von Julia Riedel

  |  

24. März 2021

Julia Riedel arbeitet in der fotografischen Sammlung der Deutschen Kinemathek. Sie betreut die Archive von Fotograf*innen wie Horst von Harbou, Heinz Köster oder Erika Rabau. Daneben arbeitet sie mit einer ständig wachsenden Sammlung von circa 500.000 Stand- und Werkfotos, 100.000 Personenfotos und 50.000 Fotos zur Kino- und Festivalgeschichte. Wertvolle Originalabzüge zu stilbildenden Werken der Filmgeschichte finden sich in ihrem Archiv ebenso wie Bildmaterial zu aktuellen Film- und Fernsehproduktionen. Über ihren Arbeitsalltag hat sie mit zeitgeschichte|online gesprochen.

 

zeitgeschichte|online: Frau Riedel, Sie sind bei der Deutschen Kinemathek für die fotografische Sammlung zuständig. Wie genau müssen wir uns Ihre Arbeit im Fotoarchiv vorstellen?

Julia Riedel: Als Allrounderin für alles, was mit Fotografie zu tun hat. Ich bin für die Nutzer*innen des Archivs da, erschließe und erweitere die Sammlung und kümmere mich im Zusammenhang mit Veröffentlichungen natürlich auch manchmal um rechtliche Fragestellungen. Gleichzeitig begleite ich die Weiterentwicklung unserer internen Arbeitsweise von archivischer Seite, bemühe mich aber auch darum, den Sinn meiner Arbeit nach außen zu vermitteln. Ich bereite unsere Objekte auf Reisen zu Ausstellungen – hier im Haus oder auf der ganzen Welt – vor, unterstütze aber auch die Pressearbeit der Kinemathek, weil Abbildungen heute einfach überall gebraucht werden.

Julia Riedel im Fotoarchiv der Deutsche Kinemathek. Foto: © Christina Pack

 

zeitgeschichte|online: Welche Schwierigkeiten stellen sich hinsichtlich Ihrer Arbeit, vor allem bezüglich der Diskrepanz zwischen bewegten und unbewegten Bildern?

Riedel: Standfotos sind nachgestellte Bilder, die den Filmszenen stark ähneln, aber nicht vom Ausgangsmaterial des Films selbst hergestellt worden sind. Von Studierenden der Filmwissenschaften höre ich deshalb in meinen Führungen, dass Filmkader für die wissenschaftliche Arbeit über Filme geeigneter seien. Gleichzeitig haben wir in 30 Jahren eine Sammlung von mehr als 500.000 Fotos als universelles Bildarchiv zur Filmgeschichte aufgebaut, weil Standfotos immerhin die bei der Herstellung des Films autorisierten fotografischen Stellvertreter des Bewegtbildes sind. Und es erreichen mich täglich Anfragen von Menschen, die so tief gar nicht gehen wollen und ein Foto von Horst von Harbou zu METROPOLIS auch gut finden, wenn es technisch gesehen eben kein Scan von einem Filmkader aus Fritz Langs METROPOLIS ist.

Werkfoto zu »Metropolis« (Deutschland 1925/26, Regie: Fritz Lang). © Deutsche Kinemathek - Horst von Harbou.

Das wirft ein paar interessante Fragen zur Autorschaft auf. Wie es in vielen Bereichen der Kunst des 20. Jahrhunderts später zum Prinzip erhoben wurde, unterminierten beim Film die in der Hierarchie am Set untergeordneten kunsthandwerklichen Metiers schon ein bisschen das Konzept des alleinschaffenden, künstlerischen Genies. Wenn man sich auf dieses Gedankenexperiment einlassen möchte, könnte man den Film als die erste Kunstform des 20. Jahrhunderts betrachten, bei der die Verantwortlichen für Kamera, Fotografie, Druckgrafik und auch Kostüme in eine Art Mitautorschaft zur Regie eingetreten sind.

 

zeitgeschichte|online: Wer entscheidet über die Auswahl der Fotografien, die digitalisiert und veröffentlicht/öffentlich zugänglich/sichtbar werden?

Riedel: Wir fahren bei der Digitalisierung zweigleisig. Einerseits entwickeln wir das Potential unserer Archive durch Digitalisierungsprojekte, für die wir unsere Bestände systematisch nach den interessantesten Motiven durchkämmen. Es freut mich sehr, dass wir mit dem fotografischen Werk von Ulrike Ottinger und der Fotografin im Team von „Berlin – Ecke Bundesplatz“, Ingeborg Ullrich, im Moment zwei sehr schöne Bestände aufarbeiten können. Zum anderen gibt es das Tagesgeschäft, welches durch Anfragen für Veröffentlichungen aller Art geprägt ist. Das haben unsere Nutzer*innen in der Hand und ich steuere nur den Prozess in die richtige Richtung.

Fotosession mit Tabea Blumenschein, Claudia Skoda und Jenny Capitain ca. 1977/78. Foto: © Ulrike Ottinger

zeitgeschichte|online: Wo liegen die Unterschiede in der Arbeit mit Bildquellen, beziehungsweise mit schriftlichem oder filmischem Material?

Riedel: Auf der archivarischen Ebene sind die konservatorischen Herausforderungen ganz andere. Einerseits braucht jedes analoge Fotomaterial eben sein ganz eigenes Klima, um konservatorisch stabil zu bleiben. Von Glasplattennegativen bis Diapositiven habe ich da eine vergleichsweise große Bandbreite im Bestand. Eine weitere Herausforderung sind die Mengen an Material. Wenn meine Kollegin aus dem Schriftgutarchiv digitale Pressemappen zu aktuellen Filmen archiviert, ist das eine Datei pro Film. Darauf kommen oft 50 bis 100 Fotos. So etwas lässt sich eigentlich nur noch mit automatisierten Prozessen verarbeiten. Und im Vergleich zum Bewegtbild habe ich den Eindruck, dass doch wesentlich weniger Geld für Ankäufe und Fragen der Konservierung oder Restaurierung ausgegeben werden kann. Und gerade bei jüngeren Beständen nähert sich der Bedarf beim Fotomaterial natürlich dem des Filmmaterials an. Wir begegnen zum Beispiel bei den sehr schmutzanfälligen Diapositiven ähnlichen ethischen Fragestellungen zum Bereich der digitalen Restaurierung. Labile Speichermedien in der frühen Digitalfotografie wären auch so ein Thema. Bei allen Maßnahmen zur Konservierung und Restaurierung sind wir wie alle anderen Bereiche der Kinemathek auch von Fördermöglichkeiten abhängig. Ich hoffe vor allem für die wertvollsten Stücke, unsere im Original erhaltenen Fotos aus der Stummfilmzeit, in der Zukunft mehr Angebote ergreifen zu können.

Aushangfoto zu »Nosferatu« (Deutschland 1921, Regie: F.W. Murnau) mit starken Aussilberungen

 

zeitgeschichte|online: Haben Sie eine „Lieblingsfotografie“ oder eine Fotoserie in Ihrer Sammlung, die Sie besonders mögen – und warum?

Riedel: Ach, es gibt eigentlich mehrere Themen, die mir besonders am Herzen liegen. Das wechselt auch alle paar Jahre. Ich hatte zum Beispiel einmal eine Phase, in der ich von Autogrammpostkarten besessen war, weil ich noch mein Gesichtergedächtnis trainieren musste. Die Dauerbrenner sind bei mir inzwischen eher die Bereiche, zu denen ich einen persönlichen Bezug habe. Vor- und Nachlässe von deutschen Standfotograf*innen oder fotografierenden Regisseur*innen so ab 1970 finde ich sehr lohnenswert. Da gibt es viel auf Werkfotos zu entdecken, weil oft freier am Set fotografiert werden konnte als zuvor. Und erfreulicherweise sieht man auch, dass Frauen zunehmend eine Rolle spielen und einfach insgesamt nette und interessante Menschen dabei sind. Jedenfalls betrachte ich es irgendwie auch als meine Aufgabe, den Leuten ein Gefühl der Wertschätzung für ihre Arbeit zu vermitteln. Und daher freue ich mich, wenn die Sammlungsbilder*innen noch ansprechbar sind.

Bundesplatz-Kino im April 2020. Foto: © Julia Riedel

Außerdem mag ich natürlich alles, was mit Berlin zu tun hat, weil ich hier zu Hause bin und mich die Geschichte dieser Stadt interessiert. Im Frühjahr 2020 habe ich deshalb für die Sammlung Fotos von den Fassaden geschlossener Kinos gemacht und seit dem Beginn des zweiten Lockdown Anfang Dezember zeigen wir Onlinegalerien mit historischen Kinofotos auf der Homepage der Kinemathek. Ich habe während meines Studiums ja auch Archäologie als Nebenfach belegt und verfolge die Vorstellung, eine gute Archivarin muss manchmal auch eine Archäologin der Gegenwart sein.

 

 

zeitgeschichte|online: Die Deutsche Kinemathek besitzt die Nachlässe wichtiger Fotograf*innen wie Horst von Harbou, Heinz Köster oder Erika Rabau? Welche Bedeutung haben diese Nachlässe innerhalb des gesamten Archivbestandes?

Riedel: Die haben eine ganz zentrale Bedeutung, weil wir Fotograf*innen dabei unterstützen wollen, über die Zukunft ihres Œuvres selbst mitzubestimmen. Deshalb bewahren wir solche Bestände unter den bestmöglichen Bedingungen, arbeiten sie auf und regeln den Zugang der Öffentlichkeit zu den Beständen in nachhaltiger Form. Wenn wir das nicht machen würden, gerieten viele Bestände gerade in unserem Sammlungsgebiet in Vergessenheit.

Selbstporträt Hans Casparius. © Deutsche Kinemathek - Hans Casparius

Digitale Sammlungen des Fotoarchivs der Deutsche Kinemathek