von Juliane Röleke, Regine Schwab

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9. Juni 2021

Der Film As I Want der palästinensischen Filmemacherin Samaher Alqadi dokumentiert in drastischer Weise die Erfahrungen ägyptischer Frauen mit alltäglichen Belästigungen und geschlechtsbezogener Gewalt aus der Perspektive einer feministischen Aktivistin und ihrer Mitstreiter*innen. Zentral werden die sexualisierten Übergriffe auf zahlreiche Frauen im Gebiet des Tahrir-Platzes in Kairo Anfang 2013 beleuchtet, die im Zuge politischer Proteste gegen das Regime von Mohammed Mursi und die Muslimbruderschaft stattfanden und weltweit für Entsetzen sorgten. Gleichzeitig stellt der Film eine persönliche Reflektion über die Mutterschaft der Regisseurin dar und zeichnet anhand ihrer eigenen Familiengeschichte skizzenhaft den Wandel von weiblichen Rollenbildern über Generationen nach. Der Film fordert in visueller und sprachlich beeindruckender Deutlichkeit eine Auseinandersetzung mit den weitreichenden Folgen sexualisierter Gewalt für die Betroffenen und stellt gleichzeitig eine Dokumentation der politischen Kämpfe von Frauen in der jüngsten Zeitgeschichte Ägyptens dar. Er läuft jedoch gerade an dieser Stelle Gefahr, die Zuschauer*innen mit der Hoffnung auf eine Besserung der gesellschaftlichen Situation nach dem Sturz der Mursi-Regierung im Sommer 2013 zurückzulassen, was angesichts des darauf folgenden Militärregimes unter Abd al-Fattah as-Sisi und dessen Umgang mit geschlechtsbezogener Gewalt und politischen Protesten ein fataler Trugschluss ist.

 

Zwischen Privatleben und Protest: Geschlecht und Öffentlichkeit

Der Dokumentarfilm beginnt mit Schwarz-Weiß-Aufnahmen vom Bauch der hochschwangeren Regisseurin, begleitet von den nachdenklichen Worten: "When they say it's a girl, the walls fall down on me." Von Beginn an verknüpft Alqadi das vermeintlich Private der eigenen Familienplanung mit der Geschichte ihrer palästinensischen Familie und den Möglichkeiten, sich als Mädchen und Frau in der ägyptischen Gesellschaft bewegen und an gesellschaftlichen Prozessen mitwirken zu können. Bereits zu Beginn fragt sie ihre verstorbene Mutter in einem fiktiven Dialog, warum sie nicht laut lachen und lieben darf, sondern stattdessen ihren Körper verstecken soll. Dieser Dialog mit der Mutter durchzieht den gesamten Film. Ebenso sind tatsächliche Gespräche zwischen den beiden zu sehen, in denen die Mutter eher distanziert, gar peinlich berührt wirkt vom Habitus ihrer selbstbewussten Tochter. Man erfährt wie jene, als die Familie noch in Ramallah lebte, versuchte ihre Töchter streng religiös und konservativ zu erziehen. Alqadis Mutter wird als Figur gezeichnet, die – wesentlich mehr als der Vater – patriarchale Strukturen stützt, ansonsten bleibt ihr Charakter aber eher unscharf.

An die Eröffnungsszene von As I Want schließen unvermittelt drastische Kameraaufnahmen vom Tahrirplatz im Januar 2013 an, die das Thema der sexualisierten Gewalt im öffentlichen Raum in Ägypten in schockierender Weise einführen: Die Zuschauer*innen sehen eine Menschenmenge von oben. Eine Frau, die unter Männern in der Menge regelrecht verschwindet, ist nur zu erahnen. Eine Stimme aus dem Off beschreibt detailliert die Taten der beteiligten Männer und berichtet von weiteren angegriffenen, oftmals vergewaltigten Frauen. Alqadi verdeutlicht in ihrem Werk konsequent den Zusammenhang von individuell erfahrener Gewalt und struktureller, sexistischer Diskriminierung. So filmt sie sich häufig selbst, zum Beispiel während sie eine TV-Talkshow schaut, in der eine anonyme Anruferin ihre Erfahrung auf dem Tahrirplatz schildert und die ägyptische Gesellschaft als Ganzes für die Gewalt gegen Frauen verantwortlich macht. Die Regisseurin ringt offensichtlich mit Fassung und wendet sich an ihre Mutter: "That's my best friend talking, Mummy. I think if I had been in her place, I would never have told you. Because you would have blamed me, 'Why did you go there?'" Auch im Fokus vieler weiterer Szenen steht das Tabu für Frauen, in der Öffentlichkeit etablierte Verhaltensnormen zu überschreiten etwa durch lautes Sprechen, bestimmte Kleidung oder die Teilnahme an Demonstrationen. Thematisiert werden immer wieder damit einhergehende Schuldzuweisungen an Betroffene für die erlittene Gewalt. In einem Interview fasst die Regisseurin selbst zusammen: "To me it’s all linked: my own story and what happened to the women at the Tahrir Square – and what happens to women every day, all over the world. How I was raised, how my mother was raised, how all these men and women are raised to perceive women in a certain way. [...] I have never thought about the dark and painful things that have happened to me before I witnessed what happened to women at the Tahrir Square in those revolutionary days and I saw how the strong women around them reacted to the injustices."[1]

Graffiti art by Mira Shihadeh aus dem Film As I Want. Regie: Samaher Alqadi, Ägypten 2020. Encounters 2021. © Prophecy Films

 

Die Kamera als Waffe: Alltägliche Gewalt und Selbstorganisation

Samaher Alqadi hat das Material für ihren Film überwiegend im Jahr 2013 gedreht und anschließend in einem mehrjährigen Prozess fertiggestellt. Es ist ihr erster Langfilm. Die erste Stunde der Dokumentation beschäftigt sich größtenteils mit Belästigungen und Übergriffen, denen die Filmemacherin auf der Straße ausgesetzt ist, und den Demonstrationen gegen die Muslimbrüder und Präsident Mursi. Alqadi filmt außerdem Zwiegespräche mit ihrem kleinen Sohn, Treffen feministischer Aktivist*innen, und Gespräche unter Freund*innen über Gewalterfahrungen und mögliche Gegenstrategien. Eine Freundin Alqadis zog beispielsweise 2013 eine Frau während eines Übergriffs aus der Menge auf dem Tahrirplatz und begleitete sie ins Krankenhaus. Sie beschreibt ein System permanenter Bedrohung, in das Rettungssanitäter, Soldaten und Polizisten als potenzielle Anlaufstellen verwickelt sind. Die Freundin der Regisseurin ist sichtlich schockiert über das, was sie erlebt hat, hält jedoch entschieden fest, dass die Angriffe gegen Frauen eine Form der Repression seien, die fehlschlagen werde, "because we are not a disgrace." Diesen Worten entsprechend zeigt der Film viele schöne, kraftvolle Szenen: Bilder von Demonstrationen gegen sexualisierte Gewalt, in denen äußerlich sehr heterogen wirkende Frauen gemeinsam demonstrieren. Slogans wie "Die Stimme der Frau ist keine Schande. Die Stimme der Frau ist die Revolution." oder "Come out and shoot us with your snipers! There's still room in my chest for a bullet." unterstreichen die Entschlossenheit der Proteste. An vielen Stellen des Films dokumentiert die Regisseurin politische Strategien der Selbstorganisierung ägyptischer Frauen, wie etwa das Verstecken von Waffen zur Selbstverteidigung in der Kleidung, die Aufklärung über und das Begleiten von Folgen der Traumata durch erlebte Übergriffe, oder die Organisation eines Notrufs für Frauen auf Demonstrationen.

Alqadi’s Kamera dient ihr selbst dabei als Waffe, die sie schützt – sie filmt auf der Straße, um Übergriffe zu dokumentieren, fordert Männer, die sie belästigen, immer wieder offen heraus und verunsichert sie. In einer Situation folgt ein Mann Alqadi in ein Geschäft. Sie filmt ihn, stellt ihn zur Rede und beschimpft ihn, mehrere Leute mischen sich ein, versuchen letztlich jedoch vor allem, die Regisseurin selbst zu maßregeln. Es ist nur ein Beispiel für die an vielen Stellen gezeigte lautstarke Wut der Regisseurin und vieler anderer über gewaltvolle gesellschaftliche Strukturen im Land.

 

Lücken in der Kontextualisierung

As I Want ist gleichzeitig ein hochpolitischer und radikal persönlicher Film. Dass bei einer dezidiert subjektiven Momentaufnahme der ägyptischen Gesellschaft in einer historischen Transformationsphase zwischen 2011 und 2013 und knapp 90 Minuten Filmdauer einige Aspekte weniger oder nicht beleuchtet werden, ist verständlich. Gerade für Zuschauer*innen jedoch, die nur über ein geringes Kontextwissen der ägyptischen Zeitgeschichte verfügen, können dadurch einige Inhalte einseitig gedeutet werden. So fokussiert der Film stark auf religiöse Amtsträger und den Islam als Ursache der gesellschaftlichen Situation von Frauen. Nur am Rande werden dabei Schattierungen deutlich wie in einer Szene, in der die Regisseurin mit Mädchen, Jungen und Frauen über den Alltag auf dem Land spricht, wo Frauen ohne Kopftuch oder mit lauter Stimme in der Öffentlichkeit als ein Scheidungsgrund gelten. Die interviewten Mädchen machen dabei den Kontrast ihrer eigenen Lebenswelt zu derjenigen Alqadis deutlich, die aus der Stadt beziehungsweise aus einem bestimmten Kairoer Viertel und damit aus einer anderen Welt kommt. Die stärkere Thematisierung von Differenzen wie jener zwischen Stadt und Land oder den Erfahrungen in unterschiedlichen sozialen Klassen hätten dem Film ermöglicht auch unterschiedliche Erfahrungen zu thematisieren.

Zudem sind sexualisierte Übergriffe im öffentlichen ägyptischen Raum vor allem im Zuge der Proteste seit 2011 gegen Präsident Mubarak und später gegen seinen Nachfolger Mursi ins Licht der internationalen Aufmerksamkeit gerückt. Geschlechtsbezogene und sexualisierte Gewalt sind jedoch historisch gewachsene Phänomene, in die auch die ägyptischen Sicherheitsbehörden in komplexer Weise verstrickt sind.[2] Alqadi zeigt vor allem die einschneidende Bedeutung der Ereignisse auf dem Tahrirplatz für politische Kämpfe von Frauen, zieht aber kaum historische Linien über die ihrer eigenen Familie hinaus. Der Film endet mit dem Militärputsch im Juli 2013, der die Protestbewegung spaltete – einige Aktivist*innen unterstützten offen das Militär, andere wendeten sich ab, da sie zwar Mursi und die Muslimbrüderschaft stürzen, aber keine Militärherrschaft wollten. Alqadi ergreift hier keine klare Position. Dass sie das Militärregime nicht offen kritisiert, ist angesichts der politischen Situation in Ägypten verständlich. Die Regisseurin selbst hat das Land im Jahr 2017 aus diesen Gründen verlassen. Jedoch erweckt zum Beispiel die Information am Ende des Films, dass sexuelle Belästigung in Ägypten 2014 endlich strafbar wurde, bei Zuschauer*innen den Eindruck, die Situation habe sich unter General Sisi insgesamt zum Besseren gewendet. Dies wäre ein fataler Fehlschluss, beweist das aktuelle, scheinbar säkuläre Militärregime doch regelmäßig seinen repressiven Charakter und setzt geschlechtsbezogene Gewalt gegen Frauen auch als Waffe seitens der Sicherheitsbehörden weiterhin ein.[3]

 

Beeindruckendes Dokument

Insgesamt stellt Samaher Alqadis Film ein beeindruckend offenes und schonungsloses Dokument über die Lebensrealität vieler Frauen und Mädchen in Ägypten dar, allerdings mit einem engen zeitlichen und persönlichen Blick, der Kontinuitäten und weitere historische Entwicklungen vernachlässigt. Was das Erfahren alltäglicher Demütigungen und sexualisierter Gewalt für Betroffene und ihr Umfeld bedeuten kann, wird jedoch selten derart explizit vor der Kamera für ein Kinopublikum geäußert. Mit ihren grundlegenden Fragen nach dem Zugang von Frauen zu öffentlichen Räumen und politischen Prozessen, nach dem Einfluss von Erziehung und Sozialisation auf Geschlechterordnungen in Gesellschaften und den Möglichkeiten der Selbstorganisation gegen geschlechtsbezogene Gewalterfahrungen mischt sich der Film ein in eine international mit neuer Vehemenz geführte Debatte über sexistische Diskriminierungen. Wie wirkmächtig die Widerstände dagegen sind, konnte man in den letzten Jahren leider ebenfalls beobachten.

 

 

As I Want (Ägypten/Norwegen/Frankreich/Palästinensische Autonomiegebiete/Deutschland 2021)
Drehbuch und Regie: Samaher Alqadi. Produktion: Karim El Hakim.
Dauer: 88 Minuten.

 

Der Film As I Want läuft im Rahmen des Berlinale Summer-Specials am 16. Juni um 22.15 Uhr im ARTE Sommerkino am Kulturforum.

 


[1] Nynne Storm Refsing: Q&A with Director Samaher Alqadi: It’s Time for the Women’s Wave. 7. Mai 2021, (zuletzt abgerufen am 26. Mai 2021).
[2] Vgl. beispielsweise Paul Amar: Why Mubarak is out, in: Bassam Haddad/Rosie Bsheer/Ziad Abu-Rish (Hrsg.), The Dawn of the Arab Uprisings: End of an Old Order?, London/New York 2012.
[3] Dies zeigt sich in drastischer Weise am Umgang der Sicherheitsbehörden mit dem Vergewaltigungsskandal im Fairmont Hotel im Jahr 2014, der 2020 ans Licht kam. Siehe dazu beispielsweise Human Rights Watch: Egypt: Gang Rape Witnesses Arrested, Smeared. Personal Data Used in Abusive Prosecutions. 11. September 2020.  (zuletzt abgerufen am 26. Mai 2021) oder The New Arab Staff: Egypt Arrests Female Witnesses in Fairmont Hotel Gang Rape Case. 30. August 2020. (zuletzt abgerufen am 26. Mai 2021).