von Tomasz Szarota

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1. Juli 2014

Unter den zahlreichen und fast ausnahmslos kritischen Äußerungen in der polnischen Presse, egal welcher politischen Ausrichtung, zum ZDF-Mehrteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ erachte ich vor allem diese Überschrift als am treffendsten: „Die Wiederherstellung des Gedächtnisses der Deutschen erscheint dringend notwendig“.
Die allgemeine Begeisterung in Deutschland über diesen Film, gepaart mit der Amnesie der Verantwortlichen – und hier denke ich nicht nur an den Drehbuchautor und den Regisseur, sondern auch an die wissenschaftlichen Berater –, musste in mir, als Polen, Beunruhigung hervorrufen.
Wo sehe ich den Gedächtnisschwund? Zunächst vor allem in der Tatsache, dass die Erzählung über den Zweiten Weltkrieg nicht im September 1939 beginnt, sondern im Juni des Jahres 1941. Der Überfall auf Polen und die bereits während des Polenfeldzugs begangenen Verbrechen der Wehrmacht und der Luftwaffe werden somit außer Acht gelassen. Nicht zufällig jedoch hat der deutsche Historiker Jochen Böhler, der sich mit dieser Phase des Krieges beschäftigte, sein Buch unter dem Titel „Auftakt zum Vernichtungskrieg“ veröffentlicht.[1] Da der Film die Kriegsereignisse vor 1941 auslässt, muss die Begeisterung innerhalb der deutschen Gesellschaft auch nicht erwähnt werden, mit der diese auf die militärischen Erfolge der Wehrmacht im Jahr zuvor reagiert hatte.

Auch der Holocaust findet im Film nicht statt. Das sollte eigentlich alarmieren. Nicht die Deutschen sind in diesem Film die Antisemiten, sondern einzig Polen und Ukrainer.
Aber vielleicht hielten sich die Nazis selbst nicht für Antisemiten? Ich erinnere daran, dass Himmler in einer Rede am 24. April 1943 diesen Begriff „Antisemit“ als unangebracht bezeichnete, für ihn war die Tötung der Juden gleichbedeutend mit „Entlausung“ und stellte einfach eine „Hygienemaßnahme“ dar!
Der ZDF-Mehrteiler lässt jedoch nicht nur den Holocaust aus, sondern auch das, was Polen, Weißrussen, Tschechen, Belgiern, Franzosen und ab Herbst 1943 den Italienern widerfuhr: die deutsche Besatzung. Vor diesem Hintergrund möchte ich nicht ausschließen, dass der Film dazu beitragen könnte, alte antideutsche Ressentiments wiederzubeleben.

Ehrlich gesagt wundere ich mich, dass das polnische Schicksal in diesem Film überhaupt thematisiert wurde. Und dieses „polnische Thema“ hat schließlich hierzulande[2] Proteste und Empörung hervorgerufen.
Es wäre meiner Meinung nach realistischer gewesen, wenn die Filmfigur des jungen Juden Goldstein in die Staaten gegangen und im Jahr 1945 in amerikanischer Uniform nach Deutschland zurückgekehrt wäre, vielleicht das Konzentrationslager Dachau befreit und dort die Leichen der eigenen Eltern aufgefunden hätte.
Ich vermute, dass neben dem Drehbuchautor der wissenschaftliche Berater Julius H. Schoeps[3] die Hauptverantwortung dafür trägt, dass die polnische Heimatarmee als Bande von Antisemiten gezeigt wurde. Als Schoeps gefragt wurde, warum er die Heimatarmee – den bewaffneten Teil des polnischen Untergrundstaates – , die der Stolz der Polen ist, so einschätzt, verwies er auf die Morde in Jedwabne am 10. Juli 1941 und den Pogrom in Kielce am 4. Juli 1946, für die die Heimatarmee jedoch nicht verantwortlich gewesen war. Daraus könnte man schließen, dass er die Vernichtung der Juden mit dem polnischen Antisemitismus und nicht mit den deutschen Konzentrationslagern Treblinka oder Auschwitz-Birkenau assoziiert.
Und ganz nebenbei: Warum gab es keinen polnischen Berater? Schließlich gab es in jüngster Vergangenheit zahlreiche deutsch-polnische Kooperationen, etwa bei der Ausstellung „Deutsche und Polen. Abgründe und Hoffnungen“ (2009), bei der das Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften[4] einer der Partner war.

Es wäre unfair zu behaupten, der Film zeige nur historische Verzerrungen. Wichtig erscheint mir die Abrechnung mit dem Mythos von der sauberen Wehrmacht. Es ist noch nicht allzu lange her, dass Deutsche gegen die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“[5] protestierten; jene Ausstellung, die erstmals Wehrmachtssoldaten als Mörder zeigte.
Damit nicht genug, einer der Protagonisten des Filmes ist Deserteur und hat seinen militärischen Vorgesetzten ermordet. Vor wenigen Jahren noch wäre eine solche Darstellung eines Wehrmachtssoldaten nicht möglich gewesen.

Der Film „Unsere Mütter, unsere Väter“ bestätigt ohne Zweifel das Bewusstsein der Deutschen, Hauptopfer des Zweiten Weltkrieges gewesen zu sein. Und er erlaubt ihnen zu vergessen, dass sie diesen Krieg begonnen haben.
Der deutsch-polnischen Versöhnung dient dieser in Teilen skandalöse Film nicht.

 

Übersetzung: Maren Röger

 

[1] Jochen Böhler, Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen 1939, Frankfurt/M. 2006. Rezension auf H-Soz-u-Kult.
[2] In Polen [Anm. d. Red.].
[3] Julius Hans Schoeps ist Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam und Vorstandsvorsitzender der Moses Mendelssohn-Stiftung.
[4] Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften.
[5] Website der Ausstellung.