von Laura Haßler, Martin Gontermann

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11. Oktober 2021

„Természetes fény/Natural Light“ ist ein Film über Krieg, doch der erste und für lange Zeit einzige Schuss löst sich aus einem Fotoapparat. Die fotografische Inszenierung des Kriegsalltags ringt im Film mit dem titelgebenden natürlichen Licht, das sowohl die wichtigste Grundmetapher als auch das herausragende Stilelement des Films ist. Denn auf künstliche Beleuchtung verzichtet Regisseur Denés Nagy in seinem mit dem silbernen Bären prämiertem Langspielfilmdebüt. Das Ergebnis ist der optisch wohl beeindruckendste Film des diesjährigen Berlinale-Wettbewerbs. Bei den Rezensent:innen hinterlässt er dennoch letztlich einen zwiespältigen Eindruck.

 

Der Protagonist auf einem Pferd im dichten Wald
Filmstill aus „Természetes fény/Natural Light“ © Tamás Dobos

Die Handlung

Der Film folgt dem Soldaten István Semetka, Teil einer ungarischen Spezialeinheit, die in den lettischen Wäldern der von den Nationalsozialisten besetzten Sowjetunion Partisanenverbände bekämpfen soll. Anhand diesen Gegenstands will Nagy die Geschichte der „unknown soldier[s] of the war“ erzählen, „who were taken to a place they don’t know, to fight a war that was not theirs“, wie der Regisseur den Zuschauer:innen eingangs in einer Videobotschaft mitteilte.

Die Handlung ist schnell erzählt: Semetkas Einheit bezieht auf der Suche nach Partisanen Lager in einem Dorf. Hier und im Folgenden wird Semetka immer wieder dazu angehalten, seine Kameraden zu fotografieren, ob im Auftrag oder privat bleibt unklar. Nach Abreise geraten die Soldaten in einen Hinterhalt, der Anführer stirbt im Schusswechsel. Der Rest der Einheit kehrt zum Dorf zurück, einen Verrat durch die Bewohner:innen vermutend. Semetka, nun kommissarischer Truppenführer, ordnet an, die Bevölkerung in einer Scheune zu konzentrieren. Kurz darauf trifft Verstärkung ein: Der Anführer der neuen Einheit, ein Bekannter Semetkas, übernimmt das Kommando. Er schickt Semetka unter einem Vorwand auf Patrouille, und ermordet die Dorfbevölkerung in seiner Abwesenheit – Semetka erblickt bei seiner Rückkehr ins Dorf nur noch die brennende Scheune. Bald darauf wird er zur Kommandantur in die Stadt geschickt, wo er eine bereinigte Version der Geschehnisse berichtet: Er verschweigt den Massenmord. Der Film endet mit Semetkas Zugfahrt nach Hause, der Kommandant hat ihn für zwei Wochen auf Fronturlaub geschickt.

 

Ein junges Mädchen mit offenen langen Haaren sitzt vor einem Fenster und blickt über die rechte Schulter aus dem Augenwinkel auf
Filmstill aus „Természetes fény/Natural Light“ © Tamás Dobos

Blitzlicht statt Blitzkrieg

Der Blick der Kamera und der des Protagonisten fallen im Film in eins: „Natural Light“ inszeniert die Suche nach dem natürlichen Licht in einer finsteren Zeit als innere Sinnsuche des Protagonisten. Statt des Kriegsgeschehens schildert der Film den Versuch Semetkas, mit der Kriegssituation fertig zu werden. Eine verständliche Handlung fällt diesem Ziel allerdings zum Opfer: Die schwer auszumachenden Dialoge sind mehr Teil des Sounddesigns, meist bleibt unklar, was und warum gerade etwas geschieht. Das langsame Erzähltempo des Films steigert den Effekt in eine intensive Desorientierung des Zeitgefühls. Auch Anhaltspunkte wie Flaggen oder Abzeichen sind nie zu sehen, der Feind bleibt den ganzen Film über unsichtbar. Hat das Dorf die Soldaten verraten? Warum gibt der Anführer der Hilfstruppen den Mordbefehl? Die Zuschauer:innen erhalten auf diese Fragen keine Antwort, denn sie haben nur Semetkas nicht-allwissende Perspektive, aus der sich Verunsicherung und Misstrauen speisen. Sie werden hineingezogen in die Unwägbarkeiten des Kriegsalltags – eine interessante Inszenierung, die reichlich Frustrationspotenzial birgt.

Bemerkenswert ist Nagys metaphorisches Spiel mit Licht und Kamera. Semetkas passiver, abwartender Umgang mit dem Kriegsalltag findet seine Parallele in der Kameraarbeit: Beide versuchen, flüchtige, natürliche Momente einzufangen und zu konservieren, ohne der Szenerie künstliches Licht hinzuzufügen. Dieser fast schon unschuldig-naive Blick auf den Krieg wird mit dem seiner Kameraden kontrastiert, die mittels des künstlichen Lichts von Semetkas Fotokamera versuchen, nachträglich geschönte Versionen des Geschehenen auf Film zu bannen. Mal einen Dorfbewohner züchtigend, mal in triumphaler Siegerpose, immer aber deutlich inszeniert, lassen sie sich ‚ins falsche Licht setzen‘. Es wird am Schluss diese künstliche Erzählung des Krieges sein, von der Semetka seinem Kommandanten Bericht erstattet – das Massaker fehlt im Bericht wie auf den Fotos. Was im Krieg wirklich passiert, so das Argument des Films, erfahren wir aus der fotografischen Überlieferung nicht; nur etwas über traditionelle Inszenierungspraktiken, die Leid und Tod aussparen.[1]

 

Drei Soldaten mit Gewehren in beigen Manteln bewegen sich in einem dichten brauen Herbstbrikenwald zu Fuß fort
Filmstill aus „Természetes fény/Natural Light“ © Tamás Dobos

Genrebruch: „Natural Light“ als Kriegsfilm

"Natural Light" ist ein ungewöhnlicher Kriegsfilm. Nagy ist nicht an der Inszenierung imposanter Schlachtengemälde interessiert und unterläuft viele der gängigen Genrekonventionen.[2]

Weder zeigt der Film die Bilder sich heroisch opfernder Männerkörper, noch dient er dem Fetisch komplexen Kriegsgeräts. Im Film gibt es keine Flugzeuge oder Panzer zu sehen, sondern einen Pferdekarren der im Matsch feststeckt. Die Körper der Soldaten verschwinden in den dichten Wäldern, sie werden eins mit der Szenerie und verstärken so Semetkas Gefühl von Einsamkeit. Kein Korpsgeist, keine Kameradschaft, kein ‚Bund fürs Leben‘ wird hier gebildet.

Auch Actionsequenzen, die beim Publikum Spannung erzeugen sollen, gibt es nicht. Der Film inszeniert Krieg als Alltagshandlungen. Erst nach über einer Stunde fallen Schüsse. Dies geschieht in fast völliger Dunkelheit und ist schon nach wenigen Augenblicken vorbei. Gleich darauf wird wieder geflüstert: nicht auffallen, verborgen bleiben, irgendwie durchkommen. Damit verwehrt sich „Natural Light“ des gegen viele Kriegsfilme erhobenen Vorwurfs, durch ihre Inszenierung Krieg zwar auf einer inhaltlichen Ebene (oberflächlich) zu kritisieren, aber letztlich als spannendes und gewaltiges Spektakel inszenatorisch dennoch anzubeten.[3]

Überraschenderweise ist es genau der Hauptcharakter, bei dem diese Abgrenzung von Klischees nicht gelingen will. Semetka, der in sich gekehrt den Krieg als innere Sinnsuche und Bewahrung eigener Unschuld versteht, ähnelt letztlich den ebenso wortkargen Kriegshelden, die das Hollywoodkino seit den 1980er Jahren hervorgebracht hat und die ganz ähnlich wie Semetka den Krieg vor allem als eine private Angelegenheit verstehen. In dieser Hinsicht hat „Natural Light“ mehr gemein mit Filmen wie Rambo oder Platoon als den Macher:innen lieb sein dürfte. Die radikal subjektive Inszenierung, die alles inhaltlich und stilistisch Semetkas innerer Sinnsuche unterordnet, scheitert dann auch an der Klimax des Films. Die verstörendste Szene des Films, die brennende Scheune, wirkt durch das von der Kamera eingefangene natürliche Licht auf unangenehme Weise als optisch schönste Szene des Films.

 

Schluss

Nagys Inszenierung liefert unglaublich schöne Bilder, erreicht ihr Ziel aber nicht: Der Protagonist bleibt letztlich unnahbar, das Lichtspiel der Kamera erhöht ausgerechnet das Verbrechen. Gleichzeitig verhindert sie andere Lesarten des Films, da die Zuschauer:innen, beschränkt auf Semetkas Perspektive, keine Informationen erhalten, um etwa über Fragen von Schuld und Verantwortung, von Hierarchien und Loyalitäten oder zum Verhältnis von Ideologie und Alltagspraxis im Krieg reflektieren zu können. Nagy will den Teil des Kriegs zeigen, den wir auf den historischen Bildzeugnissen nicht sehen können. Mit seinem in sechs Jahren Arbeit produzierten, durchinszenierten Film hat er aber letztlich selbst die Illusion eines ‚authentischen‘ Einblicks erschaffen, die den Blick auf den Gegenstand verstellt.

Am Ende bleibt von „Natural Light“ ein Eindruck, der sich trotz aller Brüche mit den gängigen Stereotypen einem gewissen Trend des Kriegsfilmgenres zuordnen lässt, der seit dem Afghanistan-Krieg der 1980er Jahre und vor allem seit dem 11. September immer stärker dominiert: „Das existentielle Empfinden, auf verlorenem Posten zu stehen, mit Hinterhalten oder Attentaten, mit Entführungen und Folter mehr zu rechnen als mit ‚normalen‘ militärischen Aktionen und schließlich ein fundamentales Gefühl von Fremdheit.“[4]

 

Természetes fény/Natural Light, Regie: Dénes Nagy, Ungarn/Lettland/Frankreich/Deutschland 2021, 103 Minuten

 

 


[1] Zu dieser Bildtradition und der Visualisierung von Krieg generell siehe Paul, Gerhard: Bilder des Krieges – Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges. Paderborn 2004.
[2] Vgl. zum Kriegsfilm als Genre z.B. Stiglegger, Marcus, Der Kriegsfilm, in: Ders. (Hrsg.) Handbuch Filmgenre, Wiesbaden 2020, S. 653–670.
[3] Zur Diskussion um die Möglichkeit der Existenz eines „Anti“-kriegsfilmes, vgl. beispielsweise: Shirin Packham: Der aktuelle Kriegsfilm im historischen und medialen Kontext, Wiesbaden 2019, S. 18–27.
[4] Markus Metz / Georg Seeßlen, Kriegsbilder. Über Narrative des Kriegs im Film, in: Deutschlandfunk „Essay und Diskurs“, 04.04.2021.