen und auch einen tollen Anwalt besorgt. Bis dahin kannte ich ihn nur über Twitter. Und dass meine Kolleginnen die Spendenkampagne für die Anwaltskosten organisiert haben und dass das so schnell ging, war wirklich ganz, ganz toll. Da waren dann ganz viele Kolleg:innen aus der Osteuropäischen Geschichte einfach großartig und zwar sowohl aus der Professor:innenschaft als auch aus dem Mittelbau. Ich wusste bis zu seiner Veröffentlichung gar nicht, wer den Spendenaufruf für meine Anwaltskosten alles unterschrieben hatte. Da waren Leute dabei, die ich persönlich gar nicht kannte. Das hat auch dazu geführt, dass mich die ganze Situation nicht mehr so sehr belastet hat. Vor allem, weil ich wusste, dass ich Leute im Rücken haben, die mich stärken - sowohl finanziell als auch mental. Am Ende werden die Kosten hoffentlich von der Gegenseite getragen und dann spende ich das Geld für einen guten Zweck. Aber diese Solidarität ist natürlich irrsinnig wichtig.

 

Das Gespräch mit Franziska Davies fand via Zoom am 6.  Februar 2023 statt. Die finale Version des Interviews wurde von ihr autorisiert.